Das „Garten-Ei“ und der „Känguruh-Stuhl“ gelten heute als Ikonen ostdeutschen Designs. Hergestellt wurden diese Sitzmöbel aus dem Kunststoff Polyurethan (PUR) jedoch keineswegs von der DDR allein, sondern im Zuge einer spannenden Transfergeschichte zwischen West und Ost.
Um 1970 hielten Möbel von einer neuen, revolutionären Ästhetik in die Wohnwelten Einzug. Mit ihren fließenden Formen und intensiven Farben trafen sie den Nerv des POP-Zeitalters. Der zukunftsverheißende synthetische Werkstoff ermöglichte visionäre Möbeldesigns. In der DDR sollte PUR dazu beitragen, den Glauben an technologischen Fortschritt, Wachstum und steigenden Lebensstandard wach zu halten.
Die Herstellung und Verarbeitung von Polyurethan beherrschten zunächst nur wenige westliche Firmen. Zu ihnen knüpften Wirtschaftsverantwortliche der DDR Kontakte, um auf dem als wichtig erkannten Zukunftssektor Anschluss zu erhalten. Im Rahmen dreistelliger Millioneninvestitionen erwarben sie Maschinen, Verfahrenstechniken, chemische Ausgangsstoffe und Möbelentwürfe. Eingefädelt wurden diese Geschäfte maßgeblich von der DDR-Außenhandelsagentur „Kommerzielle Koordinierung“ unter Alexander Schalck-Goldokowski. Anfang der 1970er Jahre schwang sich die DDR so zum weltweit wohl größten Hersteller von Kunststoffmöbeln empor.
Vermeintlich einfach und günstig herzustellen, versprachen PUR-Möbel eine egalitäre Versorgung der Bevölkerung mit modernen und kostengünstigen Einrichtungsgegenständen. Dies passte zu der von Erich Honecker neu ausgerichteten Wirtschafts- und Sozialpolitik und seinem 1973 verkündeten Wohnungsbauprogramm. Doch mehr noch als in privaten Haushalten konnte man PUR-Möbel bald in Clubs, Gaststätten und kulturellen Einrichtungen antreffen.
Zentrale Produktionsstandorte für PUR-Möbel waren das Petrolchemische Kombinat (PCK) Schwedt und der VEB Synthesewerk Schwarzheide mit seinem Zweigbetrieb in Bernsdorf. In der DDR erlangte besonders das „Vario PUR“-Sortiment aus Schwedt mit seinen Beistelltischen, Blumenwannen und vor allem dem expressiv geformten „Känguruh-Stuhl“, heute auch „Z-Stuhl“ genannt, weite Verbreitung. In Bernsdorf war die Produktion für den Export bestimmt, doch einige Modelle, wie das „Garten-Ei“, kamen schließlich auch auf den Binnenmarkt zum Verkauf. Zunehmend bereicherten Entwürfe aus der DDR die Angebotspalette. Sie stammten von Gestalter:innen wieAxel Bruchhäuser, Hans-Jürgen Falley,
Ute Heublein, Rudolf Horn oder Siegfried Mehl.
In den späten 1970er Jahren endete die Ära der Polyurethan-Möbel bereits wieder. Einen letzten Höhepunkt bildeten Exporte in die UdSSR anlässlich der Olympischen Spiele 1980. Die Verteuerung des Rohstoffs Öl, der unerwartet hohe Fertigungsaufwand und ein Wandel des Einrichtungsgeschmacks führten zur Einstellung der Produktion. Nach dem Ende der DDR wurden viele Stücke achtlos entsorgt, inzwischen aber erfreuen sich „Känguruh-Stuhl“, „Garten-Ei“ & Co. eines neu erwachten Interesses – nicht nur bei Designliebhabern: Für viele Ostdeutsche wurden sie zu identitätsstiftenden Zeugen eines untergegangenen Alltags. Die Ausstellung PURe Visionen. Kunststoffmöbel zwischen Ost und West stellt Fragen nach der Aneignung und Entwicklung von Polyurethan in der DDR, nach der Rezeption der originellen Entwürfe und Produkte sowie nach der kulturellen Bedeutung der PUR-Möbel für die Konstruktion individueller und gesellschaftlicher Lebensentwürfe. In einem abschließenden Kapitel befasst sich die Schau mit aktuellen Fragen und Ansätzen der Nachhaltigkeit im Entwurf und in der Herstellung von Kunststoffprodukten.
Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und wurde gefördert durch die Bundestiftung zur Aufarbeitung der SEDDiktatur und durch die BASF Schwarzheide GmbH.
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