Kyra Tabea Balderer hat für Szenario eine neue Werkserie realisiert sowie einen 16-mm-Film, der den Gegensatz von Bewegung und Stillstand thematisiert. Die Künstlerin nutzt die Medien oft in ungewohnter Weise, so sind ihre Fotografien äusserst malerisch und haptisch, das Bewegungsmedium Film dagegen kommt mit einem Minimum an Aktion aus. Während sich die Kamera nahe um eine Frau dreht, blickt diese scharf in die Welt, bewegt die Hände und den Mund.
Wie lange brauchen wir, um zu denken, dass die Frau einen Vogel darstellen könnte? Die Unsicherheit darüber, was wir sehen, ist auch Teil von Balderers fotografischen Arbeiten. Immer wieder fragen wir uns vor ihren Werken: Worum handelt es sich? Was ist das für eine Welt?
Wie gross sind die abgebildeten Objekte?
Aktuell beschäftigt sich Balderer in ihrer Arbeit mit den kulturellen Aspekten der Wahrnehmung. Sie sucht nach archaischen Typen und untersucht, wie viele Formen beziehungsweise Bewegungen es braucht, um ein Objekt oder ein Wesen zu erkennen. Dafür arbeitet sie mit einer Grossformat-Kamera analog auf Film. Das bedächtige Medium setzt Geduld, eine genaue Planung und Erfahrung voraus. Kyra Tabea Balderer wählt Tiefenschärfe und Fokus überaus präzise. Oft ist nur eine Stelle ganz und gar scharf, ein Pinselstrich, der aus dem Dunklen aufleuchtet oder die Schnittkante einer Folie. Im restlichen Bild lösen sich die Ränder der Formen mehr oder weniger in Unschärfe auf. Tiefe entsteht zudem durch den Einsatz von Spiegeln und vor allem durch die exakte Lichtführung, die die Schatten zu wichtigen Akteuren im Bild werden lässt.
Vor Balderers Linse kommen ausschliesslich selbst konstruierte Objekte aus Karton, Holz, Spiegel oder anderen einfachen Materialien, die sie mehr oder weniger bunt bemalt. Teilweise erinnern diese Gebilde an bekannte Dinge, beispielsweise Möbel, Blätter oder Artefakte, teilweise sind nur noch abstrakte Formen zu erkennen, die zwischen organisch und konstruktiv changieren. Dabei legt Balderer ihre Konstruktionen offen, beispielsweise die stabilisierenden Stege an den Palmblättern aus Karton, oder ein Befestigungsfaden wird selbst zum Bildelement. Die Künstlerin inszeniert kleine Welten mit eigenen Gesetzen, Grössenverhältnissen und Farbstimmungen.
Inspiration erhält Balderer durch Nebensächlichkeiten im Stadtraum: Ein All-over aus Blättern, ein Gitter oder ein zufällig entstandenes grafisches Muster. Auch Kunstgeschichte-Bücher dienen der Künstlerin als Bilder-Fundus, wobei sie ein spezielles Interesse für Aufnahmen von Skulpturen und Artefakten hat. Kyra Tabea Balderer verbindet in ihrer Arbeit auf raffinierte Art und Weise Plastik, Malerei und Fotografie, im Einzelbild ebenso wie in der installativen Präsentation.
Die Künstlerin nutzt kräftige Farben als Hintergründe für ihre Werke und spielt mit der Platzierung der Bilder. In der Ausstellung verweisen zwei pavillonartige Architekturen auf den Titel Szenario wie auf die Struktur eines englischen Gartens. Der Ausstellungsraum verwandelt sich so beinah in eines ihrer Bilder, in das Besucherinnen und Besucher eintauchen können.
BIOGRAFIE
Kyra Tabea Balderer, 1984 in Zürich geboren und in Luzern aufgewachsen, studierte 2003/2004 an der Hochschule Luzern Design & Kunst (HSLU) und schloss 2008 mit dem Bachelor Fine Arts an der Hochschule der Künste Bern (HKB) ab. 2011 bis 2012 besuchte sie die MasterKlasse Fine Arts, Work.Master an der Haute école d’art et de design, Genf (HEAD) und im Anschluss die Klasse für Fotografie von Professorin Heidi Specker an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, wo sie 2017 mit dem Diplom bildende Kunst abschloss. Sie zeigte ihre Werke in Einzelausstellungen in Bern, Leipzig und Aarau und war in zahlreichen Gruppenausstellungen in der Schweiz und in Deutschland vertreten. 2014 erhielt sie den renommierten Aeschliman Corti Förderpreis. Kyra Tabea Balderer lebt und arbeitet sie in Berlin.
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