Die Schirn Kunsthalle Frankfurt widmet ab dem 9. Juli ihre gesamte Ausstellungsfläche im Innen- und Außenraum dem eindrucksvollen Werk des US-amerikanischen Multimedia-Künstlers Doug Aitken. Es ist nicht nur die bislang umfassendste Einzelpräsentation von Aitken in Deutschland und darüber hinaus, sondern auch eine raum- und grenzüberschreitende Ausstellung: In der Schirn wird sich Aitkens kaleidoskopisches Universum auf mehr als 1400 m² Ausstellungsfläche entfalten, wesentliche Etappen seines bisherigen kreativen Schaffens werden so im Überblick sichtbar. In atmosphärischen Räumen werden die Kunstwerke „SONG 1“ (2012/2015), „Black Mirror“ (2011), „migration (empire)“(2008) und „diamond sea“ (1997) mit korrespondierenden Skulpturen, wie beispielsweise „Sunset (black and white)“ (2011) und „Listening“ (2011), gezeigt. Die Arbeit „Sonic Fountain II“ (2013/2015)wird die öffentliche und frei zugängliche Rotunde im Außenraum der Schirn in einen akustischsphärischen Ort verwandeln. Der 1968 in Redondo Beach, Kalifornien, geborene Aitken verbindet in seinen vielfach ausgezeichneten Arbeiten dynamisch Film und Musik, Architektur, Performance und Skulptur. Seit mehr als 20 Jahren schafft er dadurch Kunstwerke von faszinierender audiovisueller Intensität und suggestiv-verführerischer Kraft. Nicht ohne Grund gehört Aitken zu einer einflussreichen Generation von Künstlern, welche die Inszenierung des Mediums Film nachhaltig bereichert haben:
Seine Arbeiten zeugen von einer eingehenden Beobachtung der Wirklichkeit und sind Ausdruck einer philosophischen Betrachtung der gegenwärtigen Welt. Er nimmt den Betrachter seiner Film- und Soundarbeiten mit auf eine synästhetische Reise um die Welt und zu sich selbst, stellt existenzielle Fragen des Lebens, liefert jedoch keine einfachen Antworten. Stattdessen bringt er eine fast naive
Begeisterung für das Menschsein und das gemeinschaftliche Zusammenwirken zum Ausdruck. Aitkens Themenwelt kreist fortwährend um die menschliche Zivilisation: die Entfremdung des Einzelnen und die Vereinzelung in der Masse, der Umgang des Menschen mit Natur und Technik sowie die Auswirkungen dieser Faktoren auf das Zusammenleben, auf die menschlichen Beziehungen an sich.
In seinen Projekten hat Aitken die Formen des Ausstellens neu formuliert und hierdurch weltweite Aufmerksamkeit erlangt, sei es mit der Präsentation seiner Arbeiten an den Außenfassaden von Museen, wie „sleepwalkers“ am Museum of Modern Art (MoMA) in New York oder der Inszenierung unvergleichlicher Happenings, wie etwa „Station to Station“, ein Road Trip über 4000 Meilen per Zug von New York nach San Francisco. Sein Konzept des räumlich-grenzenlosen Ausstellens führt Aitken auch in Frankfurt weiter. Er sprengt die Mauern der Schirn und geht in den öffentlichen Raum. So sind Variationen seiner Arbeit „migration (empire)“ (2008) etwa am Frankfurter Flughafen, in Hotels oder auf großen City-Light-Boards an verschiedenen Orten der Stadt zu sehen.
Die Ausstellung „Doug Aitken“ wird durch den Gemeinnützigen Kulturfonds Frankfurt RheinMain im Rahmen seines neuen temporären Schwerpunktthemas „Transit“ (2015–2017) gefördert.
„Seit mehr als zwei Jahrzehnten erweitert Doug Aitken mit seinen Arbeiten die Möglichkeiten unserer Wahrnehmung. Für die Schirn Kunsthalle Frankfurt hat Doug nun zum ersten Mal einen retrospektiven Blick auf sein einflussreiches Werk geworfen. Er hat einen spektakulären Parcours entwickelt, der die Architektur des Gebäudes unsichtbar werden lässt und seine unterschiedlichen Arbeiten gleichzeitig zu einer räumlichen Einheit verbindet“, so Max Hollein, Direktor der Schirn.
Kurator Matthias Ulrich über den Künstler: „Ebenso wie die Überwindung räumlicher Grenzen sind die Bewegung und die Geschwindigkeit zwei wesentliche Motive, die Doug Aitken in seinen aufwendigen, durchdachten und perfekten Arbeiten immer wieder aufgreift. Er ergründet unsere globale und stetig beschleunigte Gegenwart. Seine Werke fordern das unmittelbare Erfahren, das mit der sensuellen
Wahrnehmung beginnt und in der Aktivität endet. Wir befinden uns bei Doug Aitkens Arbeiten nie davor, sondern vielmehr in ihnen.“
Der Ausstellungsrundgang beginnt im Außenraum. In der Schirn-Rotunde findet sich die Arbeit Sonic Fountain II, eine ortsspezifisch erweiterte Version einer Arbeit aus dem Jahr 2013. Sie bildet den Auftakt und liefert zugleich den Soundtrack der Ausstellung. Wasser tropft und strahlt in ein aus Sand und Schotter gebildetes, mit milchiger Flüssigkeit gefülltes Bassin. Eine musikalische Komposition aus flüssigen Geräuschen, die durch die gefäßförmige Architektur der Rotunde akustisch verdichtet wird.
Die Präsentation von „Sonic Fountain II“ wird durch die Mitglieder des Kuratoriums und dem Vorstand vom Verein der Freunde der Schirn Kunsthalle e. V. gefördert.
Die erste Arbeit im Inneren der Schirn ist die Mehrkanal-Videoinstallation SONG 1 von 2012/2015. Ursprünglich für die Fassade des Hirshhorn Museum and Sculpture Garden in Washington D.C. entwickelt, wird die Arbeit nun erstmals im Innenraum auf von der Decke herabhängende zylindrische Leinwände doppelseitig projiziert. „SONG 1“ richtet den Blick auf das nächtliche Treiben in einer USamerikanischen Großstadt. Bilder des gewöhnlichen Alltags bestehend aus Arbeit, endlosen Autofahrten und der Suche nach menschlichem Kontakt, Anschluss und Nähe werden an unterschiedlichen Schauplätzen wie einer Fabrik, einem Schnellrestaurant oder Parkplätzen sichtbar.
Das musikalische Leitmotiv des Films ist das Lied „I Only Have Eyes For You“ (1934, Dames). Aitken lässt verschiedene Protagonisten, darunter Tilda Swinton und Beck, Interpretationen des Liedes singen und bestimmt so den Rhythmus und die Atmosphäre der einzelnen Bilder.
In der zweiten großen Videoinstallation Black Mirror von 2011 thematisiert Aitken das nomadische Reisen einer jungen Frau, die gefangen ist in einem Kreislauf der Errungenschaften und Gegebenheiten der modernen Zivilisation – Flughafen, Hotel, Internet, Highway, Smartphone, Tabletten. Aitken lässt offen, wo sie herkommt, wer sie ist und warum sie reist. Getrieben und angetrieben in einer ständigen Gegenwart ist die Darstellerin, gespielt von der US-amerikanischen Schauspielerin Chloë Sevigny, unentwegt von Ort zu Ort in Bewegung, um ihrer selbst willen. Dabei erscheint es der Reisenden häufig so, als schaue sie sich von außen selbst zu, und die Orte und Landschaften ziehen wie ein Film an ihr vorbei. Die Bewegung – eindrucksvoll von Aitkens Kamera wiedergegeben – ist das eigentliche Thema der Reise und ihr einziges Ziel.
In der darauffolgenden Arbeit migration (empire) von 2008 zeichnet Aitken das Porträt der örtlichen Verlagerung weiter. Er beschreibt den Zustand, überall, aber letztlich nirgendwo zu sein, indem er die Handlung in Motel-Zimmer außerhalb der Metropolen verlegt. Auf drei großen hintereinander aufgestellten Billboardscreens wird die Arbeit in der Schirn präsentiert. In dieser Reihe erinnern sie an
Werbetafeln an einer Straße. Aitkens Kamera führt nach und nach in einzelne Zimmer, in denen Tiere auftauchen: Ein Pferd steht auf einem abgewetzten Teppich, seine Hufe wirbeln Staub auf; ein Biber badet in einer Wanne, Hasen lümmeln sich auf Betten. Eine narrative Handlung ist nicht erkennbar, vielmehr thematisiert Aitken das Sehen an sich und die Denkmuster, die das visuelle Entdecken ein und begrenzen.
Der Ausstellungsparcours endet mit einem im Œuvre des Künstlers zentralen Werk, diamond sea aus dem Jahr 1997 – seine erste Mehrkanal-Videoinstallation und seine erste architektonische Arbeit. Für das Landschaftspanorama verbrachte Aitken Monate in der Wüste Namib im Südwesten Afrikas. Er setzt die einst hochgesicherten und heute zerfallenden Anlagen der Diamanten-Minen mit der
unverwechselbaren Natur in Beziehung. Wie Aitken selbst sagt, zeigt er eine „stille, fast halluzinatorische Phantomwelt“. Bilder der kargen und unwirtlichen Anlage treffen auf poetische Bilder der Wüste und des Meeres. In „diamond sea“ tritt der Künstler bewusst als Autor zurück, um der Rezeption, der körperlichen und geistigen Erfahrung des Werkes Raum zu geben.
Neben den vier großen Videoinstallationen findet sich eine konzentrierte Auswahl an Skulpturen des kalifornischen Künstlers, wie „Speed“ von 2012 oder „1968 (broken)“ aus dem Jahr 2011. Aus unterschiedlichen Materialien gefertigt erinnern sie an leuchtende Werbeschilder, an laute und aggressive urbane Zeichen der Gegenwart. Aitkens Skulpturen schließen an die Themen seiner filmischen Arbeiten an und betonen den interaktiven Charakter seiner Installationen.
SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT,
Römerberg,
60311 Frankfurt
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