Ein Jahr nach Clegg & Guttmanns einzigartigem “Sieben Künste”-Projekt in der nordbrandenburgischen Kleinstadt Pritzwalk eröffnen die beiden Künstler ihre Einzelausstellung “Die Sieben Künste von Pritzwalk” in Potsdam. Im Ausstellungspavillon auf der Freundschaftsinsel zeigen sie eine raumgreifende Installation, in der Elemente der Pritzwalker Innenstadt wie durch die Kulissen einer Theaterbühne angedeutet werden.
Dabei verweisen Fotografien, ein Filmausschnitt und verschiedene Objekte auf Aktionen der Pritzwalker Bürgerinnen und Bürger, die 2014 auf Einladung von Clegg & Guttmann drei Straßen ihrer Stadt zum Schaufenster selbstbestimmter künstlerischer Aktionen gemacht hatten. Sie und ihre Beiträge finden nun in Clegg & Guttmanns Installation ein künstlerisches Spiegelbild, das die Künstler als Gegenentwurf zu “gesellschaftlichen Pseudo-Porträts” verstehen, wie sie aus ihrer Sicht die sozialen Netzwerke von uns zeichnen. “Die Sieben Künste von Pritzwalk” sind ein öffentliches Großporträt.
Um zu verstehen, wie radikal „Die Sieben Künste von Pritzwalk“ die Konventionen und Hierarchien des zeitgenössischen Kunstbetriebs sprengen und wie wortwörtlich dabei Teilhabe verstanden wird, muss man sich vor Augen führen, wie Clegg & Guttmann vom 5. Juni bis zum 7. September 2014 die gesamte 12.500-Einwohner-Stadt Pritzwalk in ihr Projekt einbezogen haben.
Im Rahmen des europäischen Netzwerks „Neue Auftraggeber“ hatten die Künstler nach zweijähriger kuratorischer Vorbereitung mit einem Brief an alle Haushalte zu einem „Stadtporträt“ aufgerufen. Dabei sollten nicht Clegg & Guttmann als Porträtisten darüber entscheiden, welches Bild entsteht. Gezeigt werden sollte in sieben leerstehenden Ladengeschäften ausschließlich, was die Bürgerinnen und Bürger der Stadt – vom professionellen Künstler bis zum technischen Angestellten ohne künstlerische Vorerfahrung, vom Schüler bis zum Pensionär – als Projekt vorschlagen würden. Dabei wurde ausdrücklich auch die Mitwirkung der Bürger bei der Ausführung verlangt. Das Risiko der Teilnahmslosigkeit wurde zum Programm erhoben: Sollte niemand mitwirken, so Clegg & Guttmann, entstünde ein leeres Bild. Auch dieses wäre ein wahrhaftiges Porträt. Die Devise an das Projektteam lautete: „Sagt Ja! Führt alles aus, was sich ausführen lasst.“
Dass Pritzwalk zum Schauplatz eines solchen Experiments wurde, hatte die Stadt einer Gruppe von Bürgerinnen zu verdanken, die sich für die Belebung ihrer Innenstadt einsetzen, die, wie viele strukturschwache Kleinstädte, von einem schwindenden Interesse an der Kernstadt und leerstehenden Gewerbeflächen geprägt ist. Die Bürgergruppe hatte den Brandenburgischen Kunstverein Potsdam als Vertreter des Netzwerks „Neue Auftraggeber“ um ein künstlerisches Konzept zur Belebung der Innenstadt gebeten. Clegg & Guttmann wandelten die dabei entstandene Idee einer Ausstellung über die „schweigende Mehrheit“ radikal um und verlangten von den Bürgerinnen und Bürgern, das Schweigen selbst zu brechen und die Stadt zum Sprechen zu bringen.
Nach anfänglichen Prophezeiungen des Scheiterns wurde das künstlerische Vertrauen in die kreative Vitalität der Stadt reich belohnt. Schon zur Eröffnung lagen 42 Bürgervorschläge zur Nutzung der Geschäfte vor. Bis zum Ende des Projektes sollte diese Zahl auf über 70 Projektvorschläge anwachsen, von denen mehr als zwei Drittel umgesetzt wurden. Sie reichten von Ausstellungen bis zum Rap-Workshop, von der Bauchtanz-Soirée bis zur Einrichtung einer Kinder- und Jugendbibliothek oder der Produktion einer Filmdokumentation. (Unrealisiert blieben nur solche Vorschläge, die technisch oder finanziell nicht zu verwirklichen waren.)
In den drei Monaten des Projekts wurden die beteiligten Pritzwalkerinnen und Pritzwalker so zu Pionieren in ihrer eigenen Stadt. Clegg & Guttmann hatten auf alles verzichtet, was ein Kunstprojekt den heutigen Kunstbetriebsgepflogenheiten nach auszeichnet: Das Projekt hatte keine nach außen gerichtete Öffentlichkeitsarbeit, kein strategisches Design und keine PR-wirksamen Events außerhalb der Region. Der Handlungsort wurde allein durch sieben von einem lokalen Zimmermann gefertigte skulpturale Rahmen markiert, die nun als Vorbild der Potsdamer Ausstellungsinstallation dienen. Wer durch den Rahmen tritt, so machen Clegg & Guttmann deutlich, ist das Bild.
Dieser Verzicht auf vorgefertigte Lösungen und eine Ästhetik von außen hat seither eindrucksvolle Folgen: Aus dem Kreise der Projektteilnehmer gründete sich der Kunstverein „Kunst Freunde Pritzwalk“, inzwischen ein stetig wachsender Verein, der bereits sein einjähriges Bestehen feiert und zum Mieter in einem der Projekträume geworden ist – ein Modell möglicher künftiger Nutzungskonzepte in der Pritzwalker Innenstadt.
Die Potsdamer Ausstellung wird damit zu einer Installation, die den Begriff der „sozialen Plastik“ aktualisiert. Ihr Inneres ist ein lebendiges Bild, das weiterhin die Pritzwalker Bürger bestimmen. Verändert sich ihre Stadt, verändert sich das Bild, auf das Clegg & Guttmann sich beziehen. Andererseits zählt eine Projektchronik, die Clegg & Guttmann und der BKV im November der Öffentlichkeit vorlegen werden, als Geschichtsbuch kreativer Selbstbestimmung zum Projekt.
Mit dem langen Atem einer Stadtchronik zeigt die Publikation die Geschichte eines Dialoges, der 2011 begann und 2015 in der Potsdamer Ausstellung endet. „Die Sieben Künste von Pritzwalk“ sind damit auch eine Kritik an der alles beherrschenden Projektlogik mit schnellen Erfolgen und schönen Bildern. Clegg & Guttmann deuten an, dass sich soziale Wirklichkeiten und politische Realitäten nur in facettenreichen, „langsamen“ Bildern repräsentieren lassen. Sie brauchen Geduld. Ihre Kunst demonstriert beharrlich das Vertrauen in diese Geduld.
Ausstellungspavillon auf der Freundschaftsinsel, Potsdam
(über Burgstraße oder Lange Brücke erreichbar)
Geöffnet Mittwoch bis Sonntag 13 bis 17 Uhr
BKV Potsdam e.V.
14404 Potsdam
Deutschland
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