Der Körper im 21. Jahrhundert: Projektionsfläche der verschiedensten Ansprüche des Selbst wie der Anderen. Und zugleich Grundlage und Austragungsort unzähliger Fantasien, Wünsche und Begierden. Zunehmend ist er herausgefordert von technischen Erweiterungen wie den Möglichkeiten der Digitalisierung. Und dennoch ist er mehr als bloß ein Knotenpunkt innerhalb eines virtuellen Datennetzwerks im Nirgendwo. Er ist und bleibt die Basis unseres Handelns.
Dieser komplexen Verflechtung geht die Ausstellung Body in Pieces nach. Sie thematisiert zentrale Widersprüche unserer Gegenwart am Beispiel des menschlichen Körpers. In den Arbeiten der sieben internationalen Künstler*innen erscheint der menschliche Körper immer wieder in fragmentierter Form. Der gefühlte Verlust körperlicher Ganzheit gehört zu den drängenden Themen, die sich heute hinsichtlich der technologischen, sozialen und ethischen Bedingungen des Menschen stellen. Der Körper ist ein zutiefst von äußeren Interessen durchwobenes Gebilde, dessen Grenzen sowohl wörtlich als auch sinnbildlich porös geworden sind.
So kollidieren am Körper beispielsweise technologische Zukunftsvisionen mit reaktionären Moralvorstellungen. Weiterhin stehen die scheinbar frei wählbaren Möglichkeiten der Körpermodifizierung unter dem neoliberalen Druck, für seinen Körper selbst verantwortlich zu sein. Gleichzeitig bleibt der Körper nach wie vor die faszinierende organische Basis unserer Wünsche und Begierden. In den zahlreichen, zum Teil eigens für die Ausstellung entstandenen Rauminstallationen sowie in Videos, Skulpturen, Gemälden und Wandmalereien verbinden sich aktuelle wie zeitlose Fragen zur Conditio Humana.
Wie der menschliche Körper zur Erzeugung von Wissen formatiert und instrumentalisiert wird, ist das zentrale Thema der künstlerischen Arbeit von Mariechen Danz. Ihre für die Ausstellung entstandene, mehrteilige
Rauminstallation setzt den Fokus auf das Innere des Menschen und darauf, dass Organe die Rolle von Wissensspeichern einnehmen. In ihrer Arbeit für die Ausstellung im KAI 10 verbindet Lili Reynaud-Dewar Schaufensterpuppen mit einem auf Texttafeln gedruckten und als Soundarbeit konzipierten Opernlibretto.
Darin inszeniert die Künstlerin eine fiktive Debatte über die kulturelle Aneignung rassifizierter Körper. Diese hat ihren realen Ursprung im Werk eines USamerikanischen, weißen Malers, der sich Bilder von Polizeigewalt gegen Schwarze als Motiv aneignete. Ryan Trecartins Videoinstallation Sibling Topics (2009) widmet sich dem Einfluss der Massenmedien und digitalen sozialen Netzwerke auf unser Denken und Fühlen. Trecartins kreatürliches Universum ist besiedelt von affektgebundenen, vernetzten Körpern, die beständig auf äußere Impulse reagieren und diese in ihrer eigenen sozialen Echokammer weiterleiten. Realität und Fiktion überschneiden sich in der zweiten filmischen Arbeit der Ausstellung.
Three Casualties (2018) von Jens Pecho zeigt Szenen aus Spielfilmen, in denen Doubles beim Dreh von Stuntszenen zu Tode gekommen sind. Pecho vergegenwärtigt die doppelte Gegebenheit des Körpers: als medialer Körper, der
den physischen Tod wie ein unsterblicher Zombie ‘überlebt‘ und als existentielle Erfahrungsdimension, die den Menschen an seine Leiblichkeit erinnert. Leda Bourgognes Assemblagen und Malereien stecken mit ihren unterschiedlichen Öffnungen, Materialverknotungen und Verklebungen voller Anspielungen auf einen fragmentierten Körper. Viele ihrer Arbeiten kreisen um scheinbar gegensätzliche körperliche Handlungen und spielen virtuos auf der Klaviatur unserer Gefühle: Verletzung paart sich mit Heilung, zertrennte Elemente werden nachträglich zusammengenäht oder geklebt und zur Kompensation mitunter sogar geküsst.
Monica Bonvicini führt uns die kulturelle Prägung des Körpers durch Sprache und durch seine Medienumwelt vor Augen. Neben einer neuen skulpturalen Arbeit und einer ihrer prägnanten Leuchtschriften ist sie in der Ausstellung mit Neck to Knees #3 (2016) vertreten. Die Collage besteht aus Fragmenten jener Körperzonen, die in der erotisierten Werbung als Schlüsselelemente eingesetzt werden. Den Verlust körperlicher Ganzheit konterkariert die Künstlerin mit einer geradezu obsessiven Fleischlichkeit, die von dem Strudel pinkfarbener, filetierter Körperteile ausgeht und ein latentes Unbehagen evoziert. Die Bilder von Nadira Husain sind bevölkert von Mischwesen und einer kreatürlichen Welt, die auf anderen Körperauffassungen basiert als den durch westliche Normen geprägten. Als Grundlage ihrer farbenprächtigen Gemälde dienen der Künstlerin historische Kalamkaris und Ikats aus Indien, die selbst schon in ein beziehungsreiches Geflecht kultureller Bedeutungen eingebettet sind. In der Ausstellung in KAI 10 zeigt Husain unter anderem ein mehrteiliges Wandbild, in dem sich ihre Symbolwelt räumlich verdichtet.
MONICA BONVICINI, LEDA BOURGOGNE, MARIECHEN DANZ, NADIRA HUSAIN,JENS PECHO, LILI REYNAUD-DEWAR, RYAN TRECARTIN
Kataloge/Medien zum Thema:
Ryan Trecartin
Kunsthochschule Berlin-Weißensee
Verein Berliner Künstler
Galerie im Körnerpark
neurotitan
Kommunale Galerie Berlin