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Bewegliche Teile. Formen des Kinetischen - Museum Tinguely, Basel (9.3.-26.6.2005)



Die Ausstellung geht der Frage nach, welche Entwicklung sich von der Mitte des 20.Jh.s in Kinetik und Maschinenkunst ausmachen lässt und welche Relevanz die "beweglichen Teile" in der zeitgenössischen Kunst heute haben.

«Tatsächlich, die moderne Technik ist anonym, allumfassend und diskret geworden. Letzteres auch, indem sie das Rad und die zirkuläre Bewegung, etwa beim Computer, völlig zu verbergen vermag, während meine Plastiken gerade auf diesem Prinzip, auf Rad und Kreisbewegung, beruhen. Aber weil die Technik geräuschlos geworden ist und sich mit Design, mit der glatten Schale und der Stromlinienform maskiert, macht sie uns vergessen, dass wir von ihr beherrscht werden, dass wir in einem technischen Zeitalter leben, das übrigens gerade erst vor drei Generationen richtig begonnen hat. Meine Maschinenplastiken sollen diesen Tatbestand wieder ans Licht bringen. Das können sie aber nur, wenn zwischen ihnen und dem im Gebrauch stehenden technischen Apparat ein gewisses zeitliches Gefälle besteht. [...] Kunst müsste sich selbst aufgeben, wenn sie mit den neuesten technischen Erfindungen standhalten wollte. Als Plastiker muss ich mich um das gestalthafte, überschaubare Gebilde bemühen, während die Technik, wie ich eben ausgeführt habe, sich gerade davon weg in die immer undurchdringlichere Anonymität bewegt.»

Was Jean Tinguely, ein Hauptmeister der kinetischen Kunst im 20. Jahrhundert, in den 1960er Jahren dem technischen Zeitalter attestierte, erscheint aus heutiger Sicht geradezu prophetisch, zählen doch Anonymität der Maschinen, Verschleierung technischer Vorgänge und Vergessen des technisierten Alltags längst zu den Gesetzmässigkeiten der digitalen Ära.

Die Aktualität der Maschinenkunst erklärt sich aber nicht nur aus dem Gegensatz zur zeitgenössischen gebräuchlichen Technik, deren untransparente Mechanismen sie offen zu legen versucht. Vielmehr ist es die Frage nach der Eigenart der Maschine und ihrer Beziehung zum Menschen am Beginn des 21. Jahrhunderts, die sich im Zusammenhang mit dem stets aktuellen Thema von Überschneidungen zwischen biologischem und künstlichem Organismus stellt. Eine Standortbestimmung von Maschinenkunst heute ob dieser Relevanzen und Aktualitäten ist das Ziel, das zur Konzeption einer Ausstellung mit dem Titel «Bewegliche Teile» geführt hat.

Das Projekt entstand in Zusammenarbeit von Kunsthaus Graz und Museum Tinguely Basel und hat als Orientierungspunkt die legendäre Ausstellung «The Machine», die 1968 im Museum of Modern Art die Entwicklung von Kunst-Maschinen und Maschinenkunst seit der Renaissance bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts dokumentierte. Der Kurator Pontus Hultén versah das ambitionierte Projekt mit einem vielsagenden Untertitel «The Machine as seen at the end of the mechanical age». Wie viele seiner Zeitgenossen sah er am Ausgang der Sechzigerjahre das Ende des mechanischen Zeitalters heraufdämmern. Die seines Erachtens unmittelbar bevorstehende elektronische Epoche verband sich für ihn mit gewaltigen Umwälzungen, die er emphatisch beschrieb: «By the year 2000, technology will undoubtedly have made such advances that our environment will be as different from that of today as our present world differs from ancient Egypt». Insofern konnte (und sollte) die von ihm organisierte Schau auch als Resümee und Abgesang auf eine ganze Epoche verstanden werden, der die mechanische Maschine zum (disziplinierenden) Modell selbst für den menschlichen Körper gedient hatte und deren Kunst fasziniert gewesen war von ihrer Klarheit, Präzision und Eleganz.

Diesseits des Übergangs vom elektronischen zum digitalen Zeitalter angekommen sehen wir die Dinge nüchterner. Heute erscheinen uns Hulténs Visionen ähnlich antiquiert, wie seine Zeitgenossen diejenigen eines Edward Bellamy oder Jules Verne gesehen haben müssen – dies nicht zuletzt ein Symptom für die immer kürzere Haltbarkeitsdauer von Utopien. Auch der sich in Hulténs Titelgebung äussernde, für die Moderne typische Fortschrittsglaube, dem künstlerische Entwicklung nur in eine Richtung möglich und alles «überwunden» Geglaubte als endgültig abgetan erschien, erweist sich heute seinerseits als historisch.

«Bewegliche Teile» stellt nun die Frage nach der Aktualität von Maschinen- und kinetischer Kunst für zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler und entwirft eine Entwicklungsgeschichte innerhalb einer Epoche, die unmittelbar an die der Ausstellung «The Machine» von 1968 anschliesst. In einem ersten Teil dokumentieren Werke von Yaacov Agam, Pol Bury, Gerhard von Graevenitz, Hans Haacke, Rebecca Horn, Stephan von Huene, Piotr Kowalski, Bruce Nauman, Jason Rhoades, Jesus Rafaël Soto, Jean Tinguely, Guenther Uecker, Krysztof Wodiczko u.v.a. die Relevanz von Kinetik und Maschinenkunst von der Mitte des 20. Jh. bis heute.

Ein zweiter Teil der Ausstellung zeigt Arbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler, die im Felde der Maschinenkunst tätig sind und eingeladen wurden, einen Beitrag zu realisieren: Speziell für «Bewegliche Teile» haben Thomas Baumann, Julien Berthier, Malachi Farrell, Joachim Fleischer, Jeppe Hein, Wendy Jacob, Fernando Palma Rodriguez, Sabrina Raaf, Werner Reiterer, Jason Rhoades, Martin Walde und Christiaan Zwanikken unterschiedlichste Arbeiten geschaffen. Sie zeigen die ganze Vielgestaltigkeit bewegter Kunst: So deuten Raaf und Hein mit ihren Arbeiten den Begriff der Betrachterbeteiligung neu, Berthier und Jacob schaffen Apparaturen für neue Formen der sozialen Interaktion. Und während in den Installationen von Palma Rodriguez und Farrell das Narrative und Theatralische im Vordergrund steht, arbeiten Zwanikken und Walde an der Schnittstelle zwischen Organismus und Apparatur.

Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog mit Beiträgen von Guy Brett, Söke Dinkla, Rolf Pfeifer und Britta Glatzeder, Christian Theo Steiner, Peter Weibel sowie einem Vorwort von Guido Magnaguagno und einer Einleitung von Peter Pakesch erschienen. Die Ausstellungsprojekte sind von Kommentaren und Interviews begleitet, während die übrigen Werke in Kurzkommentaren vorgestellt werden. (Pressetext)

Abbildung: Hans Haacke, Blue Sail, 1964/1965, Chiffon, Ventilator, Fischergewichte, Faden, Ca. 275 x 275 cm, Besitz des Künstlers, als Dauerleihgabe im Museum für Gegenwartskunst Siegen, © 2005 ProLitteris, Zürich, © Foto: Wolfgang Neeb

Ausstellungsdauer: 9. März bis 26. Juni 2005

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 11-19 Uhr | Montag geschlossen

Museum Tinguely | Paul Sacher-Anlage 1 | Postfach 3255 | CH-4002 Basel | Telefon: +41 (0)61 681 93 20

www.tinguely.ch

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