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Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis
Wenn Jonathan Meese effektvoll seine Vision des Parzival in Szene setzt und der mittlerweile verstorbene und posthum glorifizierte Übermensch Christoph Schlingensief an der Schnittstelle zwischen Theater, bildender Kunst und Performance Art operiert, ist klar, dass die lange Zeit hermetisch gezogene Grenze zwischen Kunst und Theater wenn nicht aufgelöst, so doch im Auflösen begriffen ist.
Von dieser Position aus geht Werner Hanak-Lettner einen mutigen Schritt weiter, wenn er in seinem eben erschienenen Buch Die Ausstellung als Drama. Wie das Museum ais dem Theater entstand behauptet: Nicht nur vermischen sich die oben genannten Disziplinen, sondern ist die Ausstellung aus dem Drama heraus begründet. Grund genug, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.
Am Anfang war Aristoteles. Dessen Poetik gilt als einer der Grundlagentexte der Dramentheorie; wer sich im weitesten Sinne mit Theater beschäftigt, kommt nicht daran vorbei. Anhand des klassischen Aufbaus, sprich der Unterteilung in fünf Akte, der dargestellten Thematik und der berühmten Einheit von Ort, Zeit und Handlung definiert der griechische Philosoph die Richtlinien des klassischen Dramas. Diese Richtlinien glaubt nun der Autor Hanak-Lettner in zeitgenössischen Ausstellungen wieder zu finden. Indem er sich an der Abfolge einer exemplarischen Tragödie, nämlich der des König Ödipus orientiert, geht er Schritt für Schritt deren einzelne Teile durch und überträgt sie auf den musealen Kontext. Der Einleitungstext übernimmt dabei die Funktion des Einzugsliedes, das den Zuschauer, respektive Besucher auf das Kommende einstimmt, während den über den Ausstellungsraum verteilten Raumtexten die Funktion der Standlieder zukommt und der Objekttext, also die Beschriftung einzelner Werke, der Stimme des Chorführers entspricht .
In diesem Zusammenhang kommt Hanak-Lettner auf die höchst ambivalente Rolle des Kurators zu sprechen. Ist dieser Kurator aus historischer Perspektive nicht mehr als eine Figur unter vielen, hat er spätestens mit Harald Szeemann die Rolle des Allround-Talents übernommen oder, dramatisch gesprochen, ist heute mehr denn je ein Spielführer, der die Fäden in der Hand hält. Wenn Hans Ulrich Obrist in seinen Interviews die Rolle des Kurators auf jene des Kritikers und Künstlerfreundes ausdehnt und eine Ausstellung durch den Zusatz „curated by“ eine Aufwertung erhält, die gleich bedeutend mit der Liste der teilnehmenden Künstler ist, so sind dies keineswegs Einzelphänomene. Um mit Justin Hoffmann zu sprechen: „God is a curator“.
Analog zur mittlerweile unbestrittenen Annahme, dass der Ausstellungsbesucher nicht bloß unbeteiligter Beobachter ist, der dem Kunstwerk mit „interesselosem Wohlgefallen“ begegnet, sondern aktiv Rezipierender, der, seiner physischen und psychischen Anteilnahme wegen, das Werk mitkonstituiert, sieht Hanak-Lettner diesen Besucher als Akteur, der sich im Ausstellungsraum wie auf einer Bühne bewegt und mit den Dingen im Raum in einen Dialog tritt. Neben Aristoteles, der ein Fixpunkt in den Ausführungen des Autors bleibt, werden unter anderem Brechts Episches Theater und Leibniz’ Theater der Natur und Kunst als historische Modelle hinzugezogen.
Neben diesen besonders im Falle Brecht ungewöhnlichen und aufschlussreichen Überlegungen misst der Autor insbesondere der im 18. jahrhundert aufgekommenen „Öffentlichkeit“ große Bedeutung zu. Dieses gefürchtete Laienpublikum, das sich plötzlich über vorgefertigte Urteile und die ausschließlich von Käufern diktierte Kunstproduktion hinwegsetzt und in den Salon-Ausstellungen der Akademie selbstbewusst über Erfolg und Scheitern eines Künstlers entscheidet, ist, so die These, im Wesentlichen durch die Erfahrung der Pariser parterre beeinflusst. Hier wurde durch Klatschen, Rufen und körperlichem Einsatz über das Schicksal von Schauspiel- und Dramatikerkarrieren entschieden und diese neu gewonnene quasi autoritäre Funktion wollte sich das Volk in den Ausstellungsräumen nicht mehr nehmen lassen.
Bis zur vollständigen Emanzipation des Bürgers ist es von da ab allerdings noch ein weiter Weg und erst mit dem auf Ende der 1960er Jahre zu datierenden Performative Turn – der mittlerweile nicht nur in den Kunst- und Kulturwissenschaften, sondern quer durch alle Disziplinen hindurch zum geflügelten Wort geworden ist – kommt dem Rezipienten eine tatsächlich tragende Rolle zu. Besonders interessant für Hanak-Lettners Analyse ist dabei, dass mit der Performancekunst eine im wahrsten Sinne des Wortes theatrale Situation in den Ausstellungsraum geholt wird, wobei deren Bedingungen – die physische Anwesenheit von Künstler und Rezipienten und deren gleichzeitig erlebte Zeit – gleich bedeutend mit denen des Theaters sind.
Auch wenn gegenwärtig nicht jede Ausstellung zwangsweise interaktiven Charakter hat (Gott sei Dank, um mit dem Autor zu sprechen) und nach wie vor Regeln gelten wie „Nicht essen, nicht trinken!“ und „Anfassen verboten!“ um, so Hanak-Lettner, sowohl die Besucher vor den Kunstwerken (als Beispiel nennt er Ana Maria Tavares’ Landscape with Exit and Exit II), als auch – und diese These ist besonders aufschlussreich – die Kunstwerke vor dem Besucher zu schützen, so scheint die aktive Rolle des Rezipienten nicht mehr angreifbar.
Infolgedessen ruft der Autor auch zu einer leisen Revolution gegen die Allmachts-Position des Kurators auf und erinnert den Leser daran, dass er, mehr noch als ein Theaterbesucher, den doch in den meisten Fällen die vierte Wand vom Bühnengeschehen trennt, die Macht hat, das Kunstwerk mitzugestalten.
Was würde wohl Jonathan Meese dazu sagen? Die Diktatur der Kunst ist jedenfalls angreifbar geworden.
Werner Hanak-Lettner: Die Ausstellung als Drama. Wie das Museum aus dem Theater entstand.
Erschienen bei Transcript in der Reihe Kultur- und Medientheorie, 2010.
248 S., zahlreiche Abbildungen,
26,80 EUR
ISBN 978-3-8376-1600-2
Eva Biringer
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