Erzählungen von Großmüttern sind oft nostalgisch oder verklärt, manchmal auch berührend oder aufwühlend. Immer aber bringen sie die Enkelkinder zum Nachdenken – über die eigene Herkunft und Identität. Der Zweite Weltkrieg führte für viele Familien zu großen Umbrüchen, das Wissen darüber liegt bei der älteren Generation, wirkt aber über die Generationen hinweg nach. In der kommenden Ausstellung „Zeitspuren. Reisen in die Vergangenheit“ des Kunstforums Ostdeutsche Galerie greifen die Künstlerinnen Susanne Hanus und Tatjana Utz diese Entwicklungslinien auf und stellen den Zusammenhang zwischen persönlicher Geschichte und Zeitgeschichte, zwischen Individuum und Gesellschaft sowie zwischen den Lebensgeschichten der Großmütter und denen der Enkeltöchter her.
Den Impuls für die Bild-Text-Installationen von Susanne Hanus und Tatjana Utz, die in der Ausstellung „Zeitspuren“ erstmals gemeinsam gezeigt werden, gaben in beiden Fällen unabhängig voneinander die Erzählungen ihrer Großmütter. Familiengeschichte verbindet sich in den künstlerischen Projekten mit einem zentralen Ereignis der neueren Geschichte – dem Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen. In Auseinandersetzung mit dieser Thematik begaben sich die Künstlerinnen jeweils auf eine im übertragenen wie wörtlichen Sinne grenzüberschreitende Reise, die von Fragen nach Heimat, Verlust und Neubeginn bestimmt war.
Susanne Hanus (*1975 Berlin) fuhr 2008 mit ihrem Vater und ihrer Großmutter in deren Geburtsstadt in der heutigen Ukraine. Unterwegs entstanden Zeichnungen, Fotos und Tagebuchnotizen, aus denen sie das Projekt „Reise nach Czernowitz“ entwickelte. Auf der Suche nach der eigenen familiären Vergangenheit, die von Umsiedelung und Flucht geprägt war, stellte sie fest, dass die Familiengeschichte nicht von den Ereignissen der Zeitgeschichte zu trennen ist. Ihre extra für die Ausstellung gefertigte Installation „Verstrickungen“ mit farbigen Wollfäden im Foyer des Kunstforums beruht auf der Erkenntnis, dass alles miteinander verknüpft ist.
Tatjana Utz (*1975 Starnberg) führte für ihre Installation „Über Grenzen“ Interviews mit Menschen in Polen und Deutschland, in deren Leben der Zweite Weltkrieg den entscheidenden Wendepunkt darstellte. Lebensgeschichten, auf historische Tapeten
gedruckt, kombiniert die Künstlerin mit Malereien, die nach Fotografien als Umrissbilder von Figuren und Objekten gefertigt wurden: Schicksale werden in einer Art begehbarem Bilderbuch lebendig.
Über die subjektive Perspektive ihrer Arbeiten eröffnen die Künstlerinnen den Betrachtern einen Zugang, der Geschichte anschaulich werden lässt und zugleich dazu herausfordert, die Schnittstellen zwischen der persönlich-biografischen und der politisch-gesellschaftlichen Ebene näher zu bestimmen. So leistet die Regensburger Ausstellung nicht nur einen wertvollen Beitrag zur Erinnerungskultur, sondern verwirklicht durch die vielschichtige Darstellung vergangener und aktueller Beziehungen zwischen Ost und West auch den Stiftungsauftrag des Kunstforums.
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