Wie spiegeln sich historische und kulturelle Transformationsprozesse im Medium der Fotografie? Mit mehr als 500 fotografischen Werken aus Afrika, seiner Diaspora und Europa zeichnet die Ausstellung „Dialoge im Wandel.
Fotografien aus The Walther Collection“ die Entwicklung der Fotografie als eine Geschichte transnationaler Parallelen und Widersprüche nach. Sie zeigt die Bezüge zwischen den Anfängen ethnografischer Dispositive während der Kolonialzeit, der selbstbestimmten Studiofotografie vor, während und nach den Unabhängigkeitsbewegungen und dem visuellen Aktivismus der konzeptuellen Bildprojekte einer jüngeren Generation von Künstler*innen im 21. Jahrhundert. Die hier zusammengestellten Fotografien und Medienkunstwerke decken das ambivalente – und sich wandelnde – Verhältnis zwischen Bild und Selbstbild, Porträt und sozialer Identität, Darstellung und Inszenierung auf. Die für die Ausstellung ausgewählten Werke fordern auf, die gängigen westlichen Vorstellungen und weißen Konstruktionen vom Kontinent Afrika kritisch zu hinterfragen. Sie kritisieren das Konzept des ‚Anderen‘, das Konstrukt des Rassismus, den Status quo jahrhundertealter Fremdzuschreibungen und engagieren sich für mehr Empathie, Sichtbarkeit, Respekt und Aufmerksamkeit in den komplexen Prozessen des sozialen Zusammenlebens.
Wichtiger Ausgangspunkt und wegweisender Kompass für die Ausstellung „Dialoge im Wandel“ ist die 2010 von Okwui Enwezor (1963–2019) kuratierte Gruppenausstellung „Momente des Selbst: Porträtfotografie und soziale Identität“ in The Walther Collection (NeuUlm). Enwezor, einer der einflussreichsten Kuratoren der letzten Jahrzehnte, widmete seine Präsentation der Frage nach den konzeptuellen, performativen und experimentellen Möglichkeiten des fotografischen Mediums am Beispiel der Porträt- und Landschaftsfotografie. Er vertrat die These, dass die Geschichte und Praxis der Fotografie geografisch und historisch nicht gleichförmig verlaufen, sondern von Brüchen und Widersprüchen geprägt worden seien. „Hier nun ist Porträtkunst im wahrsten Sinne des Wortes ein Theater- und Maskenspiel, das auf dem Trick der Selbstkonstruktion aufbaut. Die Figur im Bild wird nicht nur abgebildet und zur Schau gestellt, sondern besteht darauf gesehen, angeschaut und begehrt zu werden. Diese Aufforderung hat eine aktive Qualität. Sie verschiebt die Zeitlichkeit des fotografischen Bildes von der Verkörperung einer vermittelten Vergangenheit in den Bereich der Gegenwart,“ hat Enwezor 2010 geschrieben. Mit seinen umfangreichen wissenschaftlichen Beiträgen entwarf Okwui Enwezor zugleich ein umfassendes Verständnis für eine globale Theorie der Fotografie, von der die allgemeine Kunstgeschichte der Gegenwart bis heute nachhaltig geprägt wird.
Ein gutes Jahrzehnt später würdigt die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen die wegweisende Pionierleistung Okwui Enwezors sowie das außergewöhnliche Engagement des
Sammlers Artur Walther. Dank ihrer intensiven Recherche und fundierten Beiträge zur Erweiterung der Kulturgeschichte der Fotografie ist es uns heute möglich, auf über ein Jahrhundert historisch gewachsene Foto-Narrative zurückzublicken und bahnbrechende Bildprojekte vorzustellen, die in den Diskursen dieses Museums bisher kaum berücksichtigt
wurden.
Wie 2010 in „Momente des Selbst“ und auch in der 2013 von Tamar Garb kuratierten
Schau „Distance and Desire“ markieren im K21 dialogische Gegenüberstellungen mit Seydou Keïta und August Sander; Malick Sidibé, J.D. 'Okhai Ojeikere, Bernd und Hilla Becher;
Santu Mofokeng und Alfred Martin Duggan-Cronin als konzentrierte Zeitkapseln den Ausstellungsrundgang. Sie skizzieren die komplexen und sich wandelnden Wechselbeziehungen zwischen gesellschaftlichen Veränderungen, sozialen Identitätsprozessen und künstlerischen Bildproduktionen. Sichtbar werden die dokumentarischen Möglichkeiten der
Porträtdarstellung, die Bedeutung typologischer, taxonomischer und serieller Strukturen für
das Medium der Fotografie sowie die Ambivalenz, Kontrolle und Macht des fotografischen
Blicks.
Künstler*innen: Martina Bacigalupo, Sammy Baloji, Oladélé Ajiboyé Bagboyé, Yto Barrada, Bernd und Hilla Becher, Jodi Bieber, Edson Chagas, Mimi Cherono Ng’ok, Kudzanai Chiurai, Alfred Martin Duggan-Cronin, Theo Eshetu, Em’kal Eyongakpa, Rotimi Fani-Kayode, Samuel Fosso, François-Xavier Gbré, David Goldblatt, Kay Hassan, Délio Jasse, Seydou Keïta, Lebohang Kganye, Sabelo Mlangeni, Santu Mofokeng, S.J. Moodley, Zanele Muholi, MwangiHutter, Mame-Diarra Niang, Grace Ndiritu, J.D. 'Okhai Ojeikere, Dawit L. Petros, Jo Ractlif-fe, August Sander, Berni Searle, Malick Sidibé, Penny Siopis, Mikhael Subotzky, Guy Tillim, Hentie van der Merwe, Nontsikelelo V
leko, Sue Williamson und mit historischen Studioaufnahmen u. a. von Samuel Baylis Barnard, Kimberley Studio, W. Rausch und zahlreichen namentlich bekannten oder nicht identifizierten Fotograf*innen.
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Grabbeplatz 5
40213 Düsseldorf
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