Sechs Künstler unterschiedlicher Generationen beobachten und reflektieren in der Ausstellung »Mental Diary« ihren Alltag mit fotografischen, zeichnerischen,
malerischen und filmischen Arbeiten. Subjektiv Beobachtetes, Erlebtes oder Erfahrenes wird in unterschiedlichen Positionen aufgefangen, archiviert und in die jeweilige atmosphärische künstlerische Sprache transformiert.
Im Zusammenspiel von »Ich« und »Welt«, von äußerer Lebensrealität und individueller Wahrnehmung zeigt die Schau unterschiedliche Formen der Aneignung und Notationen der täglichen Routine: von Standortbestimmungen mit autobiografischem Charakter, in denen die eigene Identität über Alltagssituationen verhandelt wird, bis zu Momentaufnahmen, die die politische, gesellschaftliche oder kulturelle Gegenwart reflektieren und kommentieren.
Ein Selbstportrait durch Fotografien von Gegenständen, die ihn in seinem Atelier und zu Hause umgeben, zeichnete Sol LeWitt (*1928 in Hartford, USA, †2007 in New York) bereits in den 1980 Jahren: Sein Künstlerbuch Autobiography (1980) versammelt auf 128 Seiten die fotografische Inventarisierung des unmittelbaren Umfelds zu einem typologischen Archiv. LeWitt nutzt die Fotografie als Medium der Bestandsaufnahme. Die formal stringente, seriell angelegte Werkserie repräsentiert nicht zuletzt seine konzeptuelle Kunstauffassung.
Wie LeWitts Arbeiten lassen sich die Filmtagebücher von Jonas Mekas (*1922 in Biržai, Litauen, lebt in New York) als wiederzuentdeckende Schlüssel- bzw. Referenzwerke
im Kontext der Ausstellung lesen. Er ist einer der einflussreichsten Protagonisten des Experimentalfilms des 20. Jahrhunderts. Sein Film As I was moving ahead occasionally I saw brief glimpses of beauty (2000) steht paradigmatisch für sein Werk und ist eine Rückblende in sprunghafte, fragmentierte Erinnerungen eines über achtzigjährigen Künstlers, der seine mit der Handkamera eingefangenen, unmittelbaren Bilddokumente aus fast 30 Jahren zu intuitiven Erzählungen zusammenfasst und dabei Augenblicke von vergehender Schönheit entstehen lässt.
Eine selbstverständliche Verknüpfung von Kunst und Leben kennzeichnet auch die Malereien von Dietmar Lutz (*1968 in Ellwangen, lebt in Düsseldorf). Mit dem unverstellten Blick eines Flaneurs setzt Lutz die Eindrücke seines sozialen Umfelds, aus dem Atelier, der Wohnung oder auf Reisen mit schnellen, gekonnten
Pinselstrichen ins Bild. Der Künstler offenbart metaphorische Impressionen von Privatsphären, zugleich sind seine Bilder reflektierte und durch kunsthistorische
Verweise beeinflusste Beobachtungen, die die Frage nach der eigenen Rolle in der Welt repräsentieren.
Dan Perjovschi (*1961 in Sibiu, Rumänien, lebt in Bukarest) kommentiert in seinen pointierten, anarchischen Zeichnungen aus wenigen Linien sowohl zufällige
Begegnungen wie auch aktuelle Ereignisse lokaler und internationaler (Kultur-)Politik. Mit unschiedlich gefärbtem Humor reduziert der Maler komplexe Gedanken und Beobachtungen auf verdichtete, bildliche Kommentare, die er zunächst in Notizbüchern festhält und dann unmittelbar auf den Wänden des Kunstvereins umsetzen wird.
In Ketuta Alexi-Meskhishvilis (*1979 in Tiflis, Georgien, lebt in Berlin) Fotografien werden Bilder aus dem öffentlichen und privaten Raum miteinander verbunden.
Blumen, Blattwerk, Gebäude, Freunde und Verwandte arrangiert die Fotografien zu ornamentalen Kompositionen. Es entstehen abstrakte Bilder, die sich nicht vollständig aufschlüsseln lassen und die durch atmosphärische Qualitäten bestechen. Für den Kunstverein Hannover realisiert die Künstlerin eine poetische Installation, die mit bedruckten Vorhängen das klassische Thema des Interieurs und dessen metaphorischen Bedeutung spielerisch aufgreift.
Auf den seit den1970er Jahren auf Reisen entstehenden Fotografien der Serie der »gestiefelten Katze« von Christiane Möbus (*1947 in Celle, lebt in Hannover) setzt die Künstlerin ihre Füße und ihre unmittelbare Umgebung ins Bild. Eine solche fotografische Alltagsnotate zu einer persönlichen Geografie bildet auch das ausgestellte Bild Bayreuth (2000/05), das im Dialog mit der ortsspezifisch entwickelten Bodenarbeit »Ansichtssache« (2015) – einer assoziativen Weltkarte, durch die Buchstaben wie Eisschollen flottieren – Gedanken zur Verortung des Selbst und des Anderen entwickelt. Die besondere Architektur der Raumfolgen im Kunstverein eröffnet einen
Ausstellungsparcours, der als assoziativer, poetischer Gang mit facettenreichen Ansichten über das Leben anhand sechs aufeinander folgender Einzelpositionen lesbar wird. Die Ausstellung wird ergänzt durch ein umfangreiches Rahmenprogramm, wie einen Vortrag zum filmischen Werk Jonas Mekas von Prof. Thomas Wagner (Nürnberg), Künstlergespräche im Künstlermonat Juni mit Dan Perjovschi, Ketuta Alexi-Meskhishvili, Christiane Möbus und Dietmar Lutz sowie zahlreiche Führungsformate und Workshops. Verschiedene Kooperation ergänzen den Kunstsommer im Kunstverein: Das Koki – Kino im Künstlerhaus zeigt eine ausstellungsbegleitende Filmreihe zum Alltäglichen im Film der »Berliner Schule«, die VGHStiftung und die Niedersächsische Sparkassenstiftung feiern das Jubiläum »Abenteuer fördern« und gemeinsam mit der Stiftung Niedersachsen realisieren junge FSJ-Kultur Mitarbeiter einen beschwingten Konzertabend.
Kunstverein Hannover
Sophienstraße 2
D-30159 Hannover
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