Über Jahre hat die italienische Künstlerin Diana Sirianni Räume kartografiert und dabei ein Konvolut an skulpturalen Elementen angelegt, aus dem sie für jede neue Installation wieder geschöpft und es so neu sortiert hat. Auf diese Weise sind mehrdimensionale, feingliedrige Raumcollagen entstanden, die den jeweiligen Ausstellungsort auf dessen Farben, Formen sowie die Stofflichkeit der baulichen Merkmale hin reflektieren und die Architektur über Linien, Licht und Schatten vermessen. Das Ergebnis sind abstrakte Bildräume, deren fragile Konstruktionen wirken, als würden sie die Explosion ihrer ursprünglichen Systeme anhalten. Für die Ausstellung »gewagte Entgrenzungen« legt Diana Sirianni diese Sammlung nun offen: Die skulpturalen Elemente, die sie immer wieder in unterschiedlichen Größen und Materialien – wie etwa Acrylfarbe, Fotografie, Holz, Folie, Styropor und Plexiglas – nachgebaut hat, geben einen Eindruck von dem Umfang der Orte und Räume, die die Künstlerin auf diese Weise bearbeitet und in ihr Archiv eingespeist hat.
»gewagte Entgrenzungen« markiert zugleich eine Neuorientierung innerhalb der künstlerischen Arbeitsweise von Diana Sirianni hin zum öffentlichen Raum und zu performativen Darstellungspraktiken der Malerei. So umfasst die Ausstellung auch zwei neuere Videoarbeiten, sogenannte Outdoorcollagen, die einen malerischen Ablauf festhalten, wobei die Malerei hier in die reale Welt eingreift und kontrollierte malerische Verfahren mit der Unberechenbarkeit der Straße kollidieren. Sirianni verwendet den Stadtraum dabei theatralisch als Bühne, um in ihm räumliche Illusionen im Spannungsfeld zwischen Architektur und Malerei, Digitalem und Analogem auf- und abzubauen. Auf dieser Bühne initiiert der Körper der Künstlerin die Handlung und dient gleichsam als Maßstab und Mittel zwischen malerischer Darstellung und architektonischer Struktur. In dieser Dialektik entsteht eine neue, intimere Beziehung zwischen Künstlerin und öffentlichem Raum. Zugleich wird die Malerei geöffnet – nicht nur durch den Lärm der Straße, sondern auch in ihrer politischen Grundlage als Instrument der Wiederaneignung – hin zu einer neuen Realität, einer »Veröffentlichung« des Privaten.
Bei beiden Werkkomplexen spielt die Digitalität eine wichtige Rolle. Während Sirianni für die Raumcollagen mit dem Prinzip des Copy-and- paste arbeitete, wird die Bildfläche der Outdoorcollagen zum Photoshop-Interface, dessen Arbeitsfläche sich in kontinuierlicher Veränderung befindet. Dabei wird der dargestellte Raum jedoch nicht dekonstruiert, sondern zu unterschiedlichen Zeitpunkten und aus verschiedenen Blickrichtungen aufgebaut.
Diana Sirianni (*1982 in Rom) studierte 2001–2007 Philosophie in Rom und 2008–2013 Bildende Kunst an der UdK, Berlin, bei Gregor Schneider. Sie erhielt unter anderem folgende Preise und Stipendien: Kunstpreis Haus am Kleistpark (2015); Braunschweig PROJECTS, HBK Braunschweig (2015); Artist-in-Residence, Villa Sträuli, Winterthur (2015); Artist-in-Residence, CCA Andratx, Spanien (2015); Kunstpreis Kunst & Konstrukt, Leinemann Stiftung für Bildung und Kunst (2015); Stiftung Kunstfonds (2014); Elsa-Naumann-Stipendium des Landes Berlin (2012–13); DAAD/Studienabschlussstipendium (2011). Ihre Arbeiten waren zuletzt unter anderem in folgenden Kontexten zu sehen: »Drift«, Städtische Galerie Delmenhorst (2016), »Konkret mehr Raum!«, Kunsthalle Osnabrück (2015), »Neubarock«, Cappella Santacroce-Aldobrandini, Rom (2014), »cleanspace-one (tackling space debris)«, Lichthaus, Kunstverein Arnsberg (2013).
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