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Lucy McKenzie – Prime Suspect

(Öffnungszeiten überprüfen!) - 21. 02. 2021 | Museum Brandhorst, München

„Lucy McKenzie - Prime Suspect“ ist die erste internationale Überblicksschau der in Brüssel lebenden schottischen Künstlerin Lucy McKenzie (geb. 1977). Die Ausstellung versammelt etwa 80 Werke aus der Zeit von 1997 bis heute und bringt Beispiele aus allen bedeutenden Werkgruppen der Künstlerin zusammen. Angefangen bei ihren frühen Arbeiten, die sich mit Inszenierung und Ikonografie des internationalen Sports ebenso auseinandersetzen wie mit der politischen Dimension von Nachkriegs-Wandmalereien, über die Beschäftigung mit Architektur und Innenarchitektur des Fin de Siècle, aber auch der belgischen Illustration der 1950er-Jahre bis hin zur fortlaufenden Erkundung der miteinander verwobenen Geschichte von Mode und Verkaufsdisplays hat sich McKenzie als eine einzigartige künstlerische Stimme ihrer Generation etabliert.

In „Top of the Will“ (1998/99), einem der frühesten Werke in der Ausstellung, klebte sie inszenierte Fotos von sich und ihren Freundinnen, bekleidet mit Turnuniformen, die denen sowjetischer Mannschaften der 1970er-Jahre nachempfunden sind, direkt auf die Wand, dazwischen eingestreut herausgerissene Seiten aus alten Büchern und Zeitschriften. In der Nebeneinanderstellung von Fakten und Fiktion, Dokumentation und Imitation – und dies in einer Aufmachung, die an Jugendzimmerdeko oder an die aus unzähligen Detektivfilmen bekannte „Beweismittelwand“ erinnert – erweist sich bereits eine Verbindung von fanartiger Begeisterung und forensischer Analyse, die zu
den durchgängigsten Merkmalen von McKenzies Praxis gehört.

In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Künstlerin Bilder, Objekte und Motive aus einer Vielzahl historischer Momente und Kontexte herausgegriffen, sie umgestaltet und ein sich einfachen Kategorisierungen entziehendes Werk geschaffen, das aber auch aus diesem Grund umso überzeugender ist. Sie belebte die alte Tradition der Trompe-l’oeil-Malerei neu – deren Bilder so realistisch gemalt sind, dass sie buchstäblich das „Auge täuschen“ – und benutzt sie als Mittel, um sich frühere Stile und Epochen in Kunst und Design zu eigen zu machen, sie zu kritisieren und neu zu imaginieren. So beleuchtet sie eine alternative Geschichte der modernen Kunst und lässt die sogenannten „angewandten Künste“ als Protagonisten einer Erzählung auftreten, die von etablierten Chronologien der Moderne und der Avantgarde abweicht.

Trotz ihrer beeindruckenden Fähigkeiten als Malerin hat sich McKenzie konsequent geweigert, eine Form der visuellen oder materiellen Produktion gegenüber einer anderen zu privilegieren. Immer wieder betont sie volkstümliche und kollaborative Praktiken, die historisch im Kontext der bildenden Kunst marginalisiert oder geringgeschätzt wurden. Die großformatige Installation „Interior“ (2007) und das Monumentalgemälde „Ludwig Haus“ (2009) vereinen beide eine Vielzahl innenarchitektonischer Entwürfe des Fin de siècle u. a. von Charles Rennie Mackintosh und Victor Horta, vergrößern kleine Aquarellskizzen und Präsentationszeichnungen im architektonischen Maßstab 1:1. Ungeachtet dieser massiven Verschiebung, die aus den Gemälden zugleich Environments macht, bewahrt jedes Werk doch die provisorische Qualität seiner Ausgangsmaterialien. Seit Kurzem befasst sich McKenzie auch mit scheinbar so disparaten Feldern wie der visuellen Rhetorik von Kartografie und Werbung. Ihre „Quodlibet“-Bilderserie, bestehend aus Trompe-l’oeil-Gemälden von Pinnwänden und Tischarrangements, führt sie in die dritte Dimension erweitert fort, was die Beziehung zwischen dem Dargestellten und dem Gegenstand an sich zusätzlich noch destabilisiert.

Auch die Politik der Geschlechter, der Platz der Frau und die Darstellung des weiblichen Körpers in Kunst, Architektur und Mode des 20. Jahrhunderts ziehen sich thematisch wie ein roter Faden durch die gesamte Ausstellung. Während das frühe Gemälde „Curious“ (1998) die Erotisierung von Sportlerinnen in den Massenmedien herausstellt, geht es „Copy of Untitled“, 2005 (2014) um die Banalität sexueller und pornografischer Inhalte in der zeitgenössischen Kultur. „Co? Në!“ (2004) gibt vor, ein Werbewandbild der 1960er-Jahre für ein fiktives Damen-Deodorant zu sein, „Mooncup“ (2012) hingegen zeigt eine riesige (unautorisierte) Werbung für einen realen britischen Hersteller von Menstruationstassen aus Silikon. Neuere Arbeiten wie „Vionnet Salon Murals after Georges de Feure“ (2016) und „Rebecca“ (2019) knüpfen an das Vermächtnis der frühen französischen Modedesignerin Madeleine Vionnet an: Diese war bekannt für die mathematische Präzision ihrer Kleiderkreationen und für die Kombination konstruktiver Details mit dekorativen Effekten, wodurch sich zusätzliche
Zierelemente erübrigten.

Mode, ihre Verbreitung und Präsentation sind zentrale Anliegen des Atelier E.B, McKenzies fortlaufender Zusammenarbeit mit der schottischen Designerin Beca Lipscombe. Das 2007 zunächst als Büro für Innenarchitektur gegründete Atelier E.B. wandelte sich 2011 zu einem erfolgreichen Prêt-à-porter-Modelabel, das hochwertige schottische Materialien und Handnähkunst miteinander verbindet. Inzwischen dient es auch als eine Art künstlerisches Forschungsbüro, erkundet die Geschichte von Mode und visueller Präsentation – auf Weltausstellungen und in Heimatmuseen, in Kaufhäusern und Ladengeschäften – und stellt seine Ergebnisse in Form von Ausstellungen und Publikationen vor. Die grundlegend hybride Natur des Atelier E.B veranschaulicht exemplarisch das architektonische Werk „Faux Shop“ (2018), das 2019 vom Museum Brandhorst erworben wurde: Es fungiert als Schaufenster für die Jasperwear-Kollektion wie auch als riesige und eigenständige skulpturale Trompe-l’loeil-Installation.

Der Titel der Ausstellung, „Prime Suspect“, spielt auf die Weise an, in der McKenzies Ausstellungen oft ähnlich wie Detektivgeschichten funktionieren: Eine fiktive Prämisse bietet die Struktur für eigene Untersuchungen, um im Rückgriff auf historisches Material wichtige und nachhallende Fragen über die zeitgenössische Gesellschaft zu stellen. Gleichzeitig verweist der Titel auf die Ungreifbarkeit der Künstlerin selbst in diesem Prozess – in dem sie hinter das in ihrem Werk dicht gewebte Netz von Bezugnahmen zurücktritt – und auf die Herausforderungen, die sich dadurch für das traditionelle Modell der Einzelausstellung ergeben. Über die enorme Vielseitigkeit ihres OEuvres hinaus überrascht auch die formale Variationsbreite von einer Werkgruppe zur nächsten. Mit großem technischem Geschick hat McKenzie eine Methodik entwickelt, die es ihr erlaubt, die Malstile historischer Künstlerinnen und Künstler aufzugreifen und sich vorübergehend in sie einzufinden. Dabei agiert sie jedoch weniger als Nachahmerin denn als Pathologin oder Method-Actress: Die Imitation dient nicht als eine Form der Täuschung, sondern zu einem besseren Verständnis ihrer Subjekte (seien es Einzelpersonen, Bewegungen, Ideologien oder eine Kombination aus ihnen): um Einblick in sie zu gewinnen, um zu erkennen, was sie im Innersten antreibt. Auch ihr häufiger Einsatz bestehenden historischen Materials unterscheidet sich wesentlich von dem aus der Kunst der 1980er-Jahre bekannten Modell der Appropriation, bei dem Künstlerinnen und Künstler oft die Autorität ihrer Quellen und deren Anspruch auf Authentizität zu unterminieren suchten. Vielmehr übernimmt McKenzie selbst die Rolle der Detektivin, deckt unbeachtete Details aus der Vergangenheit auf und
artikuliert sie neu, offenbart etwas von ihrem ursprünglichen Reiz und von den sozialen Beziehungen, die an ihrer Entstehung mitgewirkt haben, sodass wir sie in der Gegenwart besser verstehen können.

Begleitend zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher und reich bebilderter Katalog, der die gesamte Bandbreite von McKenzies Werk dokumentiert. Er enthält neu verfasste Textbeiträge von Mason Leaver-Yap, Leah Pires, Anne Pontégnie und Jacob Proctor sowie eine Kurzgeschichte der Künstlerin. [350 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen. Herausgegeben vom Museum Brandhorst in Zusammenarbeit mit Walther König].

Kurator: Jacob Proctor

Museum Brandhorst I


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Lucy McKenzie:


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