Zur Restitution von NS-Raubkunst in Deutschland
Vom staatlichen Unrecht zur aktuellen Museumspraxis
Die Restitution von Kunstwerken beziehungsweise von Kulturgütern, die während der Zeit des Nationalsozialismus unrechtmäßig entzogen wurden, ist ein komplexes und emotional aufgeladenes Thema in Deutschland. Es berührt nicht nur juristische oder kunsthistorische Aspekte, sondern wirft auch ethische und moralische Fragen auf. Die Auseinandersetzung mit diesem Teil der deutschen Geschichte ist von Bedeutung für die Aufarbeitung der Gräueltaten des NS-Regimes und das Streben nach Gerechtigkeit für die Opfer und ihre Nachkommen.
Maria Eichhorns Rose Valland Institut
Das "Rose Valland Institut " ist ein unabhängiges interdisziplinäres Kunstprojekt von Maria Eichhorn. Es widmet sich der Erforschung und Dokumentation der Enteignung von Eigentum europäischer Juden und Jüdinnen sowie den anhaltenden Auswirkungen dieser Konfiszierung. Das Institut ist nach der Kunsthistorikerin Rose Valland benannt, die während der deutschen Besetzung von Paris heimlich detaillierte Listen über den NS-Kunstraub führte.
Das Institut untersucht grundlegende Fragen zum Eigentum an Kunstwerken, Grundstücken, Immobilien, Vermögenswerten, Unternehmen, Bibliotheken und wissenschaftlichen Arbeiten, die während der NS-Zeit unrechtmäßig entzogen wurden. Zu seinen Methoden gehören öffentliche Aufrufe zur Einreichung von Beiträgen und die Beteiligung der Öffentlichkeit an der Recherche nach NS-Raubgut, das sich möglicherweise in Erbschaften befindet.
Das Rose Valland Institut dient als kritische Reflexion über ungelöste Fragen der NS-Enteignung und deren fortbestehende Folgen. Es verdeutlicht die anhaltende Notwendigkeit von Transparenz, Rechenschaftspflicht und gerechten Lösungen in Restitutionsfällen. Die Präsentation des Instituts auf der documenta 14 unterstreicht seine Relevanz im zeitgenössischen Kunstdiskurs.
Die Wurzeln der Restitutionsansprüche: NS-Kunstraub und staatliches Unrecht
Die Restitutionsansprüche in Deutschland wurzeln tief im staatlichen Unrecht während der Herrschaft des Nationalsozialismus. Der NS-Kunstraub war ein organisierter und systematischer Prozess des Diebstahls von Kunst und anderen Wertgegenständen in Deutschland und den besetzten europäischen Ländern. Bereits 1933, mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten, begann die systematische Enteignung jüdischen Eigentums in Deutschland. Zahlreiche jüdische Familien waren gezwungen, ihre Kunstwerke unter Zwang zu verkaufen, um ihre Flucht vor der Verfolgung zu finanzieren. Andere prominente Kunstsammlungen wie zum Beispiel die des Frankfurter Bankiers Maximilian von Goldschmidt-Rothschild oder des Pariser Kunsthändlers Paul Rosenberg wurden ab 1938 gezielt konfisziert.
Die Plünderungen weiteten sich schließlich in den besetzten Gebieten aus, wobei Kunstwerke entweder direkt - auch aus Museen - beschlagnahmt oder unter dem Deckmantel des "Kunstschutzes" durch spezielle Einheiten wie den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR), das Projekt Führermuseum und die Dienststelle Mühlmann "gesichert" wurden. Neben Gemälden fielen auch Keramiken, Bücher und religiöse Schätze den Nationalsozialisten zum Opfer.
Dabei spielten neben ideologischen vor allem finanzielle Interessen eine Rolle, die beschlagnahmten Kulturgüter dienten zur Finanzierung des Krieges ebenso wie zur persönlichen Bereicherung hochrangiger NS-Funktionäre.
Alfred Flechtheim und das Schicksal der modernen Kunst
Alfred Flechtheim (1878-1937) war bis zur Machtergreifung Hitlers eine der führenden Persönlichkeiten des deutschen Kunsthandels. Als Kunsthändler, Sammler, Journalist und Verleger spielte er eine entscheidende Rolle bei der Förderung der französischen und deutschen Avantgarde darunter waren Künstler wie Picasso, Braque, Gris, Cézanne, Van Gogh, Léger, Beckmann, Grosz und Klee. Er gründete Galerien in Düsseldorf, Berlin, Frankfurt, Köln und Wien und rief die kosmopolitische Zeitschrift "Der Querschnitt" ins Leben.
Ins Visier der Nationalsozialisten geriet Flechtheim nicht nur aufgrund seiner jüdischen Herkunft, sondern auch im Hinblick auf seine Förderung moderner Kunst. Es liefen zahlreiche Hetzkampagnen gegen ihn, so dass Flechtheim 1933 floh und später in London völlig verarmt starb. Seine Düsseldorfer Galerie kassierte sein ehemaliger Geschäftsführer, übereignete sich die Galeriebestände und "arisierte" sie. Andere Galerien wurden liquidiert. Seine private Sammlung und Werke seiner Galerien wurden konfisziert, von angeblichen Freunden übernommen oder zwangsverkauft, ohne dass Flechtheim irgendeinen Nutzen davon hatte. (Anm. Markus H. Stölzel, Ein jüdisches Kunsthändlerschicksal. Der verfolgungsbedingte Eigentumsverlust der Kunstsammlung Alfred Flechtheim, KUR, Kunst und Recht , 2010, S. 102)
Die Erben Alfred Flechtheims bemühen sich weiterhin um die Rückgabe der ihm von den Nationalsozialisten gestohlenen Kunstwerke. Es gab bereits einige erfolgreiche Restitutionen, wie die Rückgabe von Oskar Kokoschkas "Porträt der Tilla Durieux" durch das Museum Ludwig in Köln. Es laufen jedoch noch zahlreiche Rechtsstreitigkeiten, unter anderem gegen die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen oder gegen die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Flechtheims Geschichte ist ein entscheidendes Fallbeispiel für das Verständnis der Komplexität des NS-Kunstraubs und der Herausforderungen der Restitution. Sein Fall verdeutlicht die Verflechtung von rassistischer Verfolgung, ideologischer Unterdrückung moderner Kunst und finanzieller Ausbeutung durch das NS-Regime. Flechtheims Leben und das Schicksal seiner Kunstsammlung sind ein Mikrokosmos der umfassenderen Probleme im Zusammenhang mit NS-Raubkunst und dem anhaltenden Kampf um Restitution, der die Notwendigkeit von Transparenz und ethischem Verhalten von Kunstinstitutionen unterstreicht.
Die Washingtoner Erklärung und ihre Prinzipien
Mehr als fünfzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, im Jahr 1998, fand die Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust statt. Diese Konferenz, maßgeblich initiiert und gestaltet von Botschafter Stuart Eizenstat, brachte Vertreter und Vertreterinnen aus 44 Ländern zusammen. Ziel war es, die ungelösten Fragen der während der NS-Zeit geraubten Kunstwerke anzugehen. Das Ergebnis der Konferenz war die Washingtoner Erklärung über NS-beschlagnahmte Kunst, ein nicht bindendes Abkommen, das auf moralischen und ethischen Verpflichtungen beruht.
In den Jahren nach der Washingtoner Konferenz wurden in einigen Ländern nationale Kommissionen eingerichtet, darunter Österreich, Frankreich, Deutschland, die Niederlande und das Vereinigte Königreich. Museen verstärkten ihre Bemühungen zur Provenienzforschung und es entstanden Online-Portale und Datenbanken, um Informationen zur Provenienz öffentlich zugänglich zu machen. Die Washingtoner Prinzipien wurden 2009 durch die Terezin-Deklaration ergänzt, die den Anwendungsbereich auf Zwangsverkäufe erweiterte. Zum 25-jährigen Jubiläum der Washingtoner Prinzipien wurden "Best Practices" entwickelt, um die ursprünglichen Prinzipien weiter zu konkretisieren.
Trotz dieser Fortschritte bestehen weiterhin erhebliche Herausforderungen. Da die Prinzipien nicht rechtsverbindlich sind, ist ihre Umsetzung in den einzelnen Ländern uneinheitlich. Einige Länder haben nur geringe oder keine Fortschritte erzielt. Zudem stellen rechtliche Hindernisse wie abgelaufene Verjährungsfristen und der Schutz gutgläubiger Erwerber weiterhin große Probleme dar.
Unter Punkt 1 der Washingtoner Erklärung steht übrigens: “Kunstwerke, die von den Nazis beschlagnahmt und in der Folge nicht zurückerstattet wurden, sollten identifiziert werden.” Das heißt, bei Kunstwerken deren Provenienz nicht eindeutig geklärt ist, sollten die Institutionen oder Privatpersonen von sich aus recherchieren.
Die Rolle der Limbach-Kommission und deutscher Beratungsgremien
In Deutschland wurde 2003 die "Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter insbesondere aus jüdischem Besitz", bekannt als Limbach-Kommission, eingerichtet. Diese unabhängige Kommission wurde in Übereinstimmung mit den Kulturbehörden des Bundes und der Länder sowie den kommunalen Spitzenverbänden gebildet. Ihre Aufgabe ist es, in Streitfällen um die Restitution von NS-Raubkunst zu vermitteln und nicht bindende Empfehlungen auszusprechen.
Die Limbach-Kommission wurde wiederholt für ihre Inaktivität und die geringe Anzahl der ausgesprochenen Empfehlungen kritisiert. Ein wesentlicher Kritikpunkt ist die Notwendigkeit, dass beide Parteien der Einschaltung der Kommission zustimmen müssen. Diese Voraussetzung kann die Lösungsfindung in Fällen erschweren, in denen sich Museen einer Restitution widersetzen.
Im Jahr 2016 wurden Reformen eingeführt, darunter die Berufung jüdischer Mitglieder, die Erweiterung des Gremiums und die Erhöhung der Transparenz. Die einseitige Anrufbarkeit wurde jedoch nicht ermöglicht, was u.a. als Grund der zu geringen Anzahl der Verfahren angeführt wurde.
Eine bedeutende jüngere Entwicklung ist die Einigung auf ein neues Schiedsverfahren: Am 26. März 2025 haben Bund, Länder und die kommunalen Spitzenverbände im Rahmen des 22. Kulturpolitischen Spitzengesprächs ein Verwaltungsabkommen unterzeichnet. Dieses Abkommen bildet die rechtliche Grundlage für die Einrichtung einer neuen Schiedsgerichtsbarkeit für NS-Raubgut. Die wichtigsten Neuerungen sind, dass Anspruchsberechtigte das Verfahren einseitig anrufen können und die Entscheidungen des Schiedsgerichts rechtsverbindlich sein sollen.
Die Beratende Kommission kooperierte bereits mit ähnlichen Kommissionen in anderen Ländern, wie beispielsweise in Frankreich und den Niederlanden. Auch in der Schweiz wurde kürzlich eine entsprechende Kommission eingerichtet, die sich mit NS-Raubkunst und Kulturgütern aus kolonialen Kontexten befassen soll. Die Existenz solcher Gremien unterstreicht den wachsenden internationalen Konsens, formelle Mechanismen zur Bearbeitung von Ansprüchen auf unrechtmäßig erworbene Kulturgüter zu schaffen.
Verhalten und Haltung deutscher Museen
Das Verhalten deutscher Museen in Bezug auf Restitutionsforderungen ist vielfältig. Einige Museen zeigen eine proaktive Haltung, indem sie umfassende Provenienzforschung betreiben und Kunstwerke restituieren. Beispiele hierfür sind die Berliner Nationalgalerie, das Museum Ludwig in Köln und das Sprengel Museum in Hannover. Diese Bereitschaft zur Restitution zeugt von einem Engagement für die Prinzipien der Washingtoner Erklärung.
Es gibt jedoch auch Fälle, in denen sich Museen Restitutionsforderungen widersetzen, oft unter Berufung auf juristische Einwände wie Verjährungsfristen oder den Grundsatz des gutgläubigen Erwerbs. Die Bedeutung gründlicher Provenienzforschung für die Identifizierung potenziell geraubter Kunstwerke in Museumssammlungen kann nicht genug betont werden. Initiativen wie die Deutsche Stiftung Kulturgutverluste unterstützen diese Forschung. Der wachsende öffentliche Druck und ethische Erwägungen beeinflussen zunehmend die Haltung von Museen zu Restitutionsfragen. Organisationen wie die World Jewish Restitution Organization (WJRO) spielen eine wichtige Rolle bei der Unterstützung von Anspruchstellern.
Ein Beispiel für das Verhalten von Museen ist das Einlenken des Leopold Museums im Fall des "Porträts der Wally" von Egon Schiele. Nach einem zwölf Jahre andauernden Rechtsstreit kam es 2010 zu einer außergerichtlichen Einigung. Über die es auf der Museumsseite heißt: “Das Leopold Museum erklärte sich bereit, dem Nachlass von Lea Bondi Jaray einen erheblichen Betrag zu bezahlen. Im Gegenzug verpflichtete sich der Nachlass von Lea Bondi Jaray, den Besitzanspruch auf das Gemälde zugunsten des Leopold Museum aufzugeben.”
Gründe für Verzögerungen institutioneller Reaktionen
Die Bearbeitung von Restitutionsansprüchen wird durch eine Reihe von Faktoren verzögert. Dazu gehören komplexe rechtliche Rahmenbedingungen, wie beispielsweise abgelaufene Verjährungsfristen in vielen Rechtsordnungen und der Grundsatz des "gutgläubigen Erwerbers", der aktuelle Eigentümer schützen kann, die das Kunstwerk ohne Kenntnis seiner geraubten Geschichte erworben haben. Auch Fragen der Staatenimmunität können die Geltendmachung von Ansprüchen gegen staatliche Institutionen erschweren, ebenso wie kollisionsrechtliche Probleme, wenn Kunstwerke mehrere Länder durchlaufen haben.
Eine weitere Herausforderung liegt in der Schwierigkeit, die Provenienz von Kunstwerken zweifelsfrei nachzuweisen. Oftmals gibt es Lücken in der Dokumentation aufgrund des Zeitablaufs und der Umstände des Holocaust. Viele Aufzeichnungen wurden während des Krieges zerstört, und die Nachverfolgung von Eigentumsübergängen über Jahrzehnte hinweg kann sehr schwierig sein.
Institutionelle Trägheit und finanzielle Erwägungen spielen ebenfalls eine Rolle. Aber auch die finanziellen Auswirkungen einer Restitution, einschließlich potenzieller Einnahmeverluste und der Kosten für die Provenienzforschung, können zu Verzögerungen führen. Die schiere Menge der geraubten Kunstwerke und Kulturgüter macht den Prozess der Identifizierung und Restitution überaus zeitaufwendig. Schließlich erschwert das Fehlen einheitlicher rechtlicher Rahmenbedingungen in den verschiedenen Ländern die grenzüberschreitende Bearbeitung von Restitutionsansprüchen.
Reflexion über die Vergangenheit, Gestaltung der Zukunft der Kunstrestitution in Deutschland
Die Restitutionsgeschichte in Deutschland ist untrennbar mit dem staatlichen Unrecht des NS-Regimes und dem systematischen Kunstraub verbunden. Internationale Abkommen wie die Washingtoner Erklärung und deutsche Beratungsgremien wie die Limbach-Kommission haben wichtige Rahmenbedingungen für die Bearbeitung von Restitutionsansprüchen geschaffen. Das Verhalten deutscher Museen ist dabei von proaktivem Engagement bis hin zu anfänglichem Widerstand geprägt. Die Aufarbeitung wird jedoch weiterhin durch rechtliche Komplexitäten und Schwierigkeiten bei der Provenienzforschung erschwert. Künstlerische Interventionen wie Maria Eichhorns "Rose Valland Institut" regen zur kritischen Reflexion an. Die Geschichte von Alfred Flechtheim verdeutlicht auf tragische Weise die Auswirkungen der NS-Zeit auf die Kunstwelt und die anhaltende Bedeutung von Restitutionsbemühungen. Die Auseinandersetzung mit der NS-Raubkunst und die Bemühungen um Restitution bleiben eine fortlaufende Verpflichtung Deutschlands, um den Opfern und ihren Nachkommen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Transparenz, ethisches Handeln der Institutionen und ein kontinuierliches Engagement für die Provenienzforschung sind dabei unerlässlich.
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