Die Ausstellung und begleitende Recherche folgen dem Schicksal einer Entität, einst eine Person, in einer späteren Phase ihres Lebens. An einem kritischen Punkt angelangt, geriet sie von einer starken Sichtbarkeit in die Unsichtbarkeit. In diesem Moment, in dem ihr Körper die bis dahin unbekannte Transformation erlebte, erfuhr sie eine ungekannte Freiheit. Diese eröffnete einen ganz neuen Weg zur Selbstverwirklichung.
Die Dichterin Lisa Robertson (geb. 1961) bezeichnet diese Erfahrung als eine „undokumentierte Körperlichkeit“, von der eine „faszinierende Auseinandersetzung“ ausgehen kann. Es beginnt kein neues Leben, vielmehr werden neue Vorgehensweisen möglich. Handlungen werden von den Rändern aus vollzogen, im Verborgenen und in aller Öffentlichkeit. Der neue Körper spielt mit dem Verfall seines Wertes – er benötigt nichts von dem, was du anbieten kannst.
Robertsons Lyrik bietet die Anhaltspunkte für den konzeptuellen Rahmen der Ausstellung, die Werke von Künstler*innen mit unterschiedlichem historischem und geografischem Hintergrund vereint.
Den Anfang bildet die japanische Fotografin Toyoko Tokiwa (1928–2019). Ihr Werk befasst sich mit den Veränderungen des Lebens anhand von Kleidungsstücken, Objekten und anderen Gegenständen ihrer Untersuchungen. Sie zeigt uns ein Bild des neuen Körpers, nach einer Phase des extremen Fokus auf ihn, kurz vor seinem Verschwinden.
Wie für alle hier versammelten Künstler*innen gilt auch für das ausgestellte Werk von Toyoko Tokiwa, dass es nicht um Identität oder Nationalität geht. Ihre Fotografien bilden den Auftakt zu einer Präsentation, die weit weniger damit befasst ist, wer die Arbeit gemacht hat, sondern vielmehr fragt, warum sie gemacht wurde. Und was für die in der Ausstellung versammelten Arbeiten gilt, lässt sich in ähnlicher Weise auch für die Personen (Künstler*innen) sagen, die mit dem Entstehungsprozess der Arbeiten assoziiert werden und die nun nicht mehr nur Individuen mit einer bestimmten Identität sind. Denn hier sind sie in den Kontext eines spezifischen Dialogs gestellt, der Teil einer umfassenderen Studie zu diesem bislang wenig ergründeten Weg der Selbstverwirklichung ist.
Arbeiten von Dusti Bongé (1903–1993), Rosemarie Castoro (1939–2015), Anna Bella Geiger (geb. 1933), Susan Hiller (1940–2019), Ishiuchi Miyako (geb. 1947), Bertram Schmiterlöw (1920–2002), Sydney Schrader (geb. 1987) und Linda Semadeni (geb. 1985) erschließen uns diesen Weg.
Letztendlich ist dieser Weg ein Prozess im Leben besagter Individuen, der damit endet, für überflüssig befunden zu werden, und zwar an einem Punkt, wo sich die Erkenntnis einstellt, dass der frühere Modus Operandi nicht dem entsprach, was man erwartet hatte. Nachdem sie einmal derart ausgemustert worden waren, erwiesen sie sich jedoch als langlebig und umso standfester. Vergleichbar mit den Wegen des Zen wurden sie ihres einstigen Selbst entleert und fanden sich nun neu gemacht und nicht zu brechen.
Die Werke der Künstler*innen in der Ausstellung verorten sich in jenem Zwischenbereich, in dem der von der Transformation erzeugte heftige Aufruhr allmählich in Frieden übergeht, sobald der Wechsel auf die andere Seite einmal vollzogen ist. Einsamkeit ist ein Merkmal, das die Arbeiten auszeichnet, denn sie alle operieren im Reich des Unsichtbaren. Die Körper jedoch sind noch immer zu erkennen, ihre Zweifel und Empfindungen werden noch immer in vollem Maße erlebt. Doch die neuen Gestalten fordern mehr vom Leben als das, was es ihnen früher bot, und sind zu anderen Vorstellungen über Notwendigkeit gelangt.
In der Ausstellung begegnen wir einer Auswahl von Werken, die uns in ihrer intimen Konstellation einladen, ihnen nicht nur einzeln gegenüberzutreten, sondern uns zwischen ihnen treiben zu lassen. Die Folge von Erfahrungen, die uns ihre Präsentation bietet, gehen auf einzelne Leben zurück. Sie alle haben den Nutzwert verloren, den die Gesellschaft bedingt. Ein Verlust, durch den die Körper eine neue Art Autonomie erlangen – eine, die von gleichermaßen realen Genüssen wie von Zeichen des Verfalls begleitet wird.
–Alan Longino
Eine begleitende Publikation, herausgegeben von Fatima Hellberg, Andrew Christopher Green und Martha Joseph, erscheint anlässlich der Eröffnung.
Philosopher of her own Ruin ist die letzte Ausstellung des Programms von Fatima Hellberg im Bonner Kunstverein.
Der Kurator, Schriftsteller und Kunsthistoriker Alan Longino (1987–2024) ist in Biloxi, Mississippi, geboren und aufgewachsen. Nachdem er im Rheinland, in New York und Chicago gearbeitet hatte, war er Doktorand der Kunstgeschichte an der University of Chicago, wo er den Raum Longino I.A.H. (2023–2024) leitete. Seine Forschung konzentrierte sich auf die japanische Konzeptkunst der Nachkriegszeit. Als unabhängiger Kurator organisierte und co-organisierte er Ausstellungen in Galerien und Universitäten, darunter 15 Orient, New York; Empty Gallery, Hongkong; Gallery G, Hiroshima; University of Hawai'i und Yale Union. Mit der Yale Union gab er das Quantum Art Manifesto des Künstlers Yutaka Matsuzawa aus dem Jahr 1988 zum ersten Mal außerhalb Japans heraus.
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Dusti Bongé
Rosemarie Castoro
Anna Bella Geiger
Susan Hiller
Ishiuchi Miyako
Lisa Robertson
Bertram Schmiterlöw
Sydney Schrader
Linda Semadeni
Tokiwa Toyoko
Kuratiert von Alan Longino
Umgesetzt von Fatima Hellberg, Andrew Christopher Green und Martha Joseph
Bonner Kunstverein
Hochstadenring 22
D–53119 Bonn
www.bonner-kunstverein.de
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