Harun Farocki (1944-2014) war Leitfigur in einer Szene von Filmemachern und Intellektuellen, die sich in Europa Ende der 1960er-Jahre im Zuge brisanter politischer Debatten entwickelt hatte. In dieser Zeit kamen auch die Fragen nach den Produktionsbedingungen des Filmemachers und Autorenfilmers, sowie nach der analytischen Rolle des Kinos mit Blick auf gesellschaftspolitische Ereignisse auf.
In seiner langen, einflussreichen Karriere schuf Farocki über 90 Filme, darunter Spielfilme und Filmessays, Fernseh- und Dokumentarfilme; weiterhin Installationen, Texte, Ausstellungen und Projekte in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern. „Harun Farocki: Counter Music" greift auf dieses umfangreiche Gesamtwerk zurück. Die aktuelle Unzufriedenheit mit Praktiken der Arbeitswelt, und auch die massenhafte Vertreibung von Arbeitskräften unter dem Deckmantel der Globalisierung geben Farockis Nachforschungen und seinem facettenreichen Werk neue Dringlichkeit und Nachdruck.
Die Spannungen und Widersprüche der Arbeitswelt haben in Farockis filmischem Vermächtnis zentrale Bedeutung. Insbesondere haben ihn die verschiedenen Arten von Produktion und Konsum interessiert, und wie sich diese im Laufe der Jahrzehnte entwickelt haben. In dem filmischen Essay „Arbeiter verlassen die Fabrik" (1995) etwa richtet sich die Kamera auf die Tore von Fabriken, die sich bei Schichtende öffnen und einen Strom von Arbeiterinnen und Arbeitern entlassen. Sie haben es eilig, das Fabrikgelände zu verlassen, als habe ihnen der Arbeitstag Lebenszeit gestohlen, die es nun nachzuholen gilt.
Auch wenn das Produkt, an dessen Herstellung die Arbeitskräfte in „Arbeiter verlassen die Fabrik" beteiligt sind, nicht genannt wird und in diesem Zusammenhang nicht von Interesse ist: es ist ein greifbares Produkt. In „Nothing Ventured" (2004) ist dies noch indirekt der Fall. Der Film zeigt zwei Repräsentanten einer Firma, die berührungslose Sensoren herstellt, in der Verhandlung mit Investoren. Die Gesprächsführung ist zentrales Thema. Beide Seiten beherzigen das Konzept von Kaufmannsehre. Dass die Vertreter der Firma Vertrauen in ihre Aufträge und in ihr Produkt haben, beeindruckt wiederum die Investoren und bewirkt, dass sie sich entgegenkommend verhalten. Der Film zeigt die tatsächlichen Verhandlungen über den Kredit mit den ‚echten‘ Akteuren - wobei das Bewusstsein, gefilmt zu werden, sowohl den Akteur in der Handlung beeinflussen mag, als auch den Betrachter in der Wahrnehmung.
Als Beispiel für immateriell gewordene Arbeit zeigt Farocki die Leistung von Beraterfirmen, die sich beim Kunden mit ihrem Portfolio um Aufträge bewerben. Mit seinen Filmen dokumentiert Farocki, wie sehr auch Sprachgewohnheiten und Fachjargons - von Unternehmenskultur, Visionen, Investmentkapital u.Ä. - dem Zeitgeist unterworfen sind, wie etwa das Modell eines wechselnden Arbeitsplatzes (Open-Space-Office) im Firmengebäude, an dem der Angestellte morgens „eincheckt".
„Counter Music" (2004) zeigt Bilder der Lebensadern einer Stadt bei Nacht, aufgenommen von Überwachungskameras ohne menschliches Zutun, in den Haltestellen der U-Bahn oder an Straßenecken. Die menschliche Arbeit besteht im Sichten dieser Flut von Bildern auf einer Vielzahl von Monitoren. Regulationsmethoden der Überwachung in privaten und öffentlichen Bereichen sowie die zunehmende Digitalisierung und Verbreitung stehender und bewegter Bilder sind eine weitere Konstante im Werk von Farocki.
Zu seinen filmischen Verfahren gehören Wiederholung, Zusammenschnitt, Montage und Fetischisierung. Der Film „Ein Bild" (1983) widmet sich der Produktion des Playmate-Cover-Fotos für ein Hochglanzmagazin: die Vorbereitungen und Einbauten im Studio, das Shooting mit Modell, und anschließend der Rückbau des Studios. Fetisch ist hier der weibliche Körper. Farockis Werk erschließt sich als eine Archäologie der Arbeitsprozesse, die sich in den vergangenen Jahrzehnten ständig weiter verändert haben und zusätzlich durch mediale Verbreitung und Rezeption verschoben wurden.
„Harun Farocki: Counter Music" wird vom Haus der Kunst in Zusammenarbeit mit der Sammlung Goetz organisiert und durch die Galerie Thaddaeus Ropac, Paris / Salzburg und Greene Naftali Gallery, New York unterstützt. Haus der Kunst bedankt sich bei der Harun Farocki GbR für die Unterstützung.
Samstag 22. April 2017, 21 Uhr
Münchner Kammerspiele, Kammer 2
Harun Farocki
Filmnacht zum Thema Arbeit
Programm
21 Uhr Einführung
Film
Wie man sieht, 1986, 72 Min., deutsch mit englischen Untertiteln
22.25 Uhr Gespräch
Antje Ehmann und Rembert Hüser
23.10 Uhr
Filme
-Jean-Marie Straub und Daniele Huillet bei der Arbeit an Franz Kafkas Romanfragment Amerika, 26 Min., deutsch mit englischen Untertiteln
-Aufstellung, 16 Min., deutsch mit englischen Untertiteln
24 Uhr
Gespräch
Antje Ehmann und Rembert Hüser
00.30 Uhr
-ENDE-
Die Harun-Farocki-Filmnacht im Rahmen dieser Ausstellung ist eine Kooperation mit den Münchner Kammerspielen und KINO DER KUNST.
Eintritt: 9 €/ ermäßigt 5 €
Tickets erhältlich online auf der Webseite des Haus der Kunst und der Münchner Kammerspiele sowie an den jeweiligen Tageskassen.
Bildmaterial steht unter zur Verfügung.
Stiftung Haus der Kunst München, gemeinnützige Betriebsgesellschaft mbH
Prinzregentenstraße 1
80538 München
hausderkunst.de
Presse
Kataloge/Medien zum Thema:
Harun Farocki
Kunsthochschule Berlin-Weißensee
Galerie Alte Schule im Kulturzentrum Adlershof
Haus am Lützowplatz / Studiogalerie
Galerie im Körnerpark
Akademie der Künste / Hanseatenweg