Vom 24. Juli bis zum 9. Oktober 2022 zeigt das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt in Kooperation mit dem Bucerius Kunst Forum in Hamburg und dem Münchner Stadtmuseum eine umfassende Schau zur Darstellung von Industrie in Malerei und Fotografie – ein absolutes Novum. Nie zuvor wurde die künstlerische Auseinandersetzung mit der Entstehung und Entwicklung von Industrie und den damit einhergehenden Veränderungen von Landschaft und Arbeit im Dialog der beiden Medien beleuchtet.
Moderne Zeiten. Industrie im Blick von Malerei und Fotografie versammelt über 100 Werke von 26 Leihgebern, darunter auch aus Paris, aus einem Zeitraum von 175 Jahren, endend im 21. Jahrhundert. Zu sehen sind neben Filmausschnitten Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern wie Adolph von Menzel, Léon-Auguste Mellé, Albert Renger-Patzsch, August Sander, Conrad Felixmüller, Walker Evans, Otto Steinert, Evelyn Richter, Bernd und Hilla Becher, Robert Voit, Thomas Struth oder Inge Rambow.
Parallel zur Ausstellung werden im Museumsfoyer Arbeiten der Schweinfurter Industriebetriebe gezeigt, wobei es hauptsächlich um die Frage der künstlerischen Erfassung jener Produkte geht, die nur Teil einer Maschine waren, z.B. in der Luftfahrt. Alle großen Betriebe begannen ab 1900 Design- und Marketingabteilungen aufzubauen.
Als Experte für die Wechselbeziehungen von Malerei und Fotografie konzipierte Ulrich Pohlmann (Münchner Stadtmuseum) eine Schau, welche im Jahr 2021 zuerst am Bucerius Kunst Forum in Hamburg gezeigt wurde. Für den modernen Betrachter wird darin eine oft ungeahnt breite Entwicklung sichtbar. Die Präsentation in Schweinfurt beleuchtet chronologisch in fünf Kapiteln, wie sich die künstlerische Industriedarstellung über die Jahrhunderte verändert hat. Sie ist letztlich auch eine schlaglichtartige Dokumentation der Geschichte der Industrie in Europa. ...
Ausgangspunkt der Ausstellung bilden Arbeiten aus den 1850er Jahren: Fabriken in idyllischer Einheit mit der Natur sowie Innendarstellungen der Arbeitsstätten und der Arbeitsvorgänge in riesigen Produktionshallen von Stahlunternehmen. Zahnrad und Lokomotive wurden zu den bekanntesten Bildsymbolen der Industrialisierung. Die Fotografie war zu dieser Zeit noch keine eigene Kunstrichtung, doch früh beauftragte man Fotografen; sie sollten zu Werbezwecken das Werksgelände mit seinen für die damalige Zeit überraschend großen Bauwerken erfassen. Auch die Darstellungen von Großbaustellen wie etwa dem Bau von Bahnhöfen und Eisenbahntrassen oder dem Schiffsbau in Werften sollten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregen. Diese Fotografien von Industriearbeit und -bauten werden in der Ausstellung den Gemälden der Zeit gegenübergestellt.
Impressionistische Künstler verwandelten gegen Ende des 19. Jahrhunderts Industrielandschaften zu Stimmungsbildern, in denen sich eigenwillige Lichteffekte studieren lassen. Zeitgleich stellten ambitionierte Amateurfotografen Fabriken und Arbeitsleben in atmosphärischen Kompositionen dar. Auch sozialkritische Tendenzen spielten nun eine zunehmende Rolle. Während bis dahin Arbeiterinnen und Arbeiter inmitten einer übermächtigen Industriearchitektur eine marginale Stellung einnahmen und sich der Maschinenwelt unterordneten, erfuhr das Verhältnis von Mensch und Technik ab 1900 eine grundlegende Veränderung. Nunmehr rückte die soziale Frage immer stärker in das öffentliche Bewusstsein und Arbeiterinnen und Arbeiter werden als Individuen wahrgenommen. Fotografen hielten nun auch die prekären Lebens- und Arbeitsverhältnisse des Proletariats etwa in New York und Berlin eindrucksvoll fest.
Zwischen 1880 und 1930 entwickelte sich in Deutschland das Genre der Industriemalerei ausgehend von Aufträgen seitens der Konzerne. Maler arbeiteten – gelegentlich mithilfe fotografischer Vorlagen – in Großunternehmen der Stahl- oder Textilindustrie, um die Arbeit in den riesigen Fabrikhallen möglichst realistisch zu erfassen. Im Unterschied dazu setzten die Künstlerinnen und Künstler der Neuen Sachlichkeit zur selben Zeit häufig gesellschaftskritische
Akzente. Statt für malerischen Impressionismus oder heroische Industriemotive interessierten sie sich für die soziale und politische Wirklichkeit, um die gesellschaftlichen Verhältnisse im Kapitalismus zu kritisieren. Zu ihren Themen zählten neben der Massenarbeitslosigkeit vor allem der soziale Klassenunterschied. Die neusachliche Industriefotografie hingegen artikulierte in der Regel keine dezidierte Kritik an der bestehenden Gesellschaftsordnung.
Nach 1945 bestimmte die sogenannte Subjektive Fotografie den Formenkanon der Industriedarstellung mit einer experimentell-abstrakten Bildsprache. Im Unterschied zu der technikeuphorischen Vorkriegszeit schwang in den Fotografien nun Distanz zum Fortschritt mit. In den 1960er/70er Jahren finden sich zahlreiche Bildreportagen über den Lebensalltag in Industrieregionen wie dem Ruhrgebiet, meist für illustrierte Zeitschriften erarbeitet. Ins Blickfeld
rückten zunehmend Themen wie Umweltverschmutzung oder schwierige Arbeitsbedingungen, die von investigativ arbeitenden Fotojournalistinnen und -journalisten dokumentiert wurden. Mit dem zunehmenden Verschwinden traditioneller Industriebranchen wie dem Kohlebergbau und der Entstehung neuer Energieformen wuchs auch das künstlerische Interesse, eine sich in der Transformation befindliche Industriekultur mit historischen Bauten wie Wassertürmen,
Fördertürmen oder Zechen fotografisch festzuhalten.
Seit den 1970er Jahren bis heute haben sich zahlreiche Künstlerinnen und Künstler mit den Folgen der Industrialisierung kritisch auseinandergesetzt. Verlassene Industrieruinen, Umweltverschmutzung und -zerstörung, ausbeuterische Arbeitsbedingungen und die Veränderung der Lebenswelt infolge von Automatisierung und Digitalisierung werden in ihren Arbeiten thematisiert. Und so stehen am Ende der Ausstellung die Werke zeitgenössischer Fotografinnen und Fotografen, welche die Veränderungen sichtbar machen.
Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Brückenstraße 20
97421 Schweinfurt
www.museumgeorgschaefer.de
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