Kann man durch Objekte lernen, Körper anders wahrzunehmen?
Das ist eine der Fragen, die Toni Schmales umfassende Einzelausstellung bei basis e. V. beschäftigen. Eine Auswahl bereits bestehender sowie eigens für die Ausstellung produzierter Arbeiten laden dazu ein, gesellschaftliche
und vergeschlechtlichte Formungs- und Übergangsprozesse zu reflektieren. Was uns die großformatigen Stahlskulpturen über sich und uns selbst verraten, liegt maßgeblich bei den Betrachtenden. Als hochästhetische und handwerklich
perfektionierte Formen lassen sie sich ebenso gut lesen wie als reflexive Elemente, die die Betrachtenden mit deren eigener Körperlichkeit konfrontieren.
Der Titel der Ausstellung opferblech bezeichnet in der Stahlindustrie ein Metallblech, das eingesetzt wird, um unerwünschte Druckstellen und Verformungen, die im Biege- oder Formungsprozess eines Stahlobjekts entstehen können, zu vermeiden. Indem es zwischen Presse und Objekt gelegt wird, schreiben sich all die Schläge und Stöße, Macken und Kanten, die Kollateralschäden, die im Formungsprozess geschehen, in das Blech ein. Auf diese Weise wird es „geopfert“ und erhält dabei eine neue und individuelle Form, die gleichzeitig den funktionalen Übergang von Material zu Industrieprodukt bezeugt. Das Opferblech ist die Bedingung für die Produktion einer vermeintlich perfekten Form.
Mit der Ausstellung opferblech widmet Toni Schmale diesen einerseits hyperfunktionalen und andererseits zur Dysfunktionalität verformten Objekten eine Ausstellung. Ihre Arbeiten zitieren zwar funktionale Formen, doch weigern sich aktiv eine anzunehmen. Die Skulpturen bewegen sich in einem scheinbar konstanten Prozess des Übergangs: Sie verschieben materielle Qualitäten, indem sie weiche Formen in hartes Material übersetzen (schlauch #6), Größenverhältnisse umkehren (bend over your boyfriend), zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit changieren ( circlusion ) oder Alltagsgegenstände in dysfunktionale Fetischobjekte umwandeln (sucker #5). Durch die Bearbeitung der normierten Stahlrohre, deren Verbiegung und Neuzusammensetzung, wird die Fragilität und Vulnerabilität in jedem Objekt und Material, genau wie sie in jedem Körper steckt, deutlich.
Ein solch materieller Übergangsprozess wird auch auf der Rezeptionsebene der Arbeiten spürbar. Ohne eine direkt lesbare Form anzunehmen, lassen die Skulpturen körperliche Beziehungen mit ihren Betrachtenden aktiv werden. Was
wahrgenommen und decodiert wird, hängt dabei von der betrachtenden Person ab. Die Skulpturen bieten eine Verschiebung und Verkomplizierung repräsentativer Logiken von Körperlichkeit und Sexualität an. Durch die Verformung und
Umschreibung bestehender Kategorien wie hart und weich, innen und außen, sichtbar und unsichtbar, verdeutlichen sie die Relationalität dieser Zustände und zeigen die Prozessualität dieser vermeintlich dichotomen Kategorien auf. Damit bewegen sich die Arbeiten in einem Feld feministischer Kritik an normativen Körpervorstellungen, binären Geschlechterordnungen und Heteronormativität.Mit ihrer abstrakten Formensprache trägt Toni Schmale zur Entlastung realer und marginalisierter Körper bei, die sonst im Zentrum gesellschaftlicher Auseinandersetzungen um Geschlechtsidentitäten stehen. In ihren Arbeiten wird deutlich, dass Material, Form und Inhalt nicht voneinander zu trennen sind, sondern sich synergetisch bedingen. Ihre widersprüchlichen skulpturalen Formen verweigern sich jeder vereinfachenden Wahrnehmung und repräsentativer Logik queerer Kunst und erweitern etablierte Vorstellungen bildhauerischer Praxis.
basis e.V.
Gutleutstrasse 8 -12
60329 Frankfurt am Main
www.basis-frankfurt.de
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