Die Ausstellung Formen der Zukunft richtet den Blick auf das Schaffen und visionäre Potenzial des deutschen Designers und Aerodynamikers Luigi Colani (*1928 in Berlin als Lutz Colani; † 2019 in Karlsruhe). Der zunächst in Berlin als Bildhauer und danach in Paris als Aerodynamiker ausgebildete Colani setzte sich mit seinen stromlinienförmigen und am Vorbild der Natur orientierten Entwürfen von den vorherrschenden geradlinigen Designtrends ab und entwickelte eine eigene, konsequente und innovative Formensprache. Viele seiner zahlreichen Ansätze sind aus heutiger Sicht visionär, da er sich den Kräften und Formen der Natur- und Tierwelt bediente und diese nutzte, um Industriedesigns vom menschlichen Körper aus zu denken.
Ein konsequentes Ziel von Colani: Die Optimierung des Designs für optimalen Einklang von Mensch und Natur. „90% Natur, 10% Colani“ lautet der Leitspruch seines Biodesigns, wie Colani seine Formensprache selbst nannte. Runde Formen sind darin wegweisend, ausgehend von der Beobachtung, dass die Urmaterie der Welt rund und nicht eckig ist. Seinen Ansatz legte Colani 1971 in seiner manifest-artigen Blättersammlung nieder, dem Ylem (die Urmaterie). In den Zeichnungen, die als Offsetprint vervielfältigt und in einer Box zusammengehalten wurden, offenbarte Colani seine Ansätze für geschwungene Gebrauchsgegenstände bis hin zu seinen typischen Fahrzeug- und ganzen Stadtentwürfen, in der er das Zusammenleben von Menschen als Kohorte denkt.
Inhaltlich nähert sich die Ausstellung im Marta Herford dem Wirken des international bekannten Designers durch die Setzung mehrerer Schwerpunkte an, um Colani als „Beobachter, Visionär und Umsetzer“ zu zeigen. So sind nicht nur fertige in Produktion gegangene Objekte zu sehen, sondern auch Prototypen sowie Ideen.
Auf dem Gebiet der Fahrzeugtechnik und Mobilität entwickelte Colani vielfältige Vehikel, die vor allem eine effiziente und kraftstoffarme Fortbewegung versprachen und stets von dem Impuls getrieben waren, Formen zu optimieren, um die Effizienz zu steigern oder Ergonomie zu erhöhen. Er schuf eine Vielzahl von Fahrzeugen, vom Fahrrad über den Renn-Bob bis hin zu aerodynamischen Alternativ-Karosserien für bestehende Automodelle sowie Entwürfe für Luxuswagen. Hier spannt die Ausstellung im Marta einen breiten Bogen und zeigt eine ganze Vielfalt an Designs: So sind neben dem einzigen Prototyp des Pierce Arrow unter anderem ein energieeffizientes Auto, ein Kinderwagen und ein Kartwagen zu sehen.
Colanis intensives Schaffen im Möbeldesign wurde nicht zuletzt durch seine Zeit in Ostwestfalen, im Kontext der Küchen- und Möbelindustrie geprägt: In dieser Phase entstanden vielfältige Kooperationen mit lokalen Herstellern und flexibel nutzbare Entwürfe, wie Interlübkes berühmter Hocker „Zocker“ für ein dynamisches Sitzverhalten.
Zahlreichen Sitzmöbeln aus Colanis Oeuvre, darunter auch die geschwungenen „Sadima“-Liegen für Kusch+Co, bietet die Schau ebenso Raum wie Badezimmer-ausstattungen für Villeroy & Boch und Auszügen aus Colanis Modedesigns. Auch alltägliche Wohnobjekte, beispielsweise das Trinkglas mit Griffmulde, Computer- und Fernsehgeräte sind im Rahmen von Formen der Zukunft in den Gehry-Galerien versammelt.
Im Miteinander und Gegenüber der präsentierten Objekte wird auch die Materialvielfalt deutlich, in der sich Colani bewegte. Nachdem Kunststoff als damals noch unkritisch betrachtetes Material die idealen Voraussetzungen bot, seine organische Formensprache auf diverse Möbel und andere Objekte anzuwenden, arbeitete er in der Ölkrise der 70er Jahre verstärkt mit dem nachwachsenden Rohstoff Holz. Als Beispiel dafür zeigt Marta Herford unter anderem Colanis „mitwachsende“ Möbel für Kinder sowie den Prototyp des „Lernei“ (1971), mit dem Colani seine Idee einer funktionellen Raumkapsel für computerunterstützte Lernsituationen umsetzte.
Colani, der sich nicht nur über sein Werk, in Zeichnungen oder Texten, sondern bekanntermaßen in unzähligen Interviews lautstark äußerte, verwendete durchgängig seine markante Signatur und wusste auch sich selbst als Person zu inszenieren. Er ist durch seine provozierenden Auftritte als „Popstar des Designs“ oder „Enfant terrible“ bekannt, da er nicht nur kein Blatt vor den Mund nahm, sondern gerne provozierte und andere – insbesondere Kollegen – beleidigte. Die unterschiedlichen Stationen seines Lebens, u.a. in Japan, China, Frankreich und die Schweiz werden in der Ausstellung aufgeschlüsselt.
Mit der Abteilung „Bring Your Own Colani“, ist als wachsender Ausstellungsteil angelegt, der die Reichweite des Designers in den persönlichen Alltag hinein thematisiert: Besucher*innen werden an bestimmten Terminen dazu eingeladen, eigene von Luigi Colani designte Objekte mitbringen und ihre Geschichten dazu erzählen. Diese werden in einem Regal ausgestellt, das sich somit im Zuge der Laufzeit wandeln wird.
Das Museum Marta Herford, mit seinem Standort im Zentrum der Holz- und Möbelindustrie, das sich neben der Gegenwartskunst immer wieder Themen aus Architektur und Design widmet, stellt mit dieser Ausstellung das Wirken eines Vordenkers in den Fokus, der nicht nur in der Region aktiv und prägend war, sondern weltweit für Aufsehen sorgte. In der Schau werden über 200 Objekte von 1969 bis in die Nullerjahre gezeigt, die die ganze Bandbreite von Colanis Schaffen verdeutlichen.
Die Ausstellung wurde von den Designern Tobias Henschen und Julian Puszcz (Designbüro Zweieckig) sowie Prof. Tim Brauns (TH OWL) für das Museum Marta Herford in Zusammenarbeit mit Friederike Korfmacher (Assistenzkuratorin) kuratiert. Neben dem Ausstellungskonzept haben die drei ein Display für die bis zu 20 Meter hohen Räume der Gehry-Galerien entwickelt, das die geschwungenen Formen des Designs Luigi Colanis und der Räumlichkeiten aufgreift und verbindet.
Künstlerische Leitung: Kathleen Rahn
Gastkuratoren
Prof. Tim Brauns (TH OWL/Detmolder Schule für Gestaltung)
Tobias Henschen (Designbüro Zweieckig)
Julian Puszcz (Designbüro Zweieckig)
Marta Herford gGmbH
Goebenstraße 2–10,
D-32052 Herford
marta-herford.de
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