Marion von Osten, The Glory of the Garden, 2009. Courtesy die Künstlerin
Mit den ökonomischen und technologischen Transformationsprozessen des 20. und 21. Jahrhunderts hat sich das Bild der künstlerischen Produktion weitgehend gewandelt. Welchen Regeln folgt sie angesichts der inneren Zwänge einer von Postfordismus geprägten Realität mit ihrer Forderung nach Effizienz, Flexibilität und intelligentem Selbstmanagement? Inwiefern und auf welche Weise wirken Künstler_innen an den gegenwärtigen globalen Produktions- und Kapitalverhältnissen mit – oder reiben sich daran? Manche Künstler_innen haben auf die veränderten Produktionsbedingungen indirekt reagiert und mit Definitionen wie „produktive Nichtproduktion“ oder „nichtproduktive Produktion“, mit „gegenproduktiver Arbeit“ oder mit dem Körper als Schauplatz von Reproduktion und Selbstproduktion auf ihre inneren Widersprüche verwiesen.
Die Ausstellung Counter-Production versucht den gegenwärtigen Stand künstlerischer Produktion mit einer Befragung von Gesten oder Methoden der „Gegenproduktion“ zu fassen und erfahrbar zu machen. Diesem Versuch liegt zugleich eine Neubestimmung des Begriffs der „Gegenproduktion“ zugrunde, der wie das politökonomische, technologische und soziokulturelle Feld, in dem er ursprünglich auftrat, einem historischen Wandel unterliegt und als solcher jeweils neu zu präzisieren ist. Unter dem Einfluss der gegenkulturellen Nach-1968er-Bewegung, im Kontext von Kino und Philosophie entstanden, ist der Begriff bis heute im Umlauf geblieben und direkt oder indirekt zum Gegenstand von Forschung und Inspiration im Werk zeitgenössischer Künstler_innen geworden, wie im Fall von Marine Hugonniers nicht abgeschlossenem, teils uneinsehbarem Manuskript Travail Contre Productif (1996 bis heute), das mit „Gesten der Zurücknahme“ etwas zu produzieren versucht, das nicht produktiv ist.
35 Jahre früher beschrieb der Filmemacher und Schriftsteller Alexander Kluge „Gegenproduktion“ als eine ästhetische Strategie zur Artikulation einer aus individuellen Erfahrungen organisierten „Gegenkontrolle“ mit dem Ziel, hegemoniale Strukturen zu infiltrieren. Kluges gegenproduktive Praktiken, die in seinen Filmen, Büchern und ungewöhnlichen Fernsehformaten Gestalt annahmen, bildeten einen Teil des Materials für Seth Price’ Essay Dispersion (2003), der später in Form der mehrteiligen Siebdruckserie Essay with Knots (2008) und der Videoarbeit Redistribution (2007) wieder auftauchte. Price’ Trias macht deutlich, dass Kunst im Zeitalter der digitalen Medien auf die gleiche Art und Weise zirkuliert wie jede andere Information im Internet: unkontrollierbar, manipulationsanfällig und für alle möglichen Kontexte jeweils neu verpackt.
Während das Konzept der „Gegenproduktion“ oder der „Gegenöffentlichkeit“ gerade zu Beginn der 1990er Jahre in Verbindung mit politisch-künstlerischen Praxisformen wie etwa Aktivismus, Partizipations- und Dienstleistungskunst verhandelt wurde, zeigt die Ausstellung anhand polyvalenter künstlerischer Ansätze, wie es heute als eine am künstlerischen Werk und seinem Produktionsprozess orientierte Beschreibungskategorie wiederkehren kann. Mittels dreier Zonen wechselseitiger Verständigung soll exemplarisch gezeigt werden, wo und wie der Begriff „Counter-Production“ für Künstler_innen die Möglichkeit einer kritischen Distanznahme bereithält.
„Produktives Displacement“ versammelt Arbeiten, die von gängigen Konventionen der Produktion, Präsentation und Vermittlung von Kunst abweichen und sich so mit den Gesetzen ihrer Anpassung anlegen. Neben Marine Hugonnier und Seth Price setzen sich auch Ricardo Basbaum und Dexter Sinister unmittelbar mit den Effekten künstlerischer Produktion auseinander. Dass beispielsweise Gestaltungs- und Distributionsprozesse eine „Allegorie“ dafür sein können, „wie Dinge zu ihren eigenen Schatten werden“, zeigen Dexter Sinister mit dem eigens für diese Ausstellung entwickelten Grafikkonzept/Kunstwerk, indem sie das Corporate-Design-Konzept der Generali Foundation buchstäblich auf den Kopf stellen.
„Kreative Spekulationen: Hierarchien und strukturelle Bewegung“ deutet an, wie die stille normative Ordnung, die von anerkannten Strukturen ausgeht, in das Gegenteil ihres ursprünglichen Zwecks umschlägt. Die Arbeiten von Mary Ellen Carroll, Goldin+Senneby, Marion von Osten und Lili Reynaud-Dewar stellen mit narrativen und performativen Mitteln die Handlungsabläufe in verschiedenen von neoliberalen Strategien gekennzeichneten Bereichen wie Kulturinstitutionen, dem gegenwärtigen Bankwesen, dem Städtebau und der Raumplanung infrage. Die abstrakte Welt der globalen Finanzwirtschaft ist Untersuchungsgegenstand des Künstlerduos Goldin+Senneby. In ihrer Arbeit The Discreet Charm (2011-2012) wird das Raummodell der Generali Foundation (im Maßstab 1:25) zum Schauplatz für ein Theater magischer Konstruktion von Werten.
„Das Selbst modellieren“ betrachtet die Eigentumsverhältnisse des Körpers als Schauplatz juridischer, geschlechts- und identitätsbezogener Verhandlungsprozesse. Henrik Olesen, Johannes Porsch, Josephine Pryde und Josef Strau zeigen in einer Reihe unterschiedlicher Ansätze, wie das – hier teilweise mit der Biografie des Künstlers oder der Künstlerin identifizierte – Subjekt in die komplexe Realität ökonomischer Prozesse eingebunden ist. Während Olesen das Mensch-Maschine-Verhältnis anhand der Figur des britischen Mathematikers Alan Turing untersucht, erschafft Prydes Fotoserie Adoption (2009), die Nahaufnahmen eines Kleinkinds mit der Ästhetik der Modefotografie verknüpft, eine Allegorie rund um die Frage, wie und wodurch das Künstler_innensubjekt an der Kunstindustrie mitwirkt.
In einem Text für die Ausstellung Make Your Own Life: Artists In and Out of Cologne (2006) prägte Josef Strau den Ausdruck „non-productive attitude“ für eine Haltung, die er heute als produktiven Rückzug versteht, in dem sich Leben, Arbeit und Ökonomie affektiv miteinander verbinden. Damit artikuliert er eine Position der kritischen Distanz, die mit „nichtproduktiver Produktion“ genau jene Ambivalenz und Widersprüchlichkeit künstlerischer Produktion auf den Punkt bringt, die diese Ausstellung zum Thema hat. Dass sich damit auch mögliche Perspektiven für die Kunst eröffnen, versucht Counter-Production aufzuzeigen.
Künstlerliste: Ricardo Basbaum, Mary Ellen Carroll, Dexter Sinister, Goldin+Senneby, Marine Hugonnier, Henrik Olesen, Marion von Osten, Johannes Porsch, Seth Price, Josephine Pryde, Lili Reynaud-Dewar, Josef Strau
Kuratorinnen: Diana Baldon und Ilse Lafer unter Mitwirkung von Luke Skrebowski
Generali Foundation
Wiedner Hauptstraße 15
1040 Wien, Austria
Telefon +43 1 504 98 80
http://foundation.generali.at
PM
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Verein Berliner Künstler
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