Sean Edwards, Untitled, 2007, Gouache auf Spanplatte, Courtesy der Künstler, Tanya Leighton; Berlin und Limoncello, London
Der Kunstverein Freiburg freut sich, die Herbstsaison parallel in zwei Einzelausstellungen mit Werken der Künstler Sean Edwards (* 1980 in Cardiff, Wales, GB) und John Divola (* 1949 in Los Angeles, USA) zu zeigen. In der Ausstellungshalle im EG ist eine raumgreifende und ortsspezifische Installation von Sean Edwards zu sehen. Es ist die erste institutionelle Ausstellung des in Abergavenny / Wales lebenden Künstlers außerhalb Englands. Auf der umlaufenden Galerie im 1.OG wird eine Auswahl aus zwei Fotoserien von John Divola ausgestellt. Diese Werke des bereits etablierten amerikanischen Fotografen sind erstmalig in Deutschland zu sehen.
Die Installationen von Sean Edwards besitzen oftmals ein handwerkliches wie materialbetontes skulpturales Aussehen und schaffen ein dynamisches Nebeneinander von Kunsträumen und neutralen Räumen, von unmittelbarer Wahrnehmung und eher flüchtigen Referenzen persönlicher Erinnerung sowie pop-kultureller Bilder. Ausgehend davon, dass Kunstwerke stets eine gegenwärtige Erfahrung bedeuten, hebt sein Werk hervor, dass sie immer auch andere Zeiten und Orte umfassen. Für Freiburg hat der Künstler mit der Installation Resting through eine etwa brusthohe, aus regelmäßigen Elementen zusammengesetzte regalartige Struktur entworfen, die zu beiden Seiten hin offen ist. Sie wurde aus unbehandelten Sperrholzplatten mit rauer Oberfläche gebaut, führt über die gesamten 32 Meter der Längsachse der Ausstellungsfläche im Erdgeschoss und ist sowohl eine geschlossene Barriere wie auch eine funktionale Raumausstattung.
Typisch für Edwards ist, dass er seine skulpturale Intervention als Mittel benutzt, um die Betrachter durch den Raum, den seine Kunst besetzt, zu dirigieren, so als würde er durch eine sich entfaltende Erzählung führen. Die Regalstruktur teilt die Haupthalle des Kunstvereins radikal in zwei Raumhälften und zwingt die Besucher an ihr entlang und weiter zu gehen: von der einen Raumseite über die Treppe ins 1.OG und auf der anderen Seite wieder die Treppe hinunter auf die andere Raumseite der gesamten Halle. Darüber hinaus dient sie als Ablage für kleine, handgearbeitete, skulpturale Objekte, weggeworfene Fundobjekte sowie aus Büchern und Zeitschriften ausgeschnittene Seiten. Dadurch wird die der Regalstruktur eigene skulpturale Autonomie näher bestimmt, sie erscheint als gigantischer Sims oder als grandioser Sockel für die Gegenstände, die sich darin befinden, wie sie auch als Kunstwerk ihr eigenes Recht beansprucht. Eine gewisse Unsicherheit, was zu sehen ist, stellt sich ein, je nachdem, wo man sich vor der Regalstruktur befindet. Die Teilung des Raums wird zum Sinnbild dafür, dass ein solcher Gegenstand die Fähigkeit besitzt, Bedeutung und Interpretation zu polarisieren. Einerseits ist es ein Kunstwerk, andererseits ist es aber auch ein Möbelstück. Dabei ist die Ausstellungshalle, die durch diese Struktur geteilt wird, einerseits ein weiter, lichter Raum, durch den sich ein funktionaler Einrichtungsgegenstand erstreckt, andererseits ist er ein immaterieller, konzeptueller Leerraum, der von einer abstrakten, formalistischen Skulptur durchschnitten wird, die für die darin verteilten erzählerischen Elemente gewissermaßen als Förderband dient.
Eine Auswahl von zwei Fotoserien des in Los Angeles lebenden Fotografen John Divola wird im 1.OG ausgestellt. Zwölf Fotografien seiner Zuma Serie von 1977- 78 werden neben drei Aufnahmen aus der jüngeren Dark Star Serie aus den Jahren 2006- 2008 zu sehen sein. Seine wegweisende Zuma Serie führte dazu, dass er neben William Eggleston, Lee Friedlander und Steven Shore (den wir im Sommer dieses Jahres in der Gruppenausstellung Ich ist ein anderer gezeigt hatten) zu den ersten Künstlern zählt, die in den 1970er Jahren in Amerika mit Farbfilmen fotografiert haben. Zu jener Zeit wurde die Farbfotografie eher noch als Dokumentation als als Kunst angesehen. Zwischen Divolas Fotografien und Edwards Installation lassen sich subtile Verbindungen herstellen. Ebenso wie Edwards polarisieren Divolas Aufnahmen zwischen Kunst und kunstfreien Räumen, zwischen Funktionalität und dem lediglich „Realen“. In der Zuma Serie rahmen die glaslosen Fenster einer baufälligen, leerstehenden Strandwohnung eine Reihe von Sonnenuntergängen über dem Pazifischen Ozean an der Kalifornischen Küste ein. Das Haus in Zuma #25 wurde von der lokalen Feuerwehr auch als Ort für Brandschutzübungen benutzt. Divola selbst hat die Wände vor dem Fotografieren mit einem formalistischem Muster besprüht. Dadurch hat er den häuslichen Rahmen des Bildes in einen Kunstrahmen überführt, in dem der Meerblick dazu bestimmt ist, all das zu repräsentieren, was außerhalb des subjektiven Bereichs der Kunst liegt und sich verwehrt, sich ihr anzupassen. Der Meerblick wird so zur Nichtkunst, dem „Realen“. Jedoch ganz ähnlich wie in Edwards Installation lässt sich in der Fotografie diese Trennung nicht aufrechterhalten: Der Meerblick ist ein vertrautes Bild großartiger Landschaftsdarstellungen in der Kunstgeschichte – gleichzeitig ist das Graffiti-Interieur als soziologischer Kommentar zum Thema des urbanen Verfalls lesbar. So oder so stellt das glitzernde Meerespanaroma ein Destillat für die Sehnsucht nach dem „anderen Raum“ einer bildlichen Illusion dar.
Ebenso verwischen die Fotografien der Dark Star Serie die Grenze zwischen formalistischer Abstraktion und der fotografischen Dokumentation einer künstlerischen Aktion. In diesem Fall eine gesprühte Malerei eines schwarzen Punkts auf die Innenwand einer Wohnung. In der Umgestaltung der Fotografie in ein formalistisches Medium vereitelt der Künstler ihre dokumentarische Eigenschaft.
Das physikalische Sinnbild der ungegenständlichen Tendenz ist das „schwarze Loch“ des gesprühten Punkts, der ein Loch in das Gefüge der bildnerischen Illusion zu reißen scheint. Teilweise unsichtbar, teilweise reflektierend ist der Punkt beides: totale fotografische Belichtung und bildlose Materialität. Die Oberfläche des Fotoabzugs ist ausgelöscht, da das glänzende Schwarz im Zentrum das eigene Bild der Betrachter reflektiert sowie den Raum, in dem sie stehen. Gleichzeitig überlagert die Gegenwart der Betrachter die Vergangenheit der festgehaltenen Ansicht wie ein temporäres Palimpsest.
Sean Edwards wurde 1980 in Cardiff, UK geboren. Seine Arbeiten werden seit 2002 in vielen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, unter anderem 2007 auf der Biennale in Venedig, 2008 im Seattle Art Museum und 2010 auf der Liste 15 in Basel sowie der Fischgrätenmelkstand 2010 in der Temporary Kunsthalle in Berlin und das Project Space 2012 in Newcastle. Auch Maelfa, Spike Island, 2011 in Bristol ausgestellt, gehört zu seinen Einzelaus-stellungen. Er lebt in Abergavenny, UK.
John Divola wurde 1949 in Los Angeles, USA geboren.. Seit 1988 ist er Professor für Kunst und Fotografie an der Universität von Kalifornien, Riverside. Seine Arbeiten werden seit den 1970er Jahren in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, unter anderem 1992 im Museum of Modern Art, New York; 1995 im San Francisco Museum of Modern Art; 1996 im Whitney Museum of American Art, New York.; 2000 im Metropolitan Museum of Art; 2006 im Centre Pompidou, Paris und im Getty Museum, Los Angeles; 2009 im Museum of Modern Art, New York und in der Kunsthalle Bern, Schweiz sowie 2010 im Museum of Contemporary Art, Los Angeles. Er lebt in Los Angeles, USA
Öffnungszeiten:
Di - So 12:00 - 18:00 h | Mi 12:00 - 20:00 h | Mo geschlossen
Kunstverein Freiburg
Dreisamstr. 21
79098 Freiburg
Tel.: +49 761 349 44
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PM
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