Mit Grafik als Ereignis widmet sich das Museum Angewandte Kunst dem OEuvre von Michael Riedel, das an der Schnittstelle von angewandter und freier Grafik operiert. Das Zentrum der Ausstellung bildet ein Werk, das am Beginn der erfolgreichen internationalen Karriere des damals 22-Jährigen steht: das 1994/95 entstandene Frühwerk mit dem Titel Signetische Zeichnung. Dabei handelt es sich um über 1000 Zeichnungen, zu denen auch nicht gezeichnete Zeichnungen zählen. 2016 wurde dieses Frühwerk vom Städelschen Museums-Verein e.V. erworben und ist nun erstmalig in vollem Umfang in einem Museum zu sehen.
Vom Frühwerk spannt die Ausstellung einen Bogen bis heute und inszeniert in raumgreifenden Installationen mit Zeichnungen, Wachsbüchern, Publikationen und Künstlerbüchern, mit Postkarten, Plakaten, Tapeten, Bildserien und „Poster Paintings“ bis hin zu bewegten digitalen Bildern Grafik als einen offenen, steten Prozess – als ein sich selbst fortschreibendes System in der Kunst.
Michael Riedel (geb. 1972 in Rüsselsheim) studierte zwischen den Jahren 1994 und 2000 an der Kunstakademie Düsseldorf, der Städelschule in Frankfurt am Main, wo er Meisterschüler von Hermann Nitsch wurde, sowie an der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts de Paris. Seit Sommer 2017 ist er Professor für Malerei und Grafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig.
Riedels internationaler Karriere im Kunstsystem liegt ein Masterplan zugrunde, den er mit der Signetischen Zeichnung bereits vorfertigte. Systematisch setzt er an den Beginn seiner Künstlerbiografie seinen Namen und entwickelt aus ihm heraus sein Werk. Den Ausgangspunkt bildet dabei der Anfangsbuchstabe seines Vornamens, das „M“, das er zunächst zu einem schmuckvollen Monogramm stilisiert. Über nachfolgende Achsenverschiebungen und Drehungen, Grund- und Aufrisse lässt er Blatt für Blatt immer neue Zeichnungen entstehen, deren Sprache nun technisch-konstruktiv ist und die sich potenziell unendlich fortsetzen lassen. Mit dieser permanent neue Möglichkeiten anbietenden Erweiterung wird ein stetig neue Formen bildender Prozess in Gang gesetzt. Es entsteht ein unumkehrbares System einer Folge von Zeichnungen, dem eine absolute Eigendynamik innewohnt.
Michael Riedel definiert damit den Werkbegriff in der Kunst als ein sich selbst fortschreibendes System neu. Prozess und System werden eins. Das System erhält sich, indem es sich verändert. Riedel gelingt es, den Entwurf eines sich selbst produzierenden Kunstwerks innerhalb des Kunstsystems umzusetzen.
Nach der Signetischen Zeichnung führt Michael Riedel das Thema Reproduktion in Verbindung mit Publikationen, Plakaten und Tapeten ein. Er verwendet Medien, Drucktechniken und Grafikformen der angewandten Kunst und bezieht sie aufeinander, kombiniert sie, bildet Anschlüsse und lädt sie mit Kunstkontexten auf, nimmt ein Kunstwerk zum Ausgangsmaterial für weitere Werke. Plakate etwa transformiert er zu Künstlerbüchern, die zugleich Ausstellungskataloge sind, die dazugehörigen Druckbögen werden zu wieder neuen, eigenständigen Arbeiten. Ebenso werden Plakate zu Unikatbildern oder zu Motiven einer Tapete.
Als weiteres Material für seine Kunstproduktion dient ihm Text – Mitschnitte seines künstlerischen Alltags, den er in über 1.800 Stunden Tonaufnahmen festgehalten hat. Hier kündigt sich eine Utopie des Textes jenseits dessen an, was im landläufigen Sinne Kommunikation oder Lesbarkeit bedeutet. Die Verwendung der Hyper Text Markup Language (HTML) unterschiedlicher Webseiten, der Einsatz von Spracherkennungsprogrammen, die den Schreibprozess verselbstständigen, oder auch die Wiederverwertung vorhandener Texte, deren Wortfolge alphabetisch geordnet wird, stehen für Riedels Wege entlang der Oberflächenstruktur einer Materie und für ein Spiel mit verschiedenen Paradigmen: einmal mit einem der bildenden Kunst, für welche die Form der Inhalt ist. Zum anderen mit einem literarischen, bei dem wir gelernt haben, Inhalte zu erfassen, statt Drucksachen zu sehen. Indem Riedel Text und die damit verbundenen Schriftformen in ein visuelles Phänomen jenseits sprachlicher Mitteilung überführt, sprengt er wieder und wieder den Rahmen des Erwartbaren.
Insgesamt reflektiert sich im Werk Michael Riedels Grafik als eine Kulturleistung in Schrift und Bild. Die Formen angewandter Kunst transformiert er zu Fragestellungen freier Kunst und ihrem Anspruch auf Autonomie. Er besetzt das System Kunst und schreibt es fort. Das Kunstsystem wird damit fortlaufend dekonstruiert und zugleich rekonstruiert.
Die Ausstellung Michael Riedel. Grafik als Ereignis wird begleitet von einem Katalogprojekt. Mit der Eröffnung erscheint zunächst ein Textband zur Ausstellung, der im Eintrittspreis enthalten ist. Voraussichtlich im August 2018 erscheint ein weiterer, zweibändiger Katalog mit Texten und einer Bilddokumentation der Ausstellung, dessen Schwerpunkt auf der Signetischen Zeichnung liegt.
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