Zwei Ausstellungen über einen Ausstellungsmacher sind außergewöhnlich und so extravagant wie ihr Thema, die Legende Harald Szeemann. Der Schweizer realisierte experimentelle Ausstellungen, die damalige Konventionen sprengten. Dadurch und durch sein eigensinniges Selbstverständnis als Ausstellungsmacher, wie auch durch die Art und Weise, mit Künstlerinnen und Künstlern zu arbeiten, hat er das Verständnis der kuratorischen Tätigkeit nachhaltig verändert.
Die umfassende Ausstellung gibt einen Einblick in das Leben und Wirken von Harald Szeemann und zeigt die Komplexität seiner Themen, Interessen und Entwicklungen anhand von Archivdokumenten, aber auch von Kunstwerken und Filmen.
Harald Szeemann wurde 1933 in Bern geboren. Während seiner Tätigkeit als Leiter der dortigen Kunsthalle von 1961 bis 1969 und danach als freier Kurator in seiner „Agentur für geistige Gastarbeit“ in Tegna im Tessin fern aller institutionellen Zwänge kuratierte er bis zu seinem Tod im Jahre 2005 rund 200 Ausstellungen. In der Fabbrica Rosa in Maggia hatte er sein Büro; hier archivierte er auf 2.700 m² seine Arbeits- und Recherchematerialien für seine revolutionären Projekte, denn neben dem Kuratieren gehörten das Sammeln und Dokumentieren zu seinen Leidenschaften.
2011 erwarb das Getty Research Institute in Los Angeles den gewaltigen Nachlass des Ausstellungsmachers und obsessiven Sammlers. Die siebenjährige Bearbeitung der Szeemann- Sammlung durch ein mehrköpfiges Team, das sich den 600 Regalmetern heterogener Materialien aus seinem Privathaus widmete, brachte nicht nur neue Fragen zur Geschichte des Kuratierens und zur Rolle des Kurators auf den Plan. Die Erforschung des Nachlasses fiel zudem in einen Zeitraum, in dem die Digitalisierung von Archivalien der 1968er-Bewegung die kunsthistorische Erzählung und Kontextualisierung von meist vergänglichen Hinterlassenschaften radikaler Künstlerutopien dringlich machte.
Die seit 1955 in Kassel stattfindende „documenta“ wurde schnell legendär und zur Weltkunstausstellung. Doch erst seit 1972, als Harald Szeemann die „documenta 5“ organisierte, umweht sie ein Mythos. Szeemann zählt zu den bedeutendsten Ausstellungsmachern der Gegenwart und wird für seine wegweisenden Ausstellungen gefeiert. Dies gilt insbesondere für die Ausstellungen von 1961 bis 1969, die er als Direktor der Kunsthalle Bern kuratierte, wie „Live in Your Head: When Attitudes Become Form” (1969), wie eben auch für die „documenta 5“ im Jahr 1972 in Kassel und für zahlreiche andere, wie z.B. „Junggesellenmaschinen“ (1975) oder „Hang zum Gesamtkunstwerk“ (1983).
Um einem großem Publikum zum ersten Mal das Schaffen des Kurators vorzustellen, zeigte das Getty Research Institute im Februar 2018 zwei miteinander verbundene Ausstellungen in Los Angeles: „Harald Szeemann: Museum der Obsessionen“ und die Re-Inszenierung der Berner Wohnungsausstellung „Grossvater: Ein Pionier wie wir“ (1974), eine der persönlichsten, aber auch radikalsten Ausstellungen von Szeemann. Nach der „documenta 5“ widmete sich Szeemann in der Grossvater-Ausstellung (1974) seinem Großvater Etienne Szeemann (1873-1971), der Pionierleistungen in der Frisörbranche vollbrachte. Die faszinierende Ausstellung inszenierte Harald Szeemann damals in seiner Berner Wohnung. Diese Ausstellung mit einer unglaublichen Menge originaler Objekte wird in Bern vom 9. Juni bis zum 2. September 2018 am gleichen Ort wieder gezeigt, während die Kunsthalle Bern im selben Zeitraum die Schau „Museum der Obsessionen“ präsentiert.
Mit diesen beiden, in der Kunsthalle Düsseldorf dann erstmalig zusammen präsentierten Ausstellungen wird zum ersten Mal ein facettenreicher Einblick in das Universum von Harald Szeemann ermöglicht. Die Wanderausstellung wird nach der Kunsthalle Düsseldorf abschließend im Castello di Rivoli bei Turin und im Swiss Institute in New York präsentiert.
Kuratiert wird die Ausstellung von Glenn Phillips und Philipp Kaiser in Düsseldorf in Zusammenarbeit mit Gregor Jansen. Der Ausstellungskatalog ist beim Schweizer Verlag Scheidegger & Spiess erschienen (Ausstellungspreis Kunsthalle Düsseldorf: 48 Euro).
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