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"Warum sollten Künstler malen können?"


Eingabedatum: 25.01.2005



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"Zum Nachdenken statt zum Erbrechen" solle der mit 25.000 Pfund (36.000 Euro) dotierte Turner Prize laut "Guardian" bei seiner 20. Ausrichtung 2004 endlich anregen - die Auswahl der vier Finalisten fiel schließlich auf Jeremy Deller, das Team Nikki Bell und Ben Longlands, Yinka Shonibare und Kutlug Ataman .

Waren in den Vorjahren noch töpfernde Transvestiten oder Werke mit masturbierenden Männern ausgezeichnet worden, so wurde letztes Jahr eine deutlich moderatere Auslegung angelegt - kein "cold mechanical bullshit" (Kim Howells, englischer Kultursekretär) mehr, der dem Turner Prize in der Vergangenheit nicht gerade den besten Ruf bescherte. Nun nahm man sich ausschließlich Kunstwerke mit politischen Hintergrund an; auf Malerei oder Fotografie wurde gänzlich verzichtet, ein weiteres Mal offenbarte sich die Videoinstallation als trendiges Kommunikationsmittel. Denn "trendy" wollte man schon bleiben beim Turner 2004, dafür eben weniger "Erbrechen" und mehr kulturelles - also politisches - Gehalt.
Gewonnen hat die 36.000 Euro dann schließlich Jeremy Deller mit seiner Video-Installation "Memory Bucket: A film about Texas". Von Übermut war beim in einem seltsam grüngelben Pullover gekleideten Deller bei Preisverleihung jedoch nichts anzumerken. Offenkundig gab er zu, keinerlei Talent für die bildende Kunst bieten zu können - "Warum sollen Künstler malen können?" war neben der offengelegten Abweisung seiner Person aus einer privaten Kunstschule aufgrund mangelnden Talents seine zentrale Aussage. Angesichts seines blutroten Cord-Jacket, das sich durch den widerspenstigen Komplementär-Kontrast zum Pullover abspreizte, eine durchaus glaubwürdige Aussage.
Sein Video "Memory Bucket" ("Eimer des Erinnerns") habe schließlich den Sieg durch die "Großzügigkeit des Denkens" und die Betonung des Individuums verdient, gab die Jury kund. Zu frenetischem Lob ließen sich jedoch weder jene Jury noch Publikum oder Presse hinreißen - es schien fast so, als könne mit Dellers Filmchen niemand so recht etwas anfangen.
"Memory Bucket" ist ein Film über Texas, der Heimat George W. Bushs, dem Deller nach eigenen Aussagen nicht feindlich gegenübersteht, aber auch keine allzu großen Sympathien zuzubringen weiß. Der Film mischt jedenfalls Interviews und Kommentare einiger Bewohner Texas’ und führt von Crawford nach Waco, welches zuletzt vor elf Jahren Aufsehen erregte, als das FBI eine ansässige Sektengemeinde stürmte. Das ganze Werk bleibt bis auf die Thematik eigentlich völlig unpolitisch, auffällig bleibt der patriotische und sympathische Grundton von Dellers Interviewpartner - Thomas Kielinger ließ sich in seinem Kommentar in der "Welt" dann auch zur Bezeichnung "Stupor" hinreißen. Interessant gestalte sich lediglich die achtminütige Schlusssequenz, die einen Schwarm Fledermäuse gen Himmel fliegen lässt. Immerhin schon mal interessanter als die Lieblings-Zutat Lara Bushs für ihre Burger, von der uns Deller in "Memory Bucket" wissen lässt – für sehr Neugierige: Es sind Jalapeno Chili-Schoten...
Deller unterlegen zeigten sich im Kampf um den politischsten (und demnach für die Jury besten Beitrag) das Team Nikki Bell und Ben Longlands, Yinka Shonibare und Kutlug Ataman. Bell und Longlands warteten mit einer Art Videospiel um eine Baracke in Afghanistan auf, in der Osama bin Laden einige Zeit gelebt haben soll. Das Spiel versucht so den Anti-Terror-Krieg gegen einen unfassbaren Gegner zu versinnbildlichen, von dem man sich durch das Navigieren der eigenen Person durch die Baracke ein Bild machen kann. Die immer wieder auftauchenden Taliban-Kämpfer können gar nicht erst attackiert werden - ihr Verschwinden kennzeichnet sich ebenso abrupt wie ihr Auftauchen. Interessant bei Longland und Bell war aber auch vor allem ihr eigentlicher Beitrag über ein Tribunal in Kabul, der aus juristischen Gründen zurückgezogen werden musste, worauf uns ein Schild auf einer leeren Leinwand aufmerksam machen soll.
Der türkisch-stämmige Kutlug Ataman dagegen zeigt in seiner Dokumentation "Twelve" sechs Personen aus dem Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien, die über ihre Reinkarnation erzählen. Ataman will so mit seinen auf sechs zusammenhängenden Leinwänden dargestellten Erzählungen zeigen, dass auch die Wirklichkeit nur eine Fiktion ist - oder ist schlicht die Leinwand Fiktion? Sind es nun sechs oder doch "twelve" Personen? Oder will Ataman doch nur den nie endenden Konflikt zweier Volksstämme vor Augen führen?
Der Nigerianer Yinka Shonibare wiederum offenbart in "Un Ballo in Maschera" seine enge Liebe zu Batikstoffen aus seiner Heimat. Sein Film zeigt eine Adaption von Verdis "Maskenball" auf einem schwedischen Schloss. Die Hauptperson König Gustav erwacht inmitten der still tanzenden Ballbesucher nach einem Attentat wieder zum Leben. Der "post-kolonialische Mischlings"-Künstler (Shonibare über Shonibare) verweist mit den in Holland angefertigten Roccoco Roben gekleideten Besuchern auf die stets offenkundige koloniale Tradition der westlichen Zivilisation.
Alles in allem zeigte sich der Turner 2004 also weitaus moderater und politischer als bei vorangegangenen Veranstaltungen - Stephan Deuchar, Direktor der verantwortlichen Tate Britain, sei erfreut, dass "Künstler über die Welt der Kunst und ihr eigenes Leben hinaussehen". Bleibt also am Schluss die Frage, ob es tatsächlich Künstler gibt, die eben jene Prozesse wie den Afghanistan-Krieg aus ihrem Leben zu verdrängen wissen. Vielleicht wäre diese Herangehensweise ja dann interessant für den Turner 2005...


Michael Marth - kultur-kanal.de





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