Das Edith-Russ-Haus präsentiert „Standard_Deviation II“ der Künstlerin Rana Hamadeh. Die Einzelausstellung, die auf der antiken griechischen Tragödie des König Ödipus basiert, wird das gesamte Edith-Russ-Haus für Medienkunst einnehmen. Sie umfasst eine neue zeitbasierte Klang-, Bild- und Netzwerkmedieninstallation, die sich über die beiden Etagen des Gebäudes erstreckt und die Ausstellungsräume in eine lebendige, atmende „Opernmaschine“ verwandelt. Jedoch ist nirgends ein menschlicher Akteur zu sehen. Alle Instrumente, Lautsprecher, Mikrofone und Lichter werden von einem großen Netzwerk gesteuert, das über mehrere Wochen hinweg im Haus aufgebaut wurde. Die Besuchenden werden durch Klänge und Signallampen von Raum zu Raum geführt, die die Arbeit wie die klassischen Akte einer Aufführung strukturieren.
In der Halle des Edith-Russ-Hauses steht ein großer, automatischer Konzertflügel, der von einem Orgelbuch aus rotierenden Lochkarten gesteuert wird. Während das Libretto über elektronische Laufbänder in großen roten Buchstaben an den Wänden entlangläuft, rotiert unter der Decke ein großer Hornlautsprecher. Mikrofone nehmen die Klänge live auf und speisen sie – digital verwandelt – wieder in die Komposition ein. Doch nach ein paar Minuten verstummen alle mechanische Akteure, und automatische Trommeln aus dem Untergeschoss signalisieren, dass man sich zum nächsten Akt begeben soll.
Das Libretto selbst behandelt verschiedenste Transformationen, von Körper zu Körper (wie Ödipus, der seinen Vater ersetzt, oder der Erzengel Gabriel, der dem Propheten Mohammed die Rezitation von Gottes Wort aufträgt); von Körper zur Maschine (wie in der Aufnahme der menschlichen Stimme, aber auch der Datenerfassung) und von Maschine zu Maschine (wenn die Daten der Körper durch Algorithmen verarbeitet werden). In den zahlreichen Ebenen der Arbeit Hamadehs spiegelt sich diese Transformationen, von der menschlichen Stimme, über eines der ältesten Instrumente, der Trommel, das mechanische, aber hochkomplexe Klavier, den elektrischen Drucker (der ebenfalls das Libretto ausgibt) über die Endlosschlaufen eines alten Tonbandgerätes bis hin zur digitalen Manipulation aller dieser Informationen. Einfache stereoskopische Betrachtungsapparaturen mit Ausdrucken aus dem computergenerierten Video „Standard_Deviation“ kontrastieren die technische Komplexität der Installation.
Die Themen der Arbeit sind düster, nicht nur der Vatermord durch Ödipus, der vor dem Hintergrund einer Pandemie, der thebanischen Pest spielte, sondern zum Beispiel auch die niederländische „Kindergeldaffäre“ in der die automatische Auswertung von Daten zu einer systematischen Diskriminierung führte, die Amnesty International unter dem Titel Fremdenfeindliche Maschinen bekannt gemacht hatte. Die Anzahl der Kinder, die von ihren Eltern auf Grund dieser Diskriminierungen getrennt wurden, steuern wiederum die Geschwindigkeit des Tonbandes, dass dadurch die Töne verändert; je langsamer das Band läuft, desto tiefer werden sie.
Von Raum zu Raum werden die Klänge intensiver und körperlicher, die Arbeit bewegt sich irgendwo zwischen Traum und Trance. Riesige Subwoofer lassen mit ihren tiefen Frequenzen den Raum und auch die Körper der Besuchenden vibrieren. Aber ganz zum Schluss, wie ein Ausweg, klingelt ein Telefon. Was man hört, wenn man abnimmt, soll hier nicht verraten werden.
Standard_Deviation II ist der neueste Teil von Rana Hamadehs Langzeitprojekt The Destiny Project. Das zu dem Langzeitprojekt gehörende Video mit dem Titel „Standard_Deviation“ wird abends ab Sonnenuntergang bis Mitternacht im Aquarium der Fensterfront des Seminarraums des Edith-Russ-Hauses gezeigt.
Rana Hamadeh (*1983 in Beirut), lebt und arbeitet in Rotterdam. Einige ihrer jüngsten Einzelausstellungen waren 2021 Secession 21, Wien; 2019 Kunsthalle Winterthur; 2017 Witte de With Center for Contemporary Art, Rotterdam; 2016 The Showroom, London; 2015 Nottingham Contemporary. 2017 erhielt sie den niederländischen Prix de Rome Preis. 2021 war sie Preisträgerin des Stipendiums der Stiftung Niedersachsen für Medienkunst am Edith-Russ-Haus.
Die Ausstellung wurde kuratiert von Edit Molnár und Marcel Schwierin
Edith-Russ-Haus
www.edith-russ-haus.de
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