Die Ausstellung Die Welt von morgen wird eine weitere Gegenwart gewesen sein verknüpft die Klassische Moderne mit der Gegenwart und die 1920er- mit den 2020er-Jahren. Sie zeigt fünf raumgreifende Installationen, fünf Ausstellungen in einer Ausstellung, die durch das gemeinsame Interesse der beteiligten Künstler*innen an Fragen der Zeit miteinander verbunden sind.
Nikita Kadan, Barbara Kapusta, Frida Orupabo, Lisl Ponger und Anita Witek wurden eingeladen, Werke der Klassischen Moderne aus der mumok Sammlung auszuwählen und mit diesen in Dialog zu treten. Im Dialog wie in der Debatte, in der
Konfrontation von Sachverhalten unter divergierenden zeitlichen Voraussetzungen, durch formale Analogien und ästhetische Widersprüche behandeln die fünf Künstler*innen Historisches wie Aktuelles. Sie thematisieren Bildpolitiken zwischen Propaganda und Kritik, Praktiken der Aneignung zwischen Gedankenlosigkeit und Sorgfalt, Körperbilder zwischen Identitätspolitik und Universalismus und damit gesellschaftliche Zusammenhänge zwischen dem Wunsch nach eindeutigen Kategorien und der Komplexität einer vernetzen Welt.
Nikita Kadan – Krieg und Gewalt
Der ukrainische Künstler Nikita Kadan arbeitet mit der im aktuellen Weltgeschehen mehr als konkreten Idee von Krieg und konfrontiert seine eigene Lebensrealität mit abstrakten Formen von Gewalt aus der Vergangenheit. Vor dem Hintergrund des Verlustes einer zusammenhängenden historischen Erzählung in der Kunst thematisiert er in seiner Werkauswahl vergangene und aktuelle Erinnerungspolitiken über formale und inhaltliche Analogien zu seinen eigenen Werken. Im Zentrum steht das Denkmal, das, meist strategisch im öffentlichen Raum platziert, zur Erinnerung an ein historisches Ereignis oder an eine Person dient. Neben seinem ursprünglichen Zweck zeugt diese Form historischer Plastik aus heutiger Sicht jedoch nicht nur vom Dargestellten. Sie spricht auch über die Bedingungen, unter denen sie als Kommunikationswerkzeug für eine Gruppe von Menschen, gleichsam als kollektive Gedächtnisstütze, errichtet wurde. Die Mechanismen von Vergessen und Erinnern zeigen sich hier ebenso wie historiografische Brüche und Beständigkeit. Nicht nur die Geschichte kommt ins Bild, sondern auch die Rezeptionsgeschichte des Monuments in der Gegenwart. In seinem Ausstellungsbereich konfrontiert Nikita Kadan eigene Arbeiten mit jenen von Alexander Archipenko, Fridl Dicker-Brandeis, Raymond Duchamp Villon, Kasimir Malewitsch und Franz Pomassl.
Barbara Kapusta – fragile Körper
Barbara Kapusta stellt mit geschlechtsneutralen, riesenhaften Skulpturen aus Aluminium Überlegungen zur Widerstandsfähigkeit zukünftiger Körper im aktuellen gesellschaftlichen Zusammenhang an. In freundschaftlichem Dialog und
verwandtschaftlicher Verbundenheit mit den ausgewählten Sammlungswerken von Künstler*innen wie Rudolf Belling, Alicia Penalba, Oskar Schlemmer oder Victor Servranckx scheinen die im Raum verteilten Riesen danach zu fragen, ob Momente wie Fragilität und Schwäche nicht auch für die Körperbilder ihrer Vorgänger*innen maßgeblich waren. Kapustas zeitgenössische „Technobodies“, wie die Künstlerin diese queeren Körper nennt, treffen auf ihre historischen Vorläufer*innen aus Bronze, ohne die visionären Versprechungen, die in der Vergangenheit an diese geknüpft waren, je einzulösen. THIS IS THE SPACE WE INHABIT AS NEIGHBORS lautet Kapustas großformatige Textinstallation. Ein Wunschdenken von zeitlicher, räumlicher und sozialer Koexistenz – und zugleich deren konkrete Manifestation.
Frida Orupabo – wider den kolonialistischen Blick
Eine ähnliche Herangehensweise an den menschlichen Körper, jedoch mit einem stärker retrospektiv in die Geschichte gerichteten Blick, findet sich im Ausstellungsteil von Frida Orupabo. Die weiblichen, sexualisierten und rassifizierten Körper in ihren eigenen Bildsammlungen und Collagen aus vorgefundenem visuellem Material, das sowohl aus dem Internet als auch aus historischen Archiven stammt, stellt die Künstlerin in den Kontext bildhauerischen Schaffens aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Von weißen, europäischen Künstlern wie Constantin Brâncuși, André Derain oder Alberto Giacometti angefertigte Plastiken treten hier in Auseinandersetzung mit den dekonstruierten Abbildungen Schwarzer Frauen aus ehemaligen Kolonien: Historische Frauenfiguren aus dunkler Bronze von Louise Bourgeois, Alberto Giacometti oder Germaine Richier mischen sich mit aktuellen Bildern. Eine Umkehrung von Blickrichtungen, die die Komplexität gesellschaftlicher Verhältnisse und ihre Widersprüchlichkeiten deutlich macht.
Lisl Ponger – Stereotype und Gesten des Zeigens
Seit mehreren Jahrzehnten führt Lisl Ponger den Betrachter*innen ihrer Fotografien vor, wie Sehgewohnheiten historisch tief in uns verankert sind und Objekte und Bilder Stereotype nicht nur produzieren, sondern auch immer wieder abrufen. Indem die Künstlerin unter dem Titel Work on Progress bestimmte Elemente aus ihren eigenen fotografischen Inszenierungen als vermeintlich museale Objekte auf einem Podest präsentiert und diese mit Elementen aus den von ihr ausgewählten Werken der Klassischen Moderne verknüpft, stellt sie ein inhaltliches Naheverhältnis zu historischen künstlerischen Fragestellungen her. Darüber hinaus führt sie in selbstreflexiver Manier, ähnlich wie Nikita Kadan, die Methoden und Praktiken der Institution „Museum“ samt ihren historischen sowie aktuellen Gesten des Zeigens vor.
Indem sie Requisiten zu Protagonist*innen ihres Ausstellungsbereichs macht, verschiebt sie, wie auch in den Arbeiten selbst, die Aufmerksamkeit vom Gesamtbild aufs Detail – und wieder zurück. Lisl Ponger konfrontiert ihre Arbeiten mit Werken von Albert Paris von Gütersloh, Florence Henri, Ernst Ludwig Kirchner, August Sander oder Karl Schmidt-Rotluff und Edward Steichen.
Anita Witek – utopische Architekturen
Anita Witeks Reflexion über Zeitschleifen liegt die Reproduktion existierender Fotografien aus einem massenmedialen Zusammenhang und deren Fragmentierung zugrunde. Ihre Bildkompositionen aus abstrakten Farbverläufen und Schattenspielen, die zum Teil auch räumlich werden, konstruiert die Künstlerin aus Printmedien. Das Material dafür entstammt einem Prozess des Beschneidens. Im Gegensatz zu Frida Orupabo, die die von ihr ins Bild gebrachten Körper häufig aus dem fotografischen Kontext löst, fokussiert Witek ausschließlich auf ebendiesen Kontext. Die Hintergründe, die übrig bleiben, nachdem sie die Sujets im Foto mit dem Messer entfernt hat, dienen ihr dazu, neue Welten zu bauen. Mit ihrem Spiel aus reproduzierten Versatzstücken und den modernistischen Werkzeugen von Collage und Montage greift Witek auf die visuellen Bestände historischer und aktueller Gegenwarten zu. Sie (re-)konstruiert ein Parallelarchiv aus den Ruinen der Moderne indem sie ihre Arbeiten mit jenen von Julio González, Juan Gris, Raoul Hausmann, Fernand Léger, František Muzika und Antoine Pevsner in Beziehung setzt.
Kuratiert von Franz Thalmair in Zusammenarbeit mit Nikita Kadan, Barbara Kapusta, Frida Orupabo, Lisl Ponger und Anita Witek.
Künstler*innen
Alexander Archipenko, Hans Arp, Giacomo Balla, Willi Baumeister, Rudolf Belling, Hans Bellmer, Herbert Bayer, Karl Blossfeldt, Louise Bourgeois, Constantin Brâncuşi, Victor Brauner, André Derain, Friedl Dicker-Brandeis, Marcel Duchamp, Raymond Duchamp Villon, Max Ernst, Alberto Giacometti, Julio González, Juan Gris, George Grosz, Albert Paris von Gütersloh, Raoul Hausmann, Florence Henri, Johannes Itten, Nikita Kadan, Barbara Kapusta, Friedrich Kiesler, Ernst Ludwig Kirchner, Henri Laurens, Fernand Léger, René Magritte, Kasimir Malewitsch, André Masson, Wladimir W. Majakowski, László Moholy-Nagy, František Muzika, Frida Orupabo, Alicia Penalba, Antoine Pevsner, Franz Pomassl, Lisl Ponger, Man Ray, Germaine Richier, Alexander Michailowitsch Rodtschenko, August Sander, Oskar Schlemmer, Karl SchmidtRottluff, Victor Servranckx, Edward J. Steichen, Alexander Stern, Nikola Vučo, Anita Witek, Fritz Wotruba, Ossip Zadkine
mumok
Museum moderner Kunst
Stiftung Ludwig
Museumsplatz 1, A-1070 Wien
T +43-1-525 00-0, F +43-1-525 00-1300
www.mumok.at
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