Ausstellung oder Inszenierung? URBAN NATURE ist beides – Erfahrungsraum und Rollenspiel. Das neue und bisher komplexeste Ausstellungsprojekt des Autoren-Regie-Teams Rimini Protokoll (Haug/Huber/Kaegi/Wetzel) kreist um das Thema der Stadtgesellschaft. Wie denken wir uns die Zukunft in der Stadt? Wie kann ein solidarisches Zusammenleben in der urbanen Zukunft aussehen?
In die Ausstellungsräume der Kunsthalle fügt sich eine Welt aus verschiedensten Stadträumen ein, wie ein begehbares Labyrinth. Es entsteht eine interaktive Installation, die neue Blickwinkel eröffnet, dazu anregt die eigene Realität aufzubrechen und so unerwartete Erfahrungen ermöglicht. Ein Rundgang durch die Ausstellung, der in kleinen Gruppen stattfindet, dauert etwa eine Stunde. In Video Walks werden die Besucher*innen aktiv einbezogen und tauchen alle acht Minuten in eine andere Szene ein, von der Obdachlosenunterkunft bis zum Hochhaus. Mit einem Tablet und Kopfhörern ausgestattet, begegnen ihnen an den einzelnen Stationen Expert*innen des Alltags. So treffen sie unter anderem auf eine Anlageberaterin, einen Umwelt- und Wirtschaftshistoriker, eine junge Frau auf der Suche nach Arbeit, einen Gefängniswärter und eine Grafikdesignerin.
Im Zentrum der Stadt, dem Ausgangspunkt des Rundgangs, treffen die Besucher*innen als Erstes auf Enric, einen Umwelt- und Wirtschaftshistoriker und Befürworter des Lebens in der Stadt. Für ihn birgt das Teilen von kritischen Ressourcen wie Wasser, Lebensraum, aber auch von Infrastruktur eine Chance für das gesellschaftliche Miteinander im urbanen Raum. Die Protagonist*innen, die alle aus Barcelona stammen, wo das Projekt erstmals aufgeführt wurde, berichten aus ihrer ganz persönlichen Perspektive: Eine Investitionsberaterin lädt in das Büro ihrer Bank ein. Ein Gefängniswärter zeigt seine Werkstatt, in der Häftlinge Klimaanlagen für einen Großkonzern produzieren. Die Grafikdesignerin Camila erzählt, wie sie sich als alleinerziehende Mutter entschied aus dem Werbegeschäft auszusteigen, um Cannabis in ihrer Wohnung anzupflanzen. Und die junge Leyla beschreibt die Ängste ihrer Mutter im Stadtraum und hinterfragt die Gefahren und Hindernisse im Alltag: „Ich frage mich, warum die Erwachsenen eine Stadt erschaffen haben, die für ihre eigenen Kinder zu gefährlich ist?“ Das Künstlerkollektiv nimmt die Besucher*innen mit in eine Installation, die die realen Probleme der Stadtgesellschaft thematisiert. Dabei verschwimmen die Ebenen zwischen Ausstellung und Aufführung, zwischen Realität und Fiktion. Die Kunsthalle Mannheim wird zu einem Erfahrungsraum, in dem die unterschiedlichsten Lebenswirklichkeiten aufeinandertreffen und in welchem die Berichte der sieben Protagonist*innen gesellschaftliche und politische Fragen zum Thema Stadtgesellschaft freilegen.
Das Kollektiv – Rimini Protokoll
Ob in Tokyo, Kopenhagen, Melbourne oder Rom, mit Rimini Protokoll verbindet man außergewöhnlich intensive Kunsterlebnisse, die bekannte Formen der Theater- und Kunstwelt auf den Kopf stellen. Das Autoren-Regie-Team, 2000 von Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel gegründet, ist für seine interaktiven Inszenierungen in der Theaterwelt international bekannt und agiert global seit über 20 Jahren in verschiedenen Konstellationen. Mit dem Projekt URBAN NATURE setzt Rimini Protokoll seine langjährige Zusammenarbeit mit dem Szenografen Dominic Huber fort. URBAN NATURE ist technisch und konzeptuell eine Weiterentwicklung unterschiedlicher Formate des Künstlerkollektivs und abermals ein radikaler Gegenentwurf zum traditionellen Ausstellungswesen. In ihren Projekten verlässt Rimini Protokoll dezidiert den begrenzten Raum der Theaterbühne, um den urbanen Raum als Thema und Austragungsort ihrer Inszenierungen zu erkunden. Das Projekt URBAN NATURE war zuvor in Barcelona zu sehen und wird für die Räume der Kunsthalle Mannheim adaptiert. URBAN NATURE ist außerdem die Fortsetzung einer gelungenen Zusammenarbeit mit dem Nationaltheater Mannheim, mit welchem Rimini Protokoll bereits 2005 bei der dokumentarischen Inszenierung Wallenstein kooperierte.
Rahmenprogramm – das „Stadtzimmer“
Mit dem „Stadtzimmer“, einem öffentlichen und kostenfrei zugänglichen Ort der Begegnung und Reflexion, soll im Atrium der Kunsthalle die lokale Stadtgesellschaft im Zentrum des Ausstellungshauses verankert werden. Das Team der Kunsthalle Mannheim möchte über die Fragen des Projektes URBAN NATURE mit regionalen Akteur*innen, die selbst betroffen sind und eigene Perspektiven einbringen können, vor Ort ins Gespräch kommen. Expert*innen, institutionelle Partner*innen, zivilgesellschaftliche Akteur*innen, Initiativen, Vereine, interkulturelle Communities und Forschungsprojekte wurden eingeladen, Vorschläge für Veranstaltungen wie Gespräche, Musik, Workshops und Mitmachaktionen einzureichen. Themen wie Stadtentwicklung, Gentrifizierung, neue Arbeitsformen, alternative Modelle des Zusammenwohnens und -lebens, Mikroökonomien, vernachlässigte Minderheiten und weitere urbane Themen der Stadt Mannheim und der Metropolregion Rhein-Neckar liegen dabei im Fokus. Die Veranstaltungen werden im September und Oktober 2022 stattfinden.
Kunsthalle Mannheim
Friedrichsplatz 4
68165 Mannheim
T. +49 (0) 621 293 6451
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