In Zeiten einer Renaissance der Religiosität und der neuen Wirksamkeit einer "untergründigen Religion ohne Glauben" (Slavoj _i_ek) untersucht die Ausstellung am Beispiel der Künstlerbewegung der Nazarener Begriffe, Phänomene und Strategien der Moderne. Die deutsch-österreichisch-schweizerische Bruderschaft um Johann Friedrich Overbeck, Franz Pforr und Peter Cornelius schloss sich Anfang des 19. Jahrhunderts mit dem Ziel zusammen, mit den Mitteln der Kunst eine christlich geprägte Gesellschaftsform wiederzubeleben. Ihre Modernität besteht sowohl in ihrer Stellung zum Religiösen und ihrer Protesthaltung gegenüber der Gesellschaft als auch in ihrem konzeptuellen Kunstbegriff. Die Ausstellung unternimmt den Versuch, die wegen ihrer auf Raffael und Dürer zurückgreifenden Formensprache und ihres am Mönchischen orientierten Lebensstils als rückwärtsgewandt geltende Künstlergruppe unter einem zeitgenössischen Fokus zu beleuchten und zu ihrer Neubewertung als früheste Bewegung der ästhetischen Moderne beizutragen.
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Die Nazarener sind das Produkt einer Zeit im Umbruch. Die mechanistische Weltanschauung der Aufklärung war um 1800 unter radikale Kritik geraten, der Glaube an die Wissenschaft, den Fortschritt der menschlichen Kultur und an die durchgängige Vernunftstruktur der Welt angeschlagen. Die Industrialisierung und die damit einsetzende rücksichtslose Ausbeutung der Ressourcen zur Produktivitätssteigerung hatten das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur ins Wanken gebracht, der im Zuge atheistischer Tendenzen stattgefundene Schwund der Religion ein Vakuum hinterlassen. Der Wunsch nach grundlegender Erneuerung erfasste sowohl die Gesellschaft als auch die Kunst. Einer der Wege führte in die Rückkehr des Religiösen und des Mythos, die sich in der Kunst am nachdrücklichsten am Beispiel der Nazarener manifestierte.
Die Nazarener waren eine studentische "Aussteigergruppe", die sich 1809 an der Wiener Akademie der bildenden Künste zusammenschloss und sich in Anlehnung an das mittelalterliche Zunftwesen und nach dem Schutzheiligen der Maler "Lukasbund" nannte. Die kaum zwanzigjährigen Maler Johann Konrad Hottinger, Friedrich Overbeck, Franz Pforr, Joseph Sutter, Ludwig Vogel und Joseph Wintergerst verfolgten kein geringeres Ziel, als die Gegenwart mit den Mitteln der Kunst aus ihrer Rationalisierung und Sinnentleerung zu befreien. Zu ihrem Programm zählte die Rückkehr zum christlich deutschen Mittelalter als gültigem Weltbild, die Erneuerung der religiösen Gesinnung durch Kunst und die Stärkung des nationalen Selbstbewusstseins. Geleitet wurden sie von dem Wunsch, der Kunst eine neue Basis im Volk zu verschaffen, sowie der Utopie, Kunst und Leben zu vereinen - eine Utopie, wie sie im 20. Jahrhundert mit unterschiedlichen ideologischen Vorzeichen immer wieder in Erscheinung treten sollte. So stammt der programmatische Schlachtruf von Fluxus, Happening und Aktionskunst "Lasset uns darum unser Leben in ein Kunstwerk verwandeln" nicht aus dem 20. Jahrhundert, sondern ist wortwörtlich ein Aufruf aus der Romantik (Ludwig Tieck / Wilhelm Heinrich Wackenroder). Richtungweisend war auch Friedrich Wilhelm Schelling: Er machte mit der Befreiung des Kunstwerks von der Naturnachahmung für die Nazarener und die moderne Kunst den Weg frei zu Kunstnachahmung und künstlerischen Aneignungsverfahren. Der programmatische Rückgriff der Nazarener konzentrierte sich auf den frühen Stil Raffaels und den "einfachenV und "ehrlichen" Stil Albrecht Dürers, den sie sich in Komposition und Manier in nie da gewesener Totalität aneigneten. Diese Vorgangsweise ist somit nicht als Backlash zu verstehen, sondern nimmt im Gegenteil Strategien des 20. Jahrhunderts wie jene der Konzept- und Appropriationskunst vorweg und macht die Nazarener somit zu Pionieren der ästhetischen Moderne.
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Es ist das ausdrückliche Ziel dieser von Christa Steinle in Zusammenarbeit mit Rainer Metzger kuratierten Ausstellung, neben der historisch und wissenschaftlich detailliert aufgearbeiteten Auswahl von Werken und Künstlern eine Neubewertung des „Nazarenismus“ vorzunehmen und das absolut Zeitgemäße, das den Nazarenern nicht minder zukam, zu beleuchten. So gliedern sich Ausstellung und Katalog nicht chronologisch, sondern in vier große Gruppen bzw. Kapitel: 1. Religion und Kunst, 2. Die Bewegung, 3. Reinheit und Wahrheit, 4. Gedankenkunst und ihre Folgen. Hier werden Aspekte präsentiert, die den „Nazarenismus“ unter seinem Einfluss auf heutiges Kunstverständnis auf Konzept und Idee, Purismus und Imagebildung befragen. ... (Presse / Schirn Frankfurt)
ORT: SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, Römerberg, D-60311 Frankfurt.
ÖFFNUNGSZEITEN: Di., Fr.–So. 10–19 Uhr, Mi. und Do. 10–22 Uhr.
SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT | Römerberg | D-60311 Frankfurt | Tel.: 069-29 98 82-118
schirn.de
Kataloge/Medien zum Thema:
Nazarener
Max Liebermann Haus
Schloss Biesdorf
Galerie Parterre
ifa-Galerie Berlin
Verein Berliner Künstler