Zerbrochene Smartphone-Displays, ein Knistern in der Radioübertragung, eingefrorene Bilder im Videocall. Erst im Moment der Störung richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf die Beschaffenheit der technischen Medien, die uns täglich umgeben, ohne sich dabei jedoch selbst in den Vordergrund zu drängen. Als eine der jüngsten und unberechenbarsten Kunstformen lenkt die Glitch Art gezielt das Augenmerk auf die produktive Seite des Fehlerhaften. Zunächst in den 1950er Jahren im Fachjargon von Radio- und Fernsehtechniker:innen verwendet, beschreibt der Terminus Glitch (frühneuhochdeutsch „glitschen“ – gleiten, gleiten lassen – oder jiddisch „gletshn“ – rutschen, weggleiten) bald im Kontext von Computerspielen Programmier- oder Grafikfehler. Ein Glitch ist somit das unerwartete Ergebnis einer Fehlfunktion, die neben Computerspielen auch bei anderweitiger digitaler Software auftritt. Im Kunstkontext finden technische Störungen ebenfalls ihren unmittelbaren Ausdruck im Bereich computergenerierter Bilder und des Digitalen. Die Wurzeln technischer Glitches gehen aber bereits auf die Frühzeit der Fotografie zurück; sie nehmen als künstlerische Gegenbewegung zu anerkannten Ausdrucksformen ihren Verlauf von der Fotografie über den Avantgardefilm, Video- und Soundkunst bis hin zu den digitalen Bildmedien und der Netzkunst, indem Bildstörungen bewusst provoziert oder gezielt programmiert werden.
Die Sonderausstellung „Glitch“ wird auf 1.200 qm Ausstellungsfläche in der Pinakothek der Moderne der Kunst der Störung als globalem Phänomen mit einem historischen Rückblick nachspüren. Die Ausstellung gliedert sich in vier Kapitel: Born to Glitch präsentiert analoge Fotografien aus dem 20. Jahrhundert und stellt sie historischen Ratgebern und Fotofehlerbüchern gegenüber; Loss of Control zeigt den schmalen Grat zwischen Kontrollgewinn und Kontrollverlust auf; in Twisted Worlds werden visuelle Welten eröffnet, die uns ansonsten verborgen blieben und Critical Disruptions versammelt kritische Interventionen, die um Themen wie ethnische Herkunft, Klasse und Religion, sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität, aber auch Kriege und andere globale Katastrophen kreisen. Insgesamt 50 internationale Künstler:innen zeigen, wie wichtig es ist, Normen und eingefahrene Denkmuster zu hinterfragen, uns mit neuen, abweichenden Ideen zu konfrontieren und dabei nicht zuletzt Unsichtbares sichtbar zu machen.
Statement Franziska Kunze:
„Die Ausstellung versammelt Werke aus den vergangenen knapp einhundert Jahren. Das ist eine lange Zeit, in der kulturell und politisch viel passiert ist. Alle Künstler:innen der Ausstellung nutzen Elemente der Störung, um die Gemüter aufzurütteln und den Finger in die Wunden ihrer Zeit zu legen. Sie zeigen, wie schön ,Fehler‘ sind und welches kreative Potenzial in ihnen steckt. Sie zeigen, dass sie Chancen darstellen und dazu anregen, andere Perspektiven einzunehmen und neue Wege zu beschreiten.‘‘
Mit Werken von Erwin Blumenfeld, Monika von Boch, Kilian Breier, Nick Briz, Broomberg & Chanarin, Chargesheimer, Pierre Cordier, Inge Dick, Christian Doeller, Maya Dunietz, Walter Ebenhofer, Jake Elwes, Jamie Faye Fenton, Ralf Filges, William Forsythe, Marc Foucault, Heinz Hajek-Halke, Fabian Hesse & Mitra Wakil, John Hilliard, Esther Hunziker, Lotte Jacobi, Gottfried Jäger, Arthur Jafa, JODI, Joan Jonas, André Kertész, Germaine Krull, Ryoichi Kurokawa, !Mediengruppe Bitnik und Sven König, Rosa Menkman, Ugo Mulas, Mame-Diarra Niang, Carsten Nicolai, Kazuma Obara, Nam June Paik, Jiang Pengyi, Sondra Perry, Sigmar Polke, Timm Rautert, Man Ray, Johanna Reich, Evelyn Richter, Pipilotti Rist, Barry Stone, ariella tai, Wolfgang Tillmans, Raoul Ubac, Timm Ulrichs, Steina Vasulka, Peter Weibel.
Kuratorin: Dr. Franziska Kunze, Sammlungsleiterin Fotografie und Zeitbasierte Medien
Assistenzkuratorin: Katrin Bauer, M.A.
Pinakothek der Moderne
Barer Straße 40
80333 München
www.pinakothek-der-moderne.de
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