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Coffee to stay



Tellerklirren und gedämpfte Konversation mit österreichischer Einfärbung schlagen dem Gast entgegen. Auch wenn es nicht nach warmem Apfelstrudel riecht, kommt der erste Eindruck des MAK DESIGN SPACES mit seinen hohen Decken und dem kleinen Tischchen, an dem eine Dame sitzt und in Tageszeitungen blättert, dem eines traditionellen Wiener Kaffeehauses recht nahe. Doch was ist das? Auf halber Höhe hängt ein Flachbildfernseher an der Wand, auf dem ein Fußballspiel übertragen wird und von der Decke baumeln Lampen, die verdächtig nach Szenecafé ausschauen.

Das Kaffeehaus gehört zu Wien wie der Stephansdom und die Sachertorte. Schon Thomas Bernhard wusste: „Wie andere in den Park oder in den Wald, lief ich immer ins Kaffeehaus, um mich abzulenken und zu beruhigen, mein ganzes Leben lang.“
In den traditionsreichen Häusern wie etwa dem Café Landtmann, dem Café Sperl oder dem Anzengruber wird heute wie vor hundert Jahren viel Wert auf Etikette gelegt: Selbstverständlich trägt der Ober dort Frack und setzt voraus, dass sein Gast den Unterschied zwischen einem „Kleinen Braunen“ und einem „Einspänner“ kennt.
Wo findet diese prestigeträchtige Institution im Wien der Gegenwart ihren Platz? Stirbt das Kaffeehaus? Ist es vielleicht bereits tot und nur mehr ein verstaubter Anachronismus, längst abgelöst von der Coffee-to-go Kultur?

Gregor Eichinger, Architekt, Designer und Initiator des Großen Wiener Kaffeehaus Experiments hat Julia Landsiedl, die diesjährige Designerin-in-Residence auf Spurensuche geschickt. Erste Ergebnisse des als Work-in-Progress angelegten Projektes sind seit Anfang März als Phase I zu sehen, Nach einer weiteren Phase und einem Gastauftritt des Designkollektivs raumlaborberlin kommt es im Oktober diesen Jahres dann zur so genannten Versuchsanordnung: Dann wird sich das Kunsthaus zum Kaffeehaus auf Zeit verwandeln.

Auf seinem Rundgang begegnet der Gast, respektive Besucher, zahlreichen Fragen, die zum Nachdenken über das Wesen des Kaffeehauses damals und heute anregen.
„Wie viele Steckdosen braucht ein Café?“ „Wie türkisch sind die Wiener Vorstadt Espresso?“ „Ist die Aida ein Kaffeehaus? Gregor sagt nein.“ Gregor bemängelt stellvertretend für viele Wiener das Konzept einer Kette, die gerne Kaffeehaus wäre. Als Beweis dient das Foto eines in die Kaffeehauswand eingelassenes Aquarium und künstlicher Palmen.

Neben diesen spielerischen Ansätzen gibt die umfangreiche Sammlung des MAKs einiges an historischem Material her. Neben pittoresken Werbeplakaten hängt ein Stich aus dem 18. Jahrhundert mit dem Titel Versammlung der schönen Welt bey den Kaffee-Häusern in der großen Prater-Allee und Kaffeehausklassiker wie der Thonet laden zum Probesitzen ein. Für erfrischende Irritation sorgt gleich daneben eine futuristisch anmutende Nespresso-Maschine und eine so zauberhafte Erfindung wie die Tasse Anthrophobe aus der Serie Emphatic Coffee Cups: Eine Kaffeetasse, die das Gesicht des scheuen Trinkenden bedeckt, mit integriertem Guckloch, zum Inspizieren des Nachbartisches.
Bei einem Experiment darf natürlich auch die grafische Aufarbeitung nicht fehlen. Wer geht mit wem wie lange ins Kaffeehaus? Was wird getrunken? Was gelesen, was gesprochen? Ihre Beobachtungen hat Julia Landsiedl visualisiert und das Ergebnis ist eine humorvolle Bestandsaufnahme der Kaffeehausklientel.
Spaß machen auch Entdeckungen wie das Schild vor einem Coffeeshop in Uninähe, das, von Herzen umrahmt, stolz verkündet: „Wir schäumen die Milch für jeden Kaffee frisch!“ und der so genannte Orderman, ein Gerät zur Aufnahme von Bestellungen, das zeitgenössische Pendant zum livrierten Ober.

Der wahre Feind des Kaffeehauskultur aber ist ein anderer: Starbucks und all die nach amerikanischem Vorbild weltweit etablierten Kaffeeketten haben ihren Weg trotz heftigem Protest am Ende auch nach Wien gefunden. Man kann sich die Empörung des traditionsverliebten Kaffeehausbesuchers angesichts solcher Auswüchse wie Low-Fat Soy Milk Caramel Latte mit Fairtrade-Siegel gut vorstellen. Und der Coffee to go, unterwegs nebenbei aus dem Pappbecher konsumiert, spottet der grundsätzlichen Idee des Kaffeehauses, die doch demonstratives Nichtstun ist.

Am Ende des Rundgangs erkundigt sich die Dame, die vorher noch lesend am Kaffeehaustischchen saß, nach dem Wohlbefinden des Besuchers. Man staunt und freut sich über so viel Aufmerksamkeit. Das Kaffeehaus, ein Ort der Menschlichkeit? Auf jeden Fall ein Ort, an dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint und ein Gegenentwurf zur anonymen Coffeeshoptheke.
Lieber ein schlecht gelaunter Oberkellner als ein Orderman

Abbildung:
Das Große Wiener Kaffeehaus-Experiment Phase I
Ausstellungsansichten, 2011
MAK DESIGN SPACE
© kramar/MAK

Das Große Wiener Kaffeehaus-Experiment Phase I
Ausstellung bis zum 21. August 2011
MAK DESIGN SPACE
Stubenring 5
1010 Wien

Dienstag 10-24 Uhr
Mittwoch bis Sonntag 10-18 Uhr
Montag geschlossen

mak.at

Eva Biringer





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