Die Kunstwerke in Shirin Sabahis Einzelausstellung Borrowed Scenery gehen von realen Räume aus, die zum Gegenstand erfundener oder wahrer Geschichten werden. Diese auf Vorstellungskraft oder auf Recherchen beruhenden Geschichten durchlaufen einen Klärungsprozess, um zu einer unmittelbaren ästhetischen Erfahrung zu gelangen. Die Arbeiten beschäftigen sich mit der Beziehung zwischen fest verorteten, gebauten Räumen und ihren Bildern sowie anderen, beweglichen Spuren und Überresten.
Pools sind für Sabahi immer wieder Orte der Faszination. Im Mittelpunkt ihres Films Borrowed Scenery (2017) steht das historische Werk Matter and Mind des japanischen Künstlers Noriyuki Haraguchi aus dem Jahre 1977. Diese Skulptur besteht aus einem mit gebrauchtem Motoröl gefüllten Stahlbecken, das im Teheraner Museum für zeitgenössische Kunst permanent installiert ist. Im Verlauf der zurückliegenden vier Jahrzehnte wurde dieses Becken zum Gegenstand eines Rituals: zu einem Wunschbrunnen wider Willen, vandalisiert von hingerissenen Museumsbesuchern, die Münzen und andere Dinge in ihn hineinwerfen. Sabahi ermöglichte 2017 im Rahmen ihrer Filmproduktion, dass Haraguchi nach Teheran zurückkehrte, um die Restaurierung seines Kunstwerks zu leiten. Der dabei entstandene Film Mouthful (2018) ist gleichzeitig Mittel und Ziel dieses Projekts. Durch seine Fokussierung auf die Herkunft und den Standort von Matter and Mind zeigt das Projekt, wie sich eine künstlerische Recherche mit dem Werk eines anderen Künstlers, mit der Institutionsgeschichte eines Landes, mit dem sinnlichen Aspekt der Erinnerung und mit dem Internationalismus auseinandersetzen kann, der vor den aktuellen Bedingungen der Globalisierung existierte.
Rohöl ist im Grunde ein verdichtetes Zeichen des Lebens auf diesem Planeten. Produkte aus Erdöl stehen für Fortschritt und Wohlstand, aber auch für Verschmutzung. Motoröl hat die Farbe durchsichtigen Bernsteins, im Gebrauch wandelt sich diese durch die Ansammlung von Ruß, Abrieb und anderen Schadstoffen in opakes Schwarz, und dennoch erzeugt gebrauchtes Motoröl glasklare Spiegelbilder. Sabahis Mouthful spielt nicht nur mit solchen, dem Material innewohnenden Widersprüchen, sondern auch mit den Widersprüchen und Möglichkeiten der Kunstproduktion selbst.
Darüber hinaus konzipierte Sabahi eine Intervention mit den Oberflächen des Ausstellungsraums. Zusammen mit dem Architekten Jan Parth überlegte sie, wie ihre früheren Arbeiten einen passenden Ort im Edith-Russ-Haus finden könnten. Indem der Ausstellungsraum durch spiegelnde Oberflächen erweitert wird, spielt die Ausstellung auf die Grenzen solcher Räume an, während die Oberflächen der Kunstwerke Spiegelbilder unserer eigenen Grenzen zeigen.
Shirin Sabahi ist in Teheran geboren; die Künstlerin lebt in Berlin.
Sie war Preisträgerin des Stipendiums für Medienkunst der Stiftung Niedersachsen am Edith-Russ-Haus 2017.
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