Die Gruppenausstellung Sea and Fog, die vom gleichnamigen Buch der Künstlerin und Dichterin Etel Adnan (1925-2021) inspiriert wurde, möchte durch die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Weltkriege und deren Auswirkungen auf die Gegenwart einen Raum für die vielschichtigen Wahrnehmungen der existenziellen Herausforderungen unserer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schaffen.
Der Erste Weltkrieg war einer der schrecklichsten Kriege der Zeitgeschichte. Weltweit starben mehr als 9 Millionen Soldat*innen und 6 Millionen Zivilist*innen, unzählige Menschen wurden verletzt und alleine an der Westfront zerstörten mehr als 1.5 Milliarden Granaten, Städte und ganze Landstriche. Der Alltag neuer Kriege und Katastrophen im Mittleren und Nahen Osten, Afrika, Asien, Europa und weltweit macht eine Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg notwendiger denn je.
Die Geschichte der zwei sogenannten Weltkriege wird häufig aus einer europäischen und US-amerikanischen Perspektive erzählt. Unzählige individuelle Wahrnehmungen und Schicksale aus verschiedenen Kulturkreisen und Regionen bleiben weiterhin unbeachtet. Diese vielfältigen Geschichten verdeutlichen aber die unterschiedlichen Erfahrungen der Menschen während der Kriege. Gerade dadurch zeigen sich geographische und kulturelle Verflechtungen auf, die weit über künstlich gezogene Territorien, Nationalstaaten und Geopolitik hinausgehen.
Mit Sea and Fog legt die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden auch einen Teil ihrer eigenen institutionellen Geschichte frei und fragt, was vor 110 Jahren, 1914, fünf Jahre nach Entstehung der Staatlichen Kunsthalle und zu Beginn des Ersten Weltkrieges, hier in Baden-Baden passierte und inwieweit der Gründungsmythos des Hauses mit diesem Krieg verwoben ist.
Wie spiegeln sich also Zeithorizonte und Lokalitäten – damals wie heute? Und wie verbinden sich die einst von den Kolonialmächten künstlich gezogenen territorialen Grenzen und die nachfolgenden Weltkriege mit den Krisen der Gegenwart? Die ideologische und politische Desillusionierung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die den Nährboden für Faschismus, Kommunismus und unzählige Konflikte legten, hallen weiterhin nach. Die Ausstellung Sea and Fog folgt diesen Verflechtungen und sucht nach Antworten, Schutz und Trost in den Werken der gezeigten Künstler*innen und in der Sprache Etel Adnans.
Adnan wurde 1925 im von Frankreich besetzten Beirut geboren. Während des Zweiten Weltkriegs erlebte sie die britischen und französischen Truppen im Libanon und wie Beirut zu einem kleinen Wirbelsturm aus Krieg und Amüsement wurde. 1955 ging sie für das Studium nach Los Angeles und weigerte sich, nach dem Algerischen Unabhängigkeitskrieg als Autorin weiter die französische Sprache zu nutzen, um stattdessen “in Arabisch zu malen”. In den bewegten 20. und 21. Jahrhunderten und ein Alltag, in dem ihre Heimat Beirut erneut brennt und unter einem Krieg leidet, ist ihr Lebenslauf wie ein Schlaglicht auf Viele.
Ihr Buch Sea and Fog (2012) beschreibt, dass wir uns in einem ständigen Provisorium zwischen den Kräften der Natur und der unaufhaltsamen Dynamik der Zeit bewegen. In diesem Kontext interpretiert die Ausstellung den von Adnan beschriebenen “Nebel” als symbolisches Element der emotionalen Ungewissheit. Zusammen mit der Poesie des Buches befassen sich die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten mit den Schatten der Vergangenheit und der dauerhaften Präsenz von Zweifel und Verlust. Ausgehend vom Ersten Weltkrieg, fokussiert die Gruppenausstellung Sea and Fog die menschgemachte Gewalt des Krieges, deren unaufhörliche Wiederholung und die vielen damit verbundenen Schicksale einzelner Menschen.
KURATOREN
Çağla Ilk
Misal Adnan Yıldız
Sandeep Sodhi
Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden
Lichtentaler Allee 8 a
76530 Baden-Baden
kunsthalle-baden-baden.de
Presse
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