Die Sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts stehen für gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen, deren Nachwirkungen bis heute spürbar sind. Ausgehend von den USA und der dortigen Bewegung gegen den Vietnamkrieg werden neue Visionen für ein friedliches Zusammenleben der Menschen propagiert und weltweit vor allem von jungen Menschen aufgenommen. Kapitalismus und bürgerliche Ideale werden infragegestellt, die sexuelle Revolution findet unter dem Motto "make love, not war" statt. Zu den Künstlern dieser Epoche, die sich mit ihrer Arbeit politisch engagieren, zählen Erró (geb. 1932 als Gudmundor Gudmundsson in Olafsvik, Island, lebt in Paris), Öyvind Fahlström(1928 São Paulo-Stockholm 1976), Jean-Jacques Lebel (geb.1936 in Paris, lebt in Paris) und Arthur Köpcke (1928 Hamburg-Kopenhagen 1977). Diese herausragenden vier Positionen werden erstmals in einer Ausstellung gemeinsam präsentiert. Die knapp 200 Werke stammen überwiegend aus der Sammlung Harald Falckenberg.
Surrealismus und Dadaismus, Popart und Fluxus bilden die ästhetischen Bezugspunkte der Künstler, deren Biographien durch Kindheitserlebnisse im Zweiten Weltkrieg geprägt wurden. Mit ihrer Kunst stritten sie nicht nur für andere gesellschaftliche Verhältnisse, sondern rebellierten auch gegen den überlieferten bürgerlichen Kunstbegriff. Lebel, der im Umfeld von Marcel Duchamp und André Breton aufwuchs, veranstaltete die ersten Happenings als neuartige Kunstform auf europäischem Boden. Köpcke und Erró, die eng miteinander befreundet waren, und Fahlström kombinieren Bild und Schrift zu sprechenden Collagen, in denen das formale Repertoire von Comics und Illustrierten, kommerzieller Werbung und politischer Propaganda aufgegriffen wird. Durch diese Rückgriffe auf alltägliche Erfahrungsbereiche und das Durchmischen von "high and low" wurde der Kunstbegriff erweitert. Lebel schuf Installationen, in denen Sex und Politik, innere und äußere Triebkräfte ohne Tabus zur Schau gestellt wurden. So wie bewusstseinserweiternde Drogen benutzt wurden, sollte auch die Kunst das Bewusstsein des Betrachters stimulieren und öffnen. Erróveranschaulicht in Weihnachten am Weißen Haus(1974) auf ironischplakative Weise US-amerikanische Paranoia im Bild eines Rotarmisten, der sich vor dem weihnachtlich geschmückten Weißen Haus in Washington im Gebüsch versteckt. Fahlströmentlarvt mit einer Serie von Karikaturen des amerikanischen Präsidenten Nixon (Übung, Nixon, 1971) den Hassgegner des Antiamerikanismus als lächerliche Figur und die Personalisierung von Politik als fatales Spiel mit dem maskenhaften Schein. Köpcke beschäftigt sich in seinen Rollbildern auch mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen künstlerischer Existenz und Produktion. In der Arbeit Reading-Work-Piece No. 116(1965) liest man als Spielregel für den Künstler: "Be friendly, smile, use colours, shake hands etc. or do not, it depends on the circumstances." Der lapidare Hinweis auf das Anpassungspotential des Künstlers steht der generellen Forderung nach politischer Radikalität von Kunst, die in dieser Zeit en vogue war, ernüchternd entgegen. Lebel karikiert in der Arbeit Echtes Schweinefleisch, Lenin(1959) unter Anspielung auf Duchamp die Mystifizierung politischer Helden. So sehr die Künstler durch die politische Besetzung künstlerischer Inhalte einander verbunden waren und sind, so kritisch haben sie eben dieses Phänomen auf individuelle Weise reflektiert. Dass politisches Engagement künstlerische Qualität nicht ausschließt, wenn die Poesie nicht verraten wird, ist ein Fazit der faszinierenden Zusammenschau dieser originären Positionen.(Presse | mdbk)
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