Seit geraumer Zeit erlebt die Darstellung von Blume und Pilz eine Renaissance in der Bildenden Kunst. Die üppige Schau Flowers & Mushrooms beleuchtet die Klischees und die Vielzahl an Bedeutungsebenen von Blumen und auch Pilzen als Symbolträger in der Kunst. Anhand einer Auswahl von Werken aus den Bereichen Fotografie, auf Fotografie basierender Malerei, Video und Plastik/Installation werden aktuelle gesellschaftliche und ästhetische Fragestellungen verhandelt.
Blumen werden heute vorrangig mit ihrer dekorativen Funktion in Verbindung gebracht. Bei Hochzeiten aber auch bei Beerdigungen kommt ihnen überdies eine
symbolische Funktion zu, stehen sie doch für Frische und Fruchtbarkeit ebenso wie für Vergänglichkeit und Tod. Eine nähere Betrachtung der vielfältigen symbolischen Verwendung in der Kulturgeschichte bringt weitere Bedeutungsebenen, die sich nicht selten auch auf das Ambivalente und Abgründige der menschlichen Existenz beziehen, zum Vorschein. Die zeitgenössische Kunst greift diese lange und komplexe Bildtradition von Blume und Pilz auf und schreibt sie in einer Erweiterung um neue Perspektiven fort.
Namenspate der Ausstellung ist das Künstlerduo Peter Fischli/David Weiss mit ihrer mehrteiligen Werkserie Ohne Titel (Flowers, Mushrooms). Mit der Rolle von Klischees und geläufigen Themen setzen sich die Schweizer seit vielen Jahren auseinander. Hier beinhalteten verschiedene Diaprojektionen samt einer umfangreichen Serie von Inkjet- Prints und Cibachromes Überblendungen von Blumen- und Pilzmotiven. Als Entrée zur Ausstellung zeigt ein historischer Teil Aufnahmen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Vor allem die Fotografie als neues Medium ist eine besondere Beziehung mit dem Floralen eingegangen: Die mittels Fotografie festgehaltenen vielfältigen Pflanzen- und Blumenformen dienten gleichsam als Ersatz für das traditionelle Herbarium oder aber als natürliche Vorbilder, als „Urformen der Kunst“ (Karl Blossfeldt, 1928) für ornamentale Gestaltungen im Unterricht. Bereits zu Beginn der Geschichte der Fotografie motivierte wissenschaftliches Interesse Pioniere wie William Henry Fox Talbot oder Anna Atkins zu bemerkenswerten Pflanzendarstellungen.
Die affirmative Übersteigerung des dekorativen Charakters der Blume reizte später keinen Geringeren als Andy Warhol, ein simples fotografisch reproduziertes
Blumenmotiv in seinen Flowers (ab 1964) wieder aufzugreifen, in einer seriellen Wiederholung ironisierend zu überhöhen und damit einem banalen Alltagsgegenstand
ikonischen Status zu verleihen. Künstler wie David LaChapelle und Marc Quinn führen mit der aggressiven Farbigkeit ihren beeindruckend herrschaftlichen Blumen-
Arrangements das barocke Sinnbild für Üppigkeit fort, betonen aber auch jenen gleichermaßen enthaltenen drohenden Moment, in dem das Übermaß einen alles
verschlingenden Charakter annehmen kann.
Blüte und Knospe stehen nach wie vor für Erotik im Allgemeinen, erzeugen durch ihr Erscheinungsbild Assoziationen mit dem weiblichen und männlichen Geschlecht im
speziellen und wirken damit per se sinnlich. Als frühe Vorläuferin dieser sexualisierten und dennoch analytischen Wahrnehmung von Blumen gilt Imogen Cunningham, gefolgt von Robert Mapplethorpe, die beide diese spezielle Wahrnehmung – erotisch aufgeladen und gleichzeitig kühl – in ihren Fotografien umsetzten, indem sie in ihrer teils skulpturalen Behandlung der Blume Analogien zum menschlichen Körper zogen.
Künstlerinnen wie Vera Lutter, Paloma Navares und Chen Lingyang richten einen spezifisch weiblichen Blick auf die Blume als Symbol für die eigene identitätsstiftende Geschlechtlichkeit, aber auch für deren Verletzlichkeit und Ausgesetztheit und erheben die Blume damit auf eine sozialkritische und politische Ebene.
Eng verbunden mit dem Eros ist Thanatos, der Tod. Die welkende Blume als Symbol der Vanitas greift Michael Wesely in seinen Langzeitbelichtungen auf, die die Blumen durch den Prozess von der kraftvollen Blüte zum hängenden Kopf begleiten und dennoch bis zum Schluss ihre Schönheit unterstreichen. Entkleidet von jeder
Lieblichkeit und sogar bedrohlich hingegen wirken die Monstrositäten aus Blumen in den „wüsten“ Video-Installationen von Nathalie Djurberg, die Gewalt und Missbrauch thematisieren.
Pilze bewegen sich sowohl in ihrem natürlichen Raum als auch in der Kulturgeschichte eher auf der Schattenseite. Hauptsächlich in Verbindung gebracht mit zwielichtiger Alchemie und Hexenkunst, begehrt und gefürchtet als Halluzinogen, fand der Pilz zahlreich Eingang in die phantastischen Bereiche von Kunst und Literatur. Ähnlich wie die Blume kann der Pilz eine lange kulturgeschichtliche Tradition aufweisen und taucht seit geraumer Zeit im Kontext künstlerischer Produktionen immer wieder auf.
Sylvie Fleury kontrolliert beispielsweise den Raum mit einem „Wald“ überdimensionierter „mushrooms“, deren mit Autolack überzogene Oberfläche den
ihnen innewohnenden Charakter eines Fremdkörpers verstärkt. Ihre Überdimensionalität und glitzernde Erscheinung lässt an Szenen aus „Alice im Wunderland“ denken, in denen die Protagonistin von einem Pilz isst, um schrumpfen und wieder wachsen zu können. Mit geradezu wissenschaftlichem Interesse ist Carsten Höller den Pilzen auf der Spur, deren Einzigartigkeit und Individualität er in detailreichen Farbfotografien dokumentiert, oder in überlebensgroßen raumgreifenden Skulpturen und Schaukästen umsetzt.
Zu sehen sind Werke von Nobuyoshi Araki, Anna Atkins, Eliška Bartek, Christopher Beane, Karl Blossfeldt, Lou Bonin-Tchimoukoff, Balthasar Burkhard, Giovanni Castell, Georgia Creimer, Imogen Cunningham, Nathalie Djurberg, Hans-Peter Feldmann, Peter Fischli/David Weiss, Sylvie Fleury, Seiichi Furuya, Ernst Haas, Carsten Höller, Judith Huemer, Dieter Huber, Rolf Koppel, August Kotzsch, David LaChapelle, Edwin Hale Lincoln, Chen Lingyang, Vera Lutter, Katharina Malli, Robert Mapplethorpe, Elfriede Mejchar, Moritz Meurer, Paloma Navares, Nam June Paik, Marc Quinn, Albert Renger-Patzsch, Zeger Reyers, Pipilotti Rist, August Sander, Gitte Schäfer, Shirana Shahbazi, Luzia Simons, Thomas Stimm, Robert von Stockert, William Henry Fox Talbot, Diana Thater, Stefan Waibel, Xiao Hui Wang, Andy Warhol, Alois Auer von Welsbach, Michael Wesely, Manfred Willmann, Andrew Zuckerman.
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