NEED OR NO NEED – diese vier Worte bringen Lara Favarettos künstlerische Praxis auf den Punkt. Welche Gegenstände benötigen wir? Welche Materialen verwenden wir? Was sondern wir aus, werfen wir weg, verschrotten wir? Aber auch: Was braucht es für eine künstlerische Setzung, eine Skulptur? Was ist zu viel, was zu wenig – in der Kunst, unserer Gesellschaft, unserem Leben? Die italienische Künstlerin entwickelt Objekte, Installationen und Situationen, die tief in der Materialästhetik der Arte Povera wurzeln, doch weit über sie hinausreichen.
Immer wieder beschränkt sich Lara Favaretto. Sie nimmt weg, fängt auf, fügt hinzu. Man ist verleitet sie als Komponistin zu bezeichnen, die Gegenstände, Materialien, Farben und Formen in ungewöhnliche, spannungsreiche Verbindungen zueinander setzt. Dabei arbeitet sie mit „armen“, also alltäglichen und einfachen, Materialien – Holz, Metall, Beton – die sie mit oftmals kostbaren, farbintensiven Stoffen wie Seide, Gold oder Konfetti kombiniert. Aus den Kontrasten zwischen hart und weich, schwer und leicht, vorgefunden und erschaffen, ärmlich und teuer entstehen skulpturale Setzungen innerhalb bestehender Raumgefüge.
Ihre Eingriffe sind minimal, der Logik der Materialien folgend, von großer Leichtigkeit, dabei absolut präzise und radikal. So errichtet sie beispielsweise ein Feld aus gebrauchten Baugerüststangen, von denen eine einzige eng mit einem farbigen Wollfaden umwickelt ist. Sie platziert korrodierte Überfahrplatten aus Stahl auf hauchdünnen Seidenbahnen in leuchtenden Farben. Sie taucht ihre Hände in noch nicht ausgehärteten Zement und hinterlässt so Abdrücke einer körperlichen Aktion. Oder sie fährt mit einem Citroën LNA an den Wänden des Ausstellungsraumes entlang und kreiert dabei eine Zeichnung aus Farbe und Kratzern. An diesen Beispielen wird deutlich, dass sich ihr künstlerisches Interesse um Prozesse des Sammelns, Erinnerns, des Wandels und Zerfalls dreht. Ihre Werke tragen die Eigenschaften der Materialien in sich, erzählen von deren zurückliegender Existenz und Lebensdauer.
Jedes Material besitzt die Tendenz sich im Laufe der Zeit zu verändern, zu verringern und schließlich zu verschwinden. Diese Prozesse sind unaufhaltsam. Bei Lara Favaretto erhalten sie aber eine besondere Qualität, denn sie setzt ihre Objekte hohen Belastungen aus. So wird es unmöglich vorauszusagen, wie sie sich im Laufe der Zeit entwickeln, wie stark der Zahn der Zeit an ihnen nagt. Das Interesse der italienischen Künstlerin gilt den Methoden Eliminationsvorgänge zu beschleunigen. Dies verdeutlichen auch Videoarbeiten wie Eraser, in der die Künstlerin ein gelbes Radiergummi wieder und wieder gegen die weiße Wand ihres Ateliers wirft, oder Doing, die zeigt, wie drei Personen Carrara-Marmorblöcke durch beständiges Beschlagen langsam zu Staub verarbeiten. Jedes ihrer Werke versucht den Betrachtern, wie es Lara Favaretto formuliert, einen Tag zu schenken – einen zusätzlichen Moment. Einen Freiraum, der nicht den alltäglichen Pflichten und Gesetzen unterworfen ist, sondern im Zeichen neuer Kollaborationen steht. Der einen Austausch mit anderen Menschen und ein Mitwirken an Prozessen bedeutet – eine aufständische Geste gegenüber der Gleichförmigkeit und Konformität menschlicher Handlungen und Gedanken. Lara Favarettos Ausstellung NEED OR NO NEED in der Kunsthalle Mainz ist ihre erste Einzelausstellung in Deutschland.
Kunsthalle Mainz
Am Zollhafen 3–5
55118 Mainz
www.kunsthalle-mainz.de
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