Mit der Gruppenausstellung Producing Futures – An Exhibition on Post-CyberFeminisms widmet sich das Migros Museum für Gegenwartskunst den feministischen Anliegen der Post-Internet-Ära. Heute sind das virtuelle und das reale Leben beinahe untrennbar miteinander verbunden. Anders als von den Cyberfeminist*innen in den 1990er Jahren proklamiert, hat sich der Cyberspace nicht (nur) als Ort der Befreiung und Ermächtigung etabliert, sondern
im gleichen Zuge auch bestehende Hierarchien und Machtstrukturen verstärkt.
Die Ausstellung nimmt die historischen Ansprüche und Visionen des Cyberfeminismus als Ausgangspunkt, um sie mit der aktuellen Situation in Beziehung zu setzen und zu fragen, ob die Ideen nach wie vor produktiv sein können. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht so die Auseinandersetzung mit verschiedenen feministischen Ansätzen, die sich auf die Spannung zwischen Körper und Technik sowie auf diskriminierende Geschlechternormen konzentrieren. Die Künstler*innen in der Ausstellung reflektieren und verfremden beispielsweise das Angebot verschiedenster Online-Plattformen, um die Grenzen zwischen virtuell und real, online und offline sowie zwischen den Geschlechtern weiter zu verwischen. Viele der Arbeiten verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz, der unter anderem (medizinische) Wissenschaften und das Okkulte in die Diskussion miteinbezieht, um eine lebenswerte Zukunft zu entwerfen, die von Emanzipation, Geschlechtergerechtigkeit und sozialer Gleichheit charakterisiert ist.
Wie entkommt man gesellschaftlichen Strukturen, zu denen Sexismus, Rassismus und Klassismus gehören und die auf einer normativen Wissensbildung fussen, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint? Die US-amerikanische Biologin, Wissenschaftsphilosophin und Literaturwissenschaftlerin Donna Haraway schlägt als alternatives Modell der Wissensbildung die Strategie des SF vor. Die Abkürzung kann sowohl für «ScienceFiction» als auch für «spekulativen Feminismus» stehen und bezeichnet eine Praxis, für welche das Verknüpfen verschiedener Überlegungen, Fakten und Fiktionen kennzeichnend ist. Es ist eine Einladung zu gedanklichen Experimenten, in denen die Spekulation zu einer wertvollen Brutstätte neuer Zukunftsvisionen wird. Innerhalb dieser Gedankenwelt sieht sich auch die Ausstellung Producing Futures – An Exhibition on Post-Cyber-Feminisms.
Die Ausstellung spürt mit VNS Matrix und Lynn Hershman Leeson, die bereits in den 1990er Jahren das Potenzial des Internets erforschten, den Anfängen des Cyberfeminismus nach. Dass rund 30 Jahre später ein Umdenken dringender denn je nötig ist und wir uns nicht nur mit den persönlichen Daten, die wir im Internet teilen, sondern auch mit den endlosen Strömen von Bildern, welche gängige (vielfach sexistische) Rollenklischees bedienen, bewusster auseinandersetzen müssen, ist ein Schwerpunkt der Ausstellung. Dieser scheint insbesondere in der Videoinstallation von Wu Tsang sowie den Skulpturen von Guan Xiao und Anna Uddenberg auf. Letztere konfrontiert uns dabei schonungslos mit dem vorherrschenden Frauenbild. Auch Gavin Rayna Russom scheint überzeugt, dass ein Umdenken in Sachen individueller wie kollektiver Vorstellungen von Weiblichkeit notwendig ist, die sie mittels ihrer raumgreifenden Installation als offene, queere «gender identity» neu formiert. Ähnliches gilt auch für Juliana Huxtable, die in ihrer Arbeiten nicht nur die Geschlechterdichotomien, sondern auch die Unterscheidung Mensch und Tier als überholt erachtet. Dem Druck, welchen der permanente gesellschaftliche Perfektionsdrang auf uns ausübt, widmet sich mit ironischem Augenzwinkern Shana Moulton, wenn sie sich in ihrer Videoinstallation mit den eigenen Neurosen auseinandersetzt. Ihr «New Age Spiritualism» verbindet sie lose mit den ganzheitlich-heilenden Ansätzen von Tabita Rezaire und dem Künstlerduo MALAXA (Alicia Mersy und Tabita Rezaire). Beide haben es sich zur Aufgabe gemacht, in ihrer künstlerischen Praxis das Verschweigen von gegenwärtigem wie vergangenem Unrecht zu thematisieren, um so Prozesse der Heilung zu initiieren.
Anicka Yi visualisiert, wie sehr weibliche Ermächtigung sowie das Potenzial sich vernetzender Frauen auf heftige patriarchale Gegenwehr stossen kann. Ausgangspunkt ihrer Arbeiten sind die neuesten Erkenntnisse in den Bereichen Biotechnik und Genetik. So werfen ihre Zeltskulpturen einen durch die Wissenschaft geprägten Blick auf feministische Anliegen und reflektieren gleichzeitig die normierende Macht der Wissenschaft und ihrer Vertreter*innen. Dem Machtgefälle zwischen Wissenschaftler*innen und Nichtwissenschaftler*innen hält die Künstler*in Mary Maggic mit ihren Anleitungen zum «Östrogen-Hacking» eine Form von DIY-Wissenschaft entgegen. Während Maggic sich mit ihren Tutorials auf den physischen Raum und die Körper jenseits der Bildschirme bezieht, befragt die Videoarbeit von Cécile B. Evans allgemein das Konzept der Körperlichkeit in Anbetracht der Tatsache, dass wir den Cyberspace mit einer Vielzahl digitaler Wesen teilen. Dass eine Auseinandersetzung mit dem Stellenwert von Körperlichkeit dabei Hand in Hand geht mit Überlegungen zu Nähe und Zuneigung, wird in den Videos von Cao Fei und Frances Stark deutlich. Sie stellen die Qualität des Internets als Experimentierfeld des Selbst heraus und legen offen, wie das Erleben der eigenen Identität sowie von Intimität durch Online-Spiele und Chatroulette grundlegend verändert wird. Geeint werden die verschiedenen künstlerischen Positionen letztlich durch das gemeinsame Bestreben, Geschlecht und Identität als offene, performative und damit immer temporäre Konstruktionen zu etablieren.
Cao Fei, Cécile B. Evans, Lynn Hershman Leeson, Juliana Huxtable, Guan Xiao, MALAXA, Mary Maggic, Shana Moulton, Tabita Rezaire, Gavin Rayna Russom, Frances Stark, Wu Tsang, Anna Uddenberg, VNS Matrix, Anicka Yi
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