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Boris Lurie

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Ein Interview mit Yadegar Asisi

Mai 2022


Carola Hartlieb-Kühn: Lieber Herr Asisi, seit 2003 entwerfen Sie monumentale Panoramabilder zu historischen, politischen, kunstgeschichtlichen oder gesellschaftsrelevanten Themen. Eine der Besonderheiten ist, dass Ihre Bilder in 360 Grad Panoramen transformiert und in riesigen Räumen gezeigt werden. Angefangen hat alles in dem Gasometer in Leipzig, das Sie als Ausstellungsort nutzen und die Wortschöpfung Panometer dafür kreierten. Weitere Panometer befinden sich mittlerweile in Dresden oder Berlin, aber auch in Rouen in Frankreich. Ihr neuestes Projekt trägt den Titel NEW YORK 9/11 und beschäftigt sich mit Auswirkungen der Anschläge vom 11. September 2001 auf unsere Gegenwart.

Wissen Sie noch, was Sie am 11. September 2001 gemacht haben oder wie Sie von den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York, das Pentagon in Washington und den weiteren Flugzeugabsturz erfahren haben?

Yadegar Asisi: Für viele Menschen, so auch für mich, war dieser 11. September ein Ereignis, an das man sich noch Jahre später detailliert erinnert. Ich habe an diesem Tag mit meinem Sohn, der damals sechs Jahre alt war, im Urlaub auf Rügen ein Baumhaus gebaut. Am frühen Nachmittag setzte bei mir die bekannte Mittagsmüdigkeit ein. Gerade als ich mich hinlegen wollte, kam die erste Meldung, dass ein Flugzeug in den Nordturm des World Trade Centers eingeschlagen ist. Zu diesem Zeitpunkt habe ich es eigentlich noch verdrängt, man ging ja zunächst von einem Unfall aus.
Dann erhielt ich einen Anruf aus Berlin, in dem ein Freund von mir sagte, dass gerade der dritte Weltkrieg ausbricht. Sofort schalteten wir den Fernseher ein. Und dann saßen wir bestimmt zehn Stunden lang wie paralysiert vor dem Fernsehgerät und haben das Grauen live verfolgt. Man konnte sich dem Bösen nicht entziehen. Man fühlte diese eigentümliche Angst, diese Faszination des Unvorstellbaren.

chk: Wie hat sich daraus die Idee entwickelt, das Thema künstlerisch umzusetzen?

ya: Das war eine schrittweise Entwicklung, eine Kette von Gedanken. Ich war am Architekturwettbewerb zum Wiederaufbau des World Trade Centers im Team von Daniel Libeskind beteiligt. Deshalb flog ich nach New York und stand ein Jahr nach dem Anschlag in der Grube am Ground Zero, um zu fotografieren. Ich hatte vorgeschlagen, für die Visualisierung von Libeskinds Wettbewerbsentwurf ein Panorama beizusteuern. Und so kam es auch. Er gewann mit seinem Entwurf und so war auch mein Panorama immer wieder medial präsent. Das hat mich damals, vor 20 Jahren, natürlich gefreut. Durch die Kriege im Mittleren Osten und die fortschreitende Vereinnahmung der ganzen Erinnerungskultur fühlte ich mich mit der Zeit aber immer unwohler.

Dadurch, dass ich noch Verwandte im Iran hatte und auch später im Irak, habe ich immer mal wieder die Gemütslage der Menschen vor Ort erfahren. Der Hype um das neue Denkmal, das eine Gedenkstätte für die Opfer sein sollte, stieß mir im Zuge dessen immer bitterer auf. Es gibt dort nicht einen Hinweis darauf, dass die Kriege, die im Namen der 3.000 Getöteten am 11. September geführt wurden, Hunderttausende weiterer Menschenleben gefordert und Millionen Menschen im Mittleren Osten vertrieben haben. Das halte ich für ein Armutszeugnis – diese Doppelmoral der westlichen Welt. Wir führen Kriege und sprechen dabei von Menschenrechten. Wir sprechen von „Nation Building“, zerstören dabei aber unzählige unschuldige Existenzen.

Als Kunstschaffender musste ich irgendwie darauf reagieren. Zunächst fehlte mir noch eine Idee, ich wusste nur, was ich nicht wollte. Ich wollte auf gar keinen Fall zeigen, wie die Flugzeuge in die Türme fliegen oder die Trümmer und Ruinen in New York darstellen. Das war tausendfach in den Medien und ist so in unsere Köpfe eingebrannt, dass es uns nicht mehr wirklich tief berührt. Und dann kam mir ein Gedanke: Was wäre, wenn man fünf Minuten vor den Anschlägen am Ort des Geschehens stehen würde, mit der ganzen Komplexität der Erfahrung, mit 20 Jahren Erinnerungen des eigenen Lebens, mit dem Wissen um die fatalen Folgen im Hinterkopf? Ich dachte, dass ein Panorama, das diesen Moment zeigt, eventuell einen Zustand anregt, der den Betrachter auf eine andere, emotional berührende, subtilere Art und Weise zum Denken anregt.

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© Yadegar Asisi

chk: Können Sie sagen, warum Sie die Umsetzung der Idee gerade jetzt, also rund 20 Jahre nach dem Terroranschlag realisieren?

ya: Ich habe den Gedanken dieser konkreten Ausstellungsidee schon seit zehn Jahren. Wenn man sich auf dem Weg macht, solche Projekte umzusetzen, können sich jedoch nur die wenigsten vorstellen, wie viel Arbeit das ist. Am Anfang ist es immer sehr konzeptionell, sehr malerisch. Man braucht eine Grundidee für die Ästhetik der Emotion im Bild. Man geht ein Stück vorwärts, dann wieder zurück. Es muss ein Zustand herbeigeführt werden, der den Betrachter suggestiv glauben lässt, dass er sich wirklich fünf Minuten vor den Ereignissen in New York befindet.

Die ganze Szenerie ist sehr akribisch komponiert und choreografiert, das dauert viele Jahre. Und alles ist verdichtet. Ich weiß ja nicht genau, wie es am 11. September ausgesehen hat, aber wir haben alles versucht, so authentisch wie möglich diesen Ort zu exakt diesem Zeitpunkt nachzubauen. In diesem Fall war auch die Ausstellung im Vorfeld des Panoramas mehr denn je wichtiger Bestandteil der Inszenierung und Aussage, was den Prozess der Realisierung noch einmal verlängerte.

chk: Warum haben Sie sich dafür entschieden, den Morgen des 11. September 2001 – fünf Minuten vor und nicht beispielsweise nach den Attentaten zu thematisieren?

ya: Wenn man anfängt, über ein Thema nachzudenken, dann muss man sich eben entscheiden. Für mich waren der Anschlag und die „Attraktion“ der Ruine absolut keine Motive. Genauso wie der Krieg im Krieg, also die Darstellung von eigentlichen Kriegshandlungen, für mich nicht wirklich aussagekräftig ist. Es ist meist nicht der Krieg selbst, der uns im Nachhinein erschüttert. Was uns erschüttert, ist das, was der Krieg übriglässt sowie das Leid über Generationen.
Das Leiden der Menschen im Nachhinein und vor allem das Wissen darum in unserer Fantasie kulminiert in der Darstellung eines wunderbaren, perfekten New Yorker Herbstmorgens im Panorama. Ich bin zutiefst gespannt, welche Reaktionen das bei den Betrachtenden hervorruft.

chk: Wenn ich es richtig verstehe, visualisieren Sie in Ihren raumgreifenden Installationen vor allem die Folgen des Schicksalstags. Welche Schwerpunkte haben Sie dafür gewählt?

ya: Die Schwerpunkte liegen auf den Themen, die leider alle Kriege ausmachen. Man muss in erster Linie über die Opfer reden. Man beschäftigt sich mit den Kosten, da geht es natürlich auch um Geld. Und man braucht wirklich viel Geld, um Kriege zu führen. Ebenfalls wichtig ist die mediale Komponente und unsere Rezeption der Ereignisse – das prägt ja unsere Gedächtniskultur. Ich sehe es jedoch nicht als meine Aufgabe, alle diese Aspekte in ihrer absoluten Tiefe zu analysieren oder darzustellen. Das ist nicht die Aufgabe einer Ausstellung. Vielmehr biete ich eine emotionale Heranführung an die Themen, eine Möglichkeit, sich diesen Themen über eine Art Parcours anzunähern. Man läuft auf dem Weg durch die Ausstellung die Zeit entlang zurück von der Gegenwart in das Jahr 2001. Und dann steht man dort im Panorama, das Gedächtnis aufgefrischt mit dem Wissen, was in den beiden Jahrzehnten nach 9/11 passiert ist. Das führt hoffentlich zu einem Diskurs mit anderen oder auch uns selbst.

chk: Gibt es eine bestimmte Systematik, nach der Sie die verschiedenen Themenbereiche kombiniert haben?

ya: Nein, nicht wirklich. Alle Installationen stehen jeweils für sich. Ich habe mir die fünf Themen ausgesucht, die bei mir besonders viele Fragen ausgelöst haben. Der rote Faden entsteht durch die chronologische Dramaturgie, die als Parallellinie durch die Ausstellung führt. Ich glaube diese zwei Linien, Installationen für die Gefühlsebene und die Chronologie für die Sachebene, sind zusammen eine gute Vorbereitung für den Moment des Eintauchens in das eigentliche Panorama. Eine dritte Ebene besteht aus kurzen Statements von Personen aus verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens. Diese Form von Beiträgen anderer war für mich ein absolutes Novum.

chk: Was kann Kunst, was Politik vielleicht nicht kann?

ya: Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass Künstler sich mit ihrer Zeit beschäftigen. Obwohl viele das natürlich auch anders wahrnehmen, sich ausschließlich für ihr eigenes künstlerisches Ich verantwortlich fühlen. Ich bin ein Mensch inmitten dieser Gesellschaft und da gehört die Auseinandersetzung mit dieser für mich unzweifelhaft dazu. Den unpolitischen Menschen gibt es für mich eigentlich nicht. In unserem Tun agieren wir immer auch politisch. Projekte wie diese sind also Teil meines subjektiven Blicks auf diese Welt. Wie viele andere Menschen beschäftigt auch mich das ganz alltägliche Werden und Vergehen dieser Welt.

chk: Können Sie uns noch etwas über die Technik und über die Arbeitsweise erzählen. Wie viele Menschen arbeiten vor Ort mit Ihnen zusammen, um das Werk umzusetzen? Welche Materialien kommen hauptsächlich zum Einsatz?

ya: Das ist eine häufige, aber auch eine im Detail schwer zu beantwortende Frage. Über unsere Arbeitsweise könnte man Bücher schreiben. Es ist wirklich komplex. Wenn Sie ein Bild malen von 1x1 Meter, dann ist es verhältnismäßig einfach, es zu durchschauen. Ein Panorama dieser Größenordnung ist da etwas anderes. Allein schon der Prozess das Bild räumlich wirken zu lassen und es mit einem Inhalt zu verbinden, dauert schon im Ansatz. Es braucht häufig Jahre, bis ich einen Startpunkt gefunden habe – eine Bildidee, die das Räumliche mit dem Inhaltlichen verbindet. Danach kommen tiefgehende Recherchen und die ersten malerischen Skizzen. Wenn man so ein riesiges Projekt angeht, ist es vergleichbar mit einer größeren Filmproduktion. Von den ersten Skizzen über den Bau der Kulisse, bis zur Positionierung der Komparsen und Schauspieler muss man alles so zusammenbringen, dass es als Realität akzeptiert wird.

Dieses Zusammenbringen dauert. Wir setzen dabei alle technischen Möglichkeiten ein, die der heutige Stand der Technik bietet, darunter Digitalfotografie und Bildbearbeitung, 3D und Virtual Reality, neue Digitaldrucktechniken und vieles mehr. Bis hin zum Bau der Ausstellungshäuser ist alles auf unsere individuellen Erfordernisse angepasst. Dabei sind gerade die Ausstellungshäuser die größte Herausforderung, da es kaum noch passende Ausstellungsorte gibt. 30 Meter hohe, leere Häuser gibt es eben nicht. Selbst Industriehallen sind ja nicht so groß. Die Zeitachse für die Umsetzung eines Projekts liegt dabei im Durchschnitt zwischen drei und sechs Jahren.

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© Yadegar Asisi

chk: Arbeiten Sie vorab am Computer oder fertigen Skizzen/Pläne/Modelle an?

ya: Ja, die Arbeit am Computer ist immer Teil des Prozesses. Ausgangs- und Endpunkt ist aber stets die Malerei. Die Arbeit an Panorama und Ausstellung vereint viele verschiedene Fähigkeiten wie Fotografieren, Bildretusche, Regie, Zeichnen und viele weitere miteinander. Und alle tragen zur Gesamtaussage bei. Aber zum Schluss hält die malerische Idee des Bildes alles zusammen.

chk: Natürlich liegt es bei den Betrachtenden, was sie von Ihrer Arbeit in den Alltag außerhalb des Kunstkontextes mitnehmen. Gibt es dennoch eine Wunschvorstellung, wie Ihr Werk verstanden werden beziehungsweise was es bewirken soll?

ya: Als ich mit meinen Panoramaprojekten angefangen habe, und das geht erfahrungsgemäß vielen Künstler so, war mir die Komplexität und die Bedeutung dessen, was ich da schuf, noch gar nicht bewusst. Erst mit der Zeit merkte ich, dass es wirklich mein Medium ist. Es ist mein subjektiver Blick auf diese Welt – meine Frage nach Werden und Vergehen. Ob Menschen das so wahrnehmen oder nicht, das weiß ich nicht. Aber ich erhalte sehr viel Zusendungen und Nachrichten, die das bestätigen. Über 13 Millionen Besucher und eine Vielzahl von sehr emotionalen Rückmeldungen machen mich nach wie vor sprachlos. Daran gewöhnt man sich nie.

Deswegen kann ich gar nicht sagen, was ich mir wünsche. Dieses Entgegenkommen, dieser Respekt, der einem entgegengebracht wird, das ist schon mehr als genug. Mehr kann man sich gar nicht wünschen. Da möchte ich gar keine Vorstellung äußern, die die unvoreingenommene Betrachtung der Besucher in irgendeiner Art und Weise prägen könnte.

Weitere Informationen zu dem Künstler, unter: www.asisi.de

chk





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