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Boris Lurie

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Wunschwelten. Neue Romantik in der Gegenwart, Schirn Kunsthalle, Frankfurt (12.5.- 28.8.2005)



" Intimität und Geborgenheit sind in einer Gesellschaft, die durch wachsende Mobilität und das Schwinden sozialer Bindungen geprägt ist, zu den Inhalten einer neuen Sehnsucht geworden. Darüber hinaus lässt die Übersättigung mit schlechten Nachrichten und Bildern des Terrors das Verlangen nach Orten der Sicherheit und rettenden Perspektiven wachsen. Diese Situation spiegelt sich auch in der aktuellen bildenden Kunst wider. Nach den diskursanalytischen Untersuchungen der 1980er und 1990er Jahre und der Umfunktionierung von Kunst zu sozialer Handlung trifft man überall auf eine Wiederbelebung des traditionellen Werks. Künstler wie Peter Doig, Laura Owens, Uwe Henneken, David Altmejd, Kaye Donachie, Karen Kilimnik, Justine Kurland oder David Thorpe knüpfen entschlossen an einen romantischen Geist an. Hinter der Sehnsucht nach dem Paradiesischen, Schönen und Märchenhaften sind das Abgründige und das Unheimliche jedoch ebenso präsent wie das Wissen um das Scheitern von Utopien. Die Künstler bedienen sich für ihre Arbeiten nicht nur der Malerei, sondern auch der Schlüsselmedien der Postmoderne wie Fotografie und Installation.
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Keine andere Epoche der deutschen Geistesgeschichte hat so viele Missverständnisse provoziert wie die Romantik. In der Alltagssprache wird der Begriff in der Regel verkürzt gebraucht und lediglich als sentimental, zivilisationsfern, stimmungsvoll, schwärmerisch und pittoresk ausgelegt. Mit der Komplexität der eigentlichen Bewegung hat dieses Verständnis kaum mehr etwas gemeinsam. Die Romantik ist nicht nur paradiesisch und schön, sie umfasst auch das Subversive von Entgrenzungserlebnissen, wie es uns in der Poetisierung der Welt bei Novalis oder den Gebrüdern Schlegel begegnet. Die Romantik findet sich bei E. T. A. Hoffmann in düsteren Entwürfen unheimlicher Gegenwelten, bei Caspar David Friedrich in symbolisch aufgeladenen Landschaften und in den beunruhigend visionären Traumbildern von Johann Heinrich Füssli. Ferner steht sie für die tiefe Skepsis der Jugend gegenüber den starren Konventionen des Akademiebetriebs und den Ruf nach künstlerischer Autonomie, wie von Philipp Otto Runge geäußert. Als emotionales Symptom einer gesellschaftlichen Realität, die bereits im 19. Jahrhundert durch politische und wirtschaftliche Umbrüche geprägt war, bildet das Romantische eine Parallele zur Gegenwart. Die heutige Künstlergeneration antwortet auf die Umstrukturierung politischer Systeme und den Verlust von großen gesellschaftlichen Entwürfen mit einer Ästhetik der Außeralltäglichkeit. Dieses transitorische Moment produziert ein Vokabular der Sehnsucht, dessen Grundstock in der historischen Romantik angelegt ist.

Einsamkeit als romantisches Grundgefühl - dieses zentrale Thema findet vor allem in der Darstellung der Landschaft und deren Aufladung mit symbolischen Qualitäten seine Umsetzung. Hier stößt man in der aktuellen Kunst auf eine Vielzahl von Formulierungen, die von der Bedrohung bis zur Beschwörung der Idylle, der Überwältigung durch die äußere Unermesslichkeit und von der Natur als Anschauungsraum für das Transzendente berichten. So treiben Catherine Opies Surfer als kleine Punkte in der Unendlichkeit des Ozeans. Wenig dramatisch verschmelzen in diesen Fotografien die Wellen mit dem Grau des Himmels. Umso mehr scheint der Mensch im Diffusen dieses kaum stofflichen Raumes zu verschwinden, in dem es keinen Halt gibt. An den Spaß der zeitgenössischen Freizeitindustrie gibt es hier trotz des Sujets nicht den geringsten Anklang. Auch Christopher Orr setzt seine Protagonisten dem Diffusen von Nebel und Nacht aus. Die Natur tritt lediglich als zeichenhaftes Versatzstück in Erscheinung. Den Figuren bleibt das spirituelle Verklärungspotenzial verwehrt: Sie sind in einer unergründlichen Distanz zur Natur gefangen und artikulieren damit einen Kern des romantischen Diskurses. Doch obwohl Orrs Gemälde auf den ersten Blick C. D. Friedrichs Forderung, der Maler solle nicht nur malen, was er vor sich, sondern was er in sich sieht, gerecht zu werden scheinen, entpuppen sie sich wie die Bilder der anderen Künstler der neuen romantischen Generation bei näherer Betrachtung in dieser Hinsicht als trügerisch. Die Künstler entnehmen ihre Motive nicht ihrem Innersten, sondern alten Zeitschriften, Magazinen, Filmen und ähnlichem Referenzmaterial. Jenseits vordergründigen Zitierens und Kontextualisierens werden die Versatzstücke zu Traumbildern mit einer offenen und assoziativen Struktur. Peter Doigs Rückenfigur eines Malers samt Staffelei vor einer eindrucksvollen Bergkulisse ist somit weniger ein Selbstporträt des Künstlers als ein Amalgam aus Imagination und historischer Fotografie.

Heute ist der mediale Filter für die Künstler zur Selbstverständlichkeit geworden. Das ist die Botschaft der Postmoderne an die unmittelbare Erfahrung der Natur in der historischen Romantik. Auch Kaye Donachie verwendet visuelle Zeugnisse von unterschiedlichen Personen-gruppen, Kommunen und Gegenkulturen, die sie Dokumentationen und Super-8-Filmen entnimmt. In der Aneignung vorhandener Bilder thematisiert sie die gesellschaftliche Überschreitung oder ein romantisches Aufbegehren, das die Faszination der heutigen romantischen Generation für Gegenentwürfe und Alternativkulturen der 1970er Jahre reflektiert. Auch Justine Kurland greift in ihren Fotografien von Aussteigerkommunen im ländlichen Amerika die Utopien
der Hippiegeneration auf und setzt sie wie Relikte einer vergangenen Zeit ins Bild. Das Symbol der Anarchie, das Mitte der 70er Jahre auf dem Höhepunkt der Anti-Establishment-Bewegung die Massenmedien und das Bewusstsein der westlichen Teenager eroberte, kombiniert Simon Periton in seinen Scherenschnitten scheinbar mühelos mit der Biedermeierlichkeit einer fragilen Blumengirlande. In seiner verspielten Virtuosität Runge’scher Prägung ruft Periton den utopischen Aspekt der Romantik auf und verbindet ihn mit einer konkreten politischen Botschaft. Schließlich fassen Künstler wie Uwe Henneken, David Altmejd, Christian Ward und Karen Kilimnik die Romantik in einem popkulturellen Kontext auf. Bei Henneken sind die Motive oft überzogen inszeniert, mit einer Farbgebung, die den Kitsch nicht scheut. In den Bildern von Laura Owens scheint nicht selten der Vollmond durchs Geäst; auch sie ängstigt sich nicht vor der aufgeladenen Plakativität solcher Embleme und versteht sie wie alle anderen zu brechen und in ein radikales zeitgenössisches Vokabular zu überführen.

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Romantik als Verfahren, das in unterschiedlichsten Linien und Strategien der Aneignung von den heutigen Künstlern aufgenommen, fortgeführt und transformiert wird. Dabei geht es um weit mehr als um die Wiederbelebung einer Skala von Motiven, die als wehmütige Versatzstücke einer glorreichen Vergangenheit in die zeitgenössische Kunst herübergerettet werden. Die heutige Romantik ist eine Metaromantik mit den Mitteln der Postmoderne. Sie schafft eine Synthese aus Vergangenheit und Gegenwart, aus Emotion und Diskurs.

KÜNSTLERLISTE: David Altmejd, Hernan Bas, Peter Doig, Kaye Donachie, Uwe Henneken, Karen Kilimnik, Justine Kurland, Catherine Opie, Christopher Orr, Laura Owens, Simon Periton, David Thorpe, Christian Ward" (Presse | Schirn Kunsthalle)

Abbildung: KAYE DONACHIE, EARLY MORNING HOURS OF THE NIGHT, 2003, Copyright Schirn Kunsthalle

ÖFFNUNGSZEITEN: Di., Fr.–So. 10–19 Uhr, Mi. und Do. 10–22 Uhr

SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, Römerberg, D-60311 Frankfurt, Telefon: (+49-69) 29 98 82-118, Fax: (+49-69) 29 98 82-240,
E-Mail: presse@schirn.de, schirn.de


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