Die Ausstellung „FLASHBACK“ überspannt ein Jahrzehnt künstlerischen Schaffens, indem Angela Glajcar die zwei raumgreifenden Installationen „2009-072 Terforation“ und „2019-043 Terforation“ erstmalig in der historischen Montagehalle des Kunstraum Dornbirn aufeinandertreffen lässt.
Die Titel führen direkt zur Einordnung der Arbeiten: Sie halten mit 2009 und 2019 sogleich die Entstehungsjahre und mit 072 und 043 die Nummerierung im Werkverzeichnis fest, sowie die Verortung in der Werkserie „Terforation“. Seit 2006 erarbeitet die deutsche Künstlerin jene Serie, welche sich formal und in den Abmessungen sehr vielfältig und variabel zeigt. Elisabeth von Samsonow führt in ihrem Text zum Dornbirner Ausstellungskatalog an: „‚Terforation‘ ist ein Kunstbegriff, den die Künstlerin geprägt hat, um ein spezifisches Moment ihrer installativen Arbeiten zu erfassen.“[1] Sasa Hanten erläutert im Werkverzeichnis von 2013, der Begriff „[…] leitet sich einerseits ab von ‚Perforation‘ (vom lateinischen foramen = Loch), also dem Durchlochen von Hohlkörpern oder flachen Gegenständen. Andererseits lehnt sich der von Angela Glajcar etablierte Begriff an das lateinische terra = Erde an. Damit spielt die Künstlerin auf den Begriff ‚terra incognita‘ (unerforschtes Land; figurativ: Neuland) an.“[2]
Die Begriffskonstruktion schlägt den Bogen zum Materialgebrauch: Glajcars bevorzugter Werkstoff ist Papier, welches in großen Bögen in Form gerissen und, gleich einer Staffelung, zu raumgreifenden Gebilden addiert wird. Der Arbeitsprozess ist direkt, physisch fordernd und zeitintensiv. Die hohen Grammaturen von bis zu 450 g/m2 verleihen dem Papier, hängend und mit Hilfe mechanischer Vorrichtungen akkumuliert, eine räumlich-plastische Präsenz und Körperlichkeit. Durch die Risskanten öffnet Glajcar das Material. Die Faserschichtung und -laufrichtung im Inneren wird sichtbar, die Zusammensetzung nachvollziehbar. Die Zugabe von Bindemitteln oder Füllstoffen im industriellen Herstellungsprozess vereitelt nicht die pflanzliche Basis der Fasern, welche die organische Anmutung des Papiers erwirkt und den Werken eine Form der Natürlichkeit verleiht, die durch den Serientitel unterstrichen wird.
In Dornbirn steht man beim Eintreten in die große Industriehalle direkt vor dem monumentalen Werk „2009-072 Terforation“, welches 2009 erstmalig in der Kunst Station St. Peter in Köln präsentiert wurde. An einer Halterung aus Metall und Kunststoff hängen auf zehn Metern Länge eine Vielzahl aufgefädelter Papierbögen. Sie formen eine Art Welle, die am höchsten Punkt vier Meter erreicht. Jeder Bogen wurde per Hand bearbeitet und mit einem Loch je unterschiedlichen Ausmaßes versehen, welches sich sodann tunnelartig als Hohlraum durch den aus Papier geformten Körper zieht. Am tiefsten Hängepunkt der Installation ist man durch eine Aussparung eingeladen einzutreten und ins Innere zu blicken. Auch die Außenkanten mancher Papiere wurden angerissen und deren geradlinige Unversehrtheit unterbrochen, was dem gesamten Gebilde zusätzlich einen ambivalenten Charakter zwischen Kontur und deren Auflösung verleiht.
Ein bestimmender Faktor dieser immanenten, hochästhetischen Ambivalenz ist das Licht, welches auf die reflektierenden Papiere, die Risskanten oder in die Zwischenräume scheint. Hier bietet die ehemalige Industriehalle des Kunstraum Dornbirn eine besonders reizvolle Umgebung: Das natürliche Licht, welches durch die großen, rundumlaufenden Sprossenfenster die Stimmung im Inneren im Tagesverlauf und wetterabhängig gestaltet, wird die papiernen Oberflächen und skulpturalen Körper in ein spannendes, sich ständig veränderndes Wechselverhältnis mit dem Raum treten lassen.
Das zweite Werk der Ausstellung, „2019-043 Terforation“, war 2019 im Sharjah Art Museum zu sehen. Mit einer Länge von 4,8 Metern und einer Breite von 4,6 Metern hält diese Arbeit ein grundsätzlich anderes Erleben der Form bereit. Über dem Boden schwebend ist sie auf einen Blick nicht vollständig erfassbar. Die Papierbahnen reihen sich an mehreren Strängen auf, formen sich zu Rundungen oder bilden Fächer. Alles scheint einem Punkt zu entspringen und sich in sich zu schließen, doch dieser Eindruck wird beim physischen Umrunden immer wieder ad absurdum geführt, indem die eben noch geschlossene Form sich öffnet und aufzulösen scheint. Die gerissenen Kanten und Löcher bilden durch die fließenden Formen einen höchst reizvollen Gegensatz zur Materialität.
Die Künstlerin experimentiert innerhalb der Arbeiten und in Beziehung zu dem jeweils beherbergenden Raum mit einem Wechselspiel aus Konstruktion und Dekonstruktion von raumgreifenden Formen. Ihre Gebilde bewegen sich – immer bestimmt vom Blickwinkel – zwischen den Sphären des Abstrakten und Gegenständlichen, ohne sich schlussendlich festzulegen. Sie sind geprägt von der scheinbaren Leichtigkeit und poetisch anmutenden Plastizität des Papiers und der architektonisch-strukturierten Konzeption. Durch das sich verändernde Tageslicht ist unser Erleben immer situativ und einmalig – wiederkommen lohnt sich.
Kunstraum Dornbirn
Jahngasse 9
6850 Dornbirn
www.kunstraumdornbirn.at
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