Hans Op de Beeck »Table (1)«, 2006, Installation, verschiedene Materialien, 3 × 8 × 1,7 m,
Installationsansicht Kunstverein Hannover, 2012, Foto: Raimund Zakowski
Mit »visual fictions« präsentiert der Kunstverein Hannover vom 8. September bis 11. November 2012 die erste Einzelpräsentation des Künstlers Hans Op de Beeck (*1969, lebt in Brüssel) in Deutschland und spannt in einer Zusammenstellung von Filmen, Zeichnungen, Skulpturen und Installationen einen Bogen von1998 bis heute. Im Mittelpunkt des facettenreichen Werks stehen atmosphärische Inszenierungen, die eindrückliche Momente zwischen Wachheit und Traum erzeugen.
Die Bildwelten des belgischen Künstlers illusionieren eine vertraute Realität, wirken jedoch zugleich unnahbar fremd und verweisen auf ihre Künstlichkeit und Konstruiertheit. In ihrer strukturellen Doppelbödigkeit und distanzierten Kühle erscheinen die von Op de Beeck entworfenen Darstellungen zwischen Erinnerung und Vision als kritische Reflexion unserer gesellschaftlichen Gegenwart. Die bildmächtigen Arbeiten, denen eine stille, melancholische oder dunkle, unheimliche Komponente eigen ist, lassen die Grenzen zwischen künstlerischer Setzung und subjektiver Projektion unscharf werden. Sie stimulieren den Assoziationsfluss und werden zu Bühnen persönlicher oder filmischer Erinnerungen.
Den Auftakt der Ausstellung bildet die modellartige Szenerie der Installation »Location (1)« (1998), die auch den Beginn einer sich stetig erweiternden Werkreihe von fiktiven Orten und Räumen darstellt. Im Zentrum der nächtlichen Kulisse befindet sich eine verlassene Straßenkreuzung, die von kahlen Bäumen und gefrorenen Kanälen umsäumt ist und einzig durch das rhythmische Wechselspiel der Ampellichtsignale belebt wird. Den möglichen filmischen Assoziationen, die um das Motiv des Unheimlichen und des Bedrohlichen kreisen, stellt Op de Beeck eine groteske Situation gegenüber, in der die Richtlinien des Straßenverkehrs absurd erscheinen.
Eine weitere nächtliche Bühnensituation stellt die monumentale begehbare Installation »Location (7)« (2011) dar, die erstmals während der 54. Venedig Biennale 2011 zu sehen war. Beim Betreten eines verlassenen Privatappartements, welches im Maßstab 1:1 nachempfunden wurde, fällt der Blick auf einen kargen Hinterhofgarten. Von einem Betonzaun umrandet, befindet sich neben Relikten eines Gartenfests ein illuminierter Springbrunnen, der nahezu die gesamte Gartenfläche einnimmt. Es offenbart sich ein ambivalentes Bild: zahlreiche Utensilien im Innen- und Außenraum erwecken den Eindruck, als sei dieser Platz noch vor kurzem mit Leben erfüllt gewesen, doch der alles überziehende Grauton lässt die Szenerie versteinert und artifiziell wirken.
Das Motiv Feierlichkeit, an das eine Lichtergirlande, Tische und leere Flaschen als Überreste einer Gartenparty in »Location (7)« (2011) erinnern, greift Op de Beeck ebenfalls in den filmischen Arbeiten »Celebration (1)« (2008) und »All together now« (2005) auf. »All together now« (2005) zeigt in einer langsam gleitenden Kamerafahrt Nahaufnahmen dreier Tischgesellschaften bei klassischen Feieranlässen wie Hochzeit, Geburtstag oder Todesfall und lenkt den Blick auf das labile Gleichgewicht zwischenmenschlicher Verhältnisse.
Den repräsentativen Schein von Festlichkeit veranschaulicht Hans Op de Beeck in »Celebration (1)« (2008) anhand einer einzigen Szene, in der eine üppig dekorierte Tafel inmitten einer kargen Landschaft von einer Schar Bediensteter umringt wird. Auf tragikomische Weise wird durch das ergebnislose Warten auf die geladenen Gäste das Scheitern eines minutiös geplanten Festes vorgeführt. Die raumgreifende Installation »Table (1)« (2006) greift den Aspekt der festlichen Tischgesellschaft erneut auf. Eine lange, in strahlend helles Licht und weiße Farbe getauchte Kaffeetafel mit lose arrangierten Stühlen ist um das Eineinhalbfache vergrößert. Der Betrachter wird zurückgeführt in die Kindheit, in der Umwelt und eigenes Körpermaß noch nicht dem gleichen Maßstab entsprechen. Op de Beeck generiert einen Zustand des Erinnerns und versetzt ihn in eine unwirkliche Situation zwischen Traum und Realität.
Im Spiel mit den Größenverhältnissen thematisiert der Künstler die Mechanismen der Wahrnehmung im S/W-Film »Staging Silence« (2009). In rascher Abfolge bauen sich Miniaturkulissen auf und ab, die von geübten Händen aus Alltagsgegenständen arrangiert werden: aus Thermosflaschen formieren sich funkelnde Wolkenkratzer, nächtliche Straßenschluchten verwandeln sich in verlassene Korridore. Menschenleere Räume und Orte geraten mittels der Hände in Bewegung, und es wird beständig eine perfekte cineastische Illusion sowie deren Dekonstruktion erzeugt.
Zum Abschluss der Ausstellung verbindet Hans Op de Beeck wie zu Beginn Szenen des Aufbruchs und der Bewegung mit einem Zustand des Stillstands. Der 30-minütige Film »Sea of Tranquillity« (2010) schildert in unterkühlten Bildern das reibungslose Leben einer gepflegten Gesellschaft, die ihre materiellen Luxuswünsche erfüllt hat und sich in einer existenziellen Leere wiederfindet. Schauplatz ist ein futuristisch anmutendes Kreuzfahrtschiff, eine schwimmende Shopping Mall mit Rundum-Service, in der all das, was das Reisen ausmacht, eliminiert ist. Während die Passagiere im Bordrestaurant exquisit speisen oder sich mittels Schönheitschirurgie verändern lassen, fristet das zahllose Personal ein spartanisches Dasein. Die Kombination aus Filmaufnahmen und 3D-Computeranimation unterstreicht die Künstlichkeit dieser hermetischen Welt und zeichnet das Bild einer sich selbst entfremdeten Gesellschaft.
Op de Beecks gesamtes Werk lebt von dem Spiel mit der Illusion und von der Inszenierung stimmungsvoller Situationen. Diese wirken so überzeugend, dass sie augenscheinlich als eine vertraute Realität anerkannt werden und doch im gleichen Augenblick vorführen, dass sie nie mehr sind als Potemkinsche Dörfer.
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