Die französisch-marokkanische Künstlerin Yto Barrada (*1971 in Paris) ist keine Unbekannte. 2011 wurde sie als „Künstlerin des Jahres“ von der Deutschen Bank ausgezeichnet. Die damit verbundene Ausstellung war im Deutschen Guggenheim in Berlin zu sehen und wird nun nach Stationen in Brüssel, Chicago, Birmingham und Rom, in Winterthur gezeigt.
In ihren fotografischen, filmischen und skulpturalen Arbeiten beschäftigt sich Yto Barrada seit über einem Jahrzehnt intensiv mit den politischen Realitäten in Nordafrika, vor allem in Tanger ihrer Heimatstadt. „Ich war immer aufmerksam für das, was unter der Oberfläche des öffentlichen Verhaltens liegt“, sagt Yto Barrada. „In der Öffentlichkeit akzeptieren die Unterdrückten die Unterdrückung, aber hinter den Kulissen stellen sie diese ständig infrage. Subversive Taktiken der Armen, ihre Strategien, die Klassengesellschaft anzufechten, und ihre Formen der Sabotage – das ist es, was mich am meisten interessiert.“
Mit „Riffs“ - so der Ausstellungstitel - verweist die Künstlerin auf den entsprechenden Begriff aus der Musik und zugleich auf das von ihr geleitete Cinéma Rif sowie das angrenzende Rif-Gebirge, das bereits mehrmals eine Hochburg für antikoloniale Aufstände war.
Nicht die Vergangenheit und der Mythos um die Stadt Tanger, sondern die aktuelle Situation der Stadt interessiert Yto Barradad in ihren Videos, Fotografien, Skulpturen oder Installationen. „Ihr“ Tanger ist vielmehr das Tanger der Neunziger- und Nuller-Jahre. Vergleichbar mit David Goldblatt und seinen seit fünfzig Jahren fortlaufenden Recherchen in Johannesburg (und in ganz Südafrika) oder William Eggleston mit dem immer wiederkehrenden Kreisen um Memphis-Tennessee.
Yto Barradas fotografische Serie erzeugt mit ruhig beobachtenden, zurückhaltenden Bildern ein Klima des Wartens, Verharrens, des Kreisens. Die Grenze zu Europa ist mit ihrer nur 14 km langen Meerenge bei Gibraltar seit 1991 zum unüberwindbaren Hindernis geworden. Tanger entwickelt innere Gräben, vergrössert sich schnell zu einer konformen Immobilienstadt. 5000 Baubewilligungen würden in einem Jahr erteilt, schreibt Yto Barrada. Ein Immobilienkapitalismus gepaart mit neoliberaler Politik macht sich breit. In ihren Arbeiten zeigt Yto Barrada das Besitzergreifen des neuen Bauens.
"Yto Barrada verfolgt die Veränderungen ihrer Stadt mit Argusaugen, und setzt ihnen Aktionen, Bilder und Filme entgegen. Doch es sind immer Bilder, die mit auffallender Ruhe, mit Distanz und Zurückhaltung das Geschehen beobachten. Sie sind weder ikonisch, noch kampftauglich. Sie wollen keine Aufklärungswaffen sein, keine wissenssichere, überhebliche Bildwelt, die genau weiss, wie sie sich verhalten, wie sie wirken muss. Als würde Yto Barrada immer ein wenig zurückweichen, zwei, drei Schritte nach hinten machen, öffnen sich in ihren quadratisch ruhenden, fast statischen Farbbildern Blickfelder – auf eine Landschaft, eine städtebauliche Konstellation, ein Sein, ein Ruhen –, es zeigen sich Dinge, Häuser, Menschen, damit wir als Betrachter uns mit ihnen beschäftigen, damit wir eintauchen, suchen, erkunden, denken. Auffallend entdramatisiert sehen wir hier ein Zeichen, da eine Geste, dort einen Umstand, real und allegorisch zugleich." PR
Yto Barrada – Riffs wurde von Friedhelm Hütte und Marie Muracciole konzipiert.
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