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Stille Wahrnehmung

21.9. – 3.11.2013 | Kit Kunst im Tunnel, Düsseldorf

„Das Kunstwerk vermag, was das wirkliche Leben nicht vermag, nämlich die Effekte, Gefühle und Gedanken wach zu rufen, die die einzig richtigen Reaktionen auf das, was wir um uns herum erleben, wären. Es vermag dies Kraft seiner Ausdrucksmittel. Sie lassen die Wirklichkeit aus der Verwischtheit und Durchschnittlichkeit, mit der sie uns verhüllt, hervortreten.“

K.E. Løgstrup: Ästhetische Erfahrung in Dichtung und bildender Kunst. In: Neue Anthropologie. Band 4. Kulturanthroplogie. Hrsg. von Hans-Georg Gadamer und Paul Vogler, Stuttgart 1973, S. 30

Der dänische Philosoph K.E. Løgstrup, Vertreter des Intuitionismus, eine philosophische Lehre, die der Intuition, dem Erlebnis und Gefühl einen
Vorrang vor der kognitiven Ableitung und dem bloßen Denken gibt, beschreibt den idealen Dialog zwischen Kunstwerk und Betrachter: Das Kunstwerk wird betrachtet und löst im Betrachter eine Wirkung und ein Erstaunen aus. Künstler sehen es als ihre Aufgabe an, ihre Erfahrungen kontemplativ auf den Punkt zu bringen. Eine Idealvorstellung, der Künstler und Kuratoren anhängen, während die in unserer Gesellschaft innewohnende Flüchtigkeit der Materialität, die Bilder- und Klangüberfülle und das damit einhergehende Vorbeirauschenlassen der Dinge zum Normalzustand geworden sind. Etwas mit den Augen zu erforschen, ein „großes stilles Bild“ (Bazon Brock) in Ruhe wahrzunehmen, ist eine Aufgabe, eher Ausnahme als Regel.
Wirklich erfahrbar wird die Welt durch konkrete, räumlich und zeitlich verortete Wahrnehmung. Hier setzt der Prozess der konzentrierten Aufnahmefähigkeit im Ausstellungsraum ein: die Entdeckung der ästhetischen Schönheit des Kunstwerkes, die sich von der Entdeckung der natürlichen Schönheit der Natur dadurch unterscheidet, dass sie den Bezug zum Verstand braucht, um zu erkennen. Nur durch Imagination und Erinnerung können Bilder von außen nach innen geholt werden, bewegen sich Sehender und Sichtbares im selben Kreis.

Der Titel des Vier-Kanal-Videos „Speicherkarten“ von Kevin Pawel Matweew (*1978) basiert auf eben dieser Beziehung. Es präsentiert ein Nebeneinander von Ausschnitten – der Betrachter ist frei, einen Sinnzusammenhang herzustellen. Es bietet sich ihm ein erzählerisches Polyptychon: Bilder, fotografiert zu unterschiedlichen Tageszeiten und Wettersituationen lassen ihn Kälte, Regen, Sonne, Nacht, Tag und Mittagstunden erleben. Er macht eine Reise in die Geschichte der Kunst, sieht Seestücke und Wolkenbilder, romantische Dämmerung und Landschaften und wird an den bloßen Umgang mit der Natur durch William Turner und Gerhard Richter erinnert. Die Abwesenheit von Tönen schärft das Gehör und erweckt eigene Tonkonstruktionen aus der Erinnerung.

„Speicherkarten“ braucht Zeit, um in einem erkenntnismäßigen Begriff zu münden, Zeit, denn der komplette Film geht über Stunden und ist daher für den Betrachter geradezu unerfassbar. Er provoziert eine Überprüfung des Verhältnisses von Bildkonsum und Bildreflexion und bietet eine Konzentration auf einzelne Bilder und Details an, so wie es das Auge im Alltag macht.

Ruben Benjamin Smulzynski (*1990) präsentiert die materiellen Reste seiner performativen Aktionen in digitaler Form (und ohne Ton) in zwei musealen Vitrinen. Das Theatralische und die Transformation seines Körpers, seine Funktion als Medium und Experimentierfeld für Malerei strahlen dennoch ungebrochen aus den Schaukästen und suggerieren dem Betrachter Fluxus-ähnliche Rituale und farbstrotzende Inszenierungen.

Der korporale Prozess von Malerei auf plastische Skulptur wird auf dem Medium des I-Pads entmaterialisiert. Die Distanz, aus der die künstlerische Selbsterprobung im Ausstellungsraum erlebt wird, verstärkt die einfachen Handlungen, die der Künstler, bekleidet mit mehreren TShirts im Atelier, nur beobachtet von einer Kamera, an sich vorgenommen hat und wandelt sie um in eine fast religiöse Bildsprache. Deren Bildwirkung kann im Auge des Betrachters die Performance zum Leben erwachen lassen und im Rückblick wieder intensivieren. Auch Smulzynskis experimentelle Fotoarbeiten sind Ergebnisse von Brüchen: Die Collage wird an einen technischen Apparat übergeben, Computer und Drucker spielen eine wesentliche Rolle im Entstehungsprozess.

Henning Fehr (*1985) und Philipp Rühr (*1986) zeigen den Schwarzweißfilm „Die Desinfizierende Sonne“. Im Mittelpunkt stehen 116 zentralperspektivisch aufgenommene Geschäfte auf der Düsseldorfer Nordstraße. Als Einkaufsstraße verkörpert die Nordstraße ein bodenständiges, gut bürgerliches Pendant zur Königsallee und zur Altstadt Düsseldorfs und kann so beispielhaft betrachtet werden für konsumistisches gesellschaftliches Leben in der Stadt. Henning Fehr und Philipp Rühr widmen sich im Film der Wirkung der städtebaulichen Architektur dieser Straße – die von ihren Planern zentralperspektivisch gedacht und umgesetzt wurde – auf den Menschen, der sich auf ihr und in den sie säumenden Ladenlokalen bewegt. Ihre Kritik zielt auf den Konflikt zwischen der Vorstellung des Architekten und dem Erleben des Passanten, der die werbewirksam geplanten Läden als eintönig und langweilig, als willkürlich und unangemessen empfindet. Der Passant steht nicht auf der anderen Seite der Nordstraße. Indem die Künstler dies taten und die Zentralität der Perspektive im Film widerspiegeln, befähigen sie den Betrachter dazu, neue Sichtweisen annehmen und gesellschaftliches Bewusstsein zu entwickeln. Vor Augen geführt wird die Verführung der Massen zum Konsum und die dafür gebaute Stadt.

KIT - Kunst im Tunnel
Mannesmannufer 1b
40213 Düsseldorf
ist der neue Ausstellungsraum der Landeshauptstadt Düsseldorf und der Kunsthalle Düsseldorf

http://www.kunst-im-tunnel.de/


PM





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