In einer umfangreichen Einzelpräsentation widmet sich die Schirn Kunsthalle Frankfurt vom 2. Oktober 2014 bis 11. Januar 2015 der wichtigsten Künstlerin der finnischen Moderne: Helene Schjerfbeck (1862–1946). Mehr als 85 Gemälde und Arbeiten auf Papier geben einen vollständigen Einblick in die kühne Bilderwelt der in Helsinki geborenen Malerin und Zeichnerin. Die in Deutschland für viele noch zu entdeckende, aber in Skandinavien, besonders in Finnland – dem Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2014 – hoch geschätzte und als nationale Ikone gefeierte Schjerfbeck hat in über 60 Jahren ein umfangreiches, eindrückliches Werk geschaffen, in dessen Mittelpunkt die menschliche Figur steht: Bildnisse junger Frauen mit modischen Accessoires, Männerakte, Protagonisten in Historienbildern und vor allem sie selbst in zahlreichen Selbstporträts. Anfänglich dem naturalistischen Realismus zugewandt, entwickelte sich Helene Schjerfbeck zu einer modernen, avantgardistischen Künstlerin mit einer reduzierten Formensprache und Farbpalette. Trotz einer deutlichen Tendenz zur Abstraktion blieb sie vornehmlich der figürlichen Malerei verbunden. Schjerfbecks gesamtes Œuvre ist durch die Wiederholung von Motiven sowie das Arbeiten nach Bildvorlagen gekennzeichnet, die sie zu hybriden Bildfiguren zusammensetzt. Diese Prinzipien werden sowohl in ihren eindringlichen Selbstporträts als auch in zahlreichen Werken sichtbar, in denen sie Motive von bedeutenden alten Meistern wie etwa Hans Holbein d. J. und El Greco oder von Zeitgenossen wie Constantin Guys aufgreift. Zudem schuf sie außergewöhnliche Frauenbildnisse, die auch ihr gesteigertes Interesse an der Mode der Zeit verdeutlichen – ein Aspekt, der in der kunsthistorischen Forschung bislang wenig beachtet wurde und nun erstmals in der Schirn-Ausstellung näher beleuchtet wird. Schjerfbeck reizte die Porträtmalerei, jedoch nicht in ihrem ursprünglichen Sinn. Vielmehr kehrte die Künstlerin die klassische Funktion des Porträts um, indem sie mit ihren Bildnissen eben nicht die Individualität der oder des Dargestellten abbildete. Vielmehr spiegeln die Porträts durch stete Neuinterpretation Schjerfsbecks individuelle Bildidee wider. Die von der Schirn in Kooperation mit dem Ateneum Art Museum, Finnish National Gallery organisierte Ausstellung versammelt herausragende Leihgaben aus dem Ateneum und öffentlichen Sammlungen sowie selten zugängliche, eindrucksvolle Kunstwerke aus Privatsammlungen.
Die Ausstellung wird unterstützt durch die Freunde des Ateneum Art Museum, Finnish National Gallery.
„Helene Schjerfbeck ist in Finnland allgegenwärtig, ihr Werk von epochaler Bedeutung, das Porträt dieser Nationalikone sogar auf der Zwei-Euro-Münze des Landes verewigt. Finnlands Auftritt als Schwerpunktland bei der diesjährigen Buchmesse ist Anlass für uns, das eindringliche Œuvre der Künstlerin genauer zu beleuchten und einem breiten, internationalen Publikum näherzubringen“, so Max Hollein, Direktor der Schirn.
Carolin Köchling, Kuratorin der Ausstellung, ergänzt: „Schjerfbecks künstlerische Praxis beruht auf der Auswahl und Kombination von Bildmotiven sowie auf der Bearbeitung des malerischen Materials. Schjerfbecks Selbstporträts gelten als ihr Hauptwerk. Daneben schuf sie eine Vielzahl von Frauenbildnissen: Dabei handelt es sich um kalifornische, spanische, französische Frauen, die Kimonos, französische Mode der Zeit, aufwendige Kleider oder Kostüme tragen. Es sind keine Porträts im klassischen Sinn, sondern Figuren, die sie aus einer reichen Bilderwelt schöpft und die sie, angeregt durch Kunstbücher und Modemagazine, stetig weiterentwickelte.“
Der Schirn ist es gelungen, eine groß angelegte Sonderausstellung zu realisieren, die ebenso für Schjerfbecks Œuvre repräsentative und bedeutende Kunstwerke umfasst wie singuläre, selten ausgestellte Arbeiten. Vertreten sind Gemälde und Werke auf Papier aus nahezu allen Schaffensphasen zwischen 1879 und 1945. Sie werden innerhalb der Präsentation weder chronologisch noch nach Bildgattungen geordnet, sondern in einem Parcours gezeigt, der die Aufmerksamkeit auf das für Schjerfbeck charakteristische Arbeiten nach Vorlagen und die Repetition von Bildmotiven richtet.
Im Zentrum der Ausstellung stehen Schjerfbecks Selbstporträts, die als ein wesentliches Genre der weiblichen Avantgardekunst vor allem in den 1930er- und 1940er-Jahren die bevorzugte Gattung der Künstlerin waren. Die Schirn präsentiert mehr als 20 Selbstbildnisse der Künstlerin, von einer der ersten in realistischer Manier ausgeführten Arbeit aus dem Jahr 1884/85 über das moderne „Selbstporträt“ (1912) bis hin zu den bewegenden, expressionistischen Abbildern ihrer letzten Lebensjahre wie „Selbstporträt (Eine alte Malerin)“ (1945). In den letzten beiden Jahrzehnten ihres Lebens schuf Schjerfbeck mehr als die Hälfte ihrer Selbstdarstellungen, an denen sich ihre gesamte künstlerische Entwicklung ablesen lässt. „Selbstporträt. Silberner Hintergrund“ (1915) markiert exemplarisch den Übergang von einer realistischen zu einer modernen Porträtmalerei, die sich vor allem durch eine nichtmimetische und stark reduzierte Farbpalette auszeichnet. Dass Schjerfbeck sich in ihrer Malerei nicht mehr auf die Wiedergabe der Realität konzentriert, bedeutete zugleich einen Bruch mit der akademisch-tradierten Malweise. Der begrenzte Einsatz von Farben führt die Künstlerin bisweilen zu einer Art der monochromen Malerei, in welcher Leinwand oder Papier die Funktion des Hintergrunds übernehmen. Besonders deutlich wird dies in denjenigen Selbstporträts, die in den letzten Lebensjahren entstanden. Sie sind primär als Kopfbilder angelegt. Eine Vielzahl zeigt sogar nur noch das Gesicht der Künstlerin, das schonungslos den Verfall des menschlichen Körpers offenlegt. Ihren Status als Künstlerin verdeutlichte Schjerfbeck in ihren Bildnissen selten. So sind in ihrem Œuvre nur zwei Porträts bekannt, in denen sie sich als Malerin mit den spezifischen Attributen darstellt. „Selbstporträt. Schwarzer Hintergrund“ (1915) entstand etwa im Auftrag der Finnischen Kunstgesellschaft und sollte ihr Ansehen als finnische Künstlerin manifestieren. 1937 schuf sie ein weiteres „Selbstporträt mit Palette I“, das ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist.
Dass Schjerfbeck sich selbst immer wieder Modell stand und dass sie ihre eigenen Bilder wiederholt als Vorlage für formale und stilistische Neuinterpretationen verwendete, zeigen etwa Werke mit gleichnamigem Titel wie „Die Genesende“ von 1927 und 1938/1939, denen das eigene Gemälde aus dem Jahr 1888 als Vorlage diente, oder Adaptionen der Werke wie beispielsweise „Die Näherin“ (1905, 1927) sowie „Wilhelm von Schwerin“ (1872, 1886, 1927).
Das detailgetreue Kopieren von Werken alter Meister war eine in der damaligen künstlerischen Ausbildung übliche Praxis, in der sich auch Schjerfbeck während verschiedener Reisen und eines Studienaufenthalts in Paris in jungen Jahren übte. Die Adaption einzelner Motive und Stile aus Gemälden etwa von Hans Holbein d. J. oder Diego Velázquez hielt vor allem im Spätwerk der Künstlerin wieder Einzug. Ein Grund hierfür war etwa auch der Mangel an Modellen und Motiven in den abgeschiedenen finnischen Dörfern, in denen Schjerfbeck ab 1902 lebte. Dieser ließ die Künstlerin auf Kunstbücher wie auf aktuelle Modemagazine als Vorlage zurückgreifen. So ruft „Spanische Frau“ von 1928 El Grecos Madonnen auf, die modischen Pariserinnen die Malerei Constantin Guys’, die Darstellungen von Dora Estlander den Bubikopf moderner Frauen der Großstadt und „Mädchen mit Beret“ die filigranen französischen Frauen, die Schjerfbeck unter anderem aus der Pariser Modezeitschrift Chiffons kannte.
Obwohl Schjerfbeck stets im regen Austausch mit Kollegen und Kulturschaffenden stand, hatte die geografische Distanz eine physische Isolation zur Folge, die wiederum zu einer gewissen künstlerischen Freiheit führte. So schuf sie Männerakte, zu denen es keine vergleichbaren zeitgenössischen Arbeiten anderer Künstlerinnen gibt. Zwei dieser außergewöhnlichen Akte sind in der Schirn-Ausstellung zu sehen.
Auch wenn die Lebensgeschichte Schjerfbecks für die damalige Zeit ungewöhnlich ist und oft als Mythos verklärt wird, betrachtet die Ausstellung das Werk dieser modernen Künstlerin nicht primär im Licht ihres Lebens, sondern lässt es für sich stehen, als wandelbar im Stil, experimentell in Farbe und Technik und eindringlich in der Wirkung.
Biografische Skizze
Helene Schjerfbeck wurde 1862 in Helsinki geboren und erlebte eine wenig glückliche Kindheit, überschattet durch den Tod der älteren Schwester, einen Unfall, der einen lebenslangen Hüftschaden zur Folge hatte, und den Tod ihres Vaters, als sie 13 Jahre alt war. Obwohl sich ihre Mutter nicht um ihr malerisches Talent kümmerte, begann sie mithilfe einer Lehrerin ihre akademische Ausbildung. Diese führte sie als junge Frau zum Studium unter anderem nach Paris, Rom, Florenz, St. Petersburg und Wien. Während Künstlerinnen in Frankreich und England im ausgehenden 19. Jahrhundert mit zahlreichen Einschränkungen in der Berufsausbildung rechnen mussten, wurden finnische Künstlerinnen weitestgehend institutionell gefördert und unterstützt. In den Museen Europas studierte Schjerfbeck die Gemälde alter Meister der Renaissance, des Barock und des Manierismus, zum Beispiel die Werke von Giotto, El Greco, Franz Hals sowie Rembrandt, setzte sich eingehend mit der Historienmalerei auseinander und beschäftigte sich auch mit Arbeiten ihrer Zeitgenossen wie Pierre Puvis de Chavannes’, James McNeill Whistlers, Paul Cézannes und Edgar Degas’. Es waren die Motive, Kompositionsschemata, die Farb- und Oberflächenbehandlung dieser Werke, die sie beeindruckten und die sie zeitlebens inspirierten. 1890 nahm sie mit ihrem naturalistischen Gemälde „Die Genesende“ (1888) an der Pariser Weltausstellung teil und erhielt die Bronzemedaille. Schjerfbeck entwickelte durch das Kopieren und das Arbeiten nach Vorlagen einen eigenen Stil und eine spezifische Malweise: Sie reduzierte die Bildelemente, fokussierte in der Komposition auf einen Bildausschnitt, experimentierte mit unterschiedlichen Medien (Leinwand, Papier), Techniken (u. a. Öl, Aquarell, Gouache) und Farben.
Nachdem sie 1894 eine Stelle als Lehrerin an der Zeichenschule des Finnischen Kunstvereins angetreten hatte, die sie 1902 wieder aufgab, zog sie mit ihrer Mutter in die kleine Ortschaft Hyvinkää. Trotz der geografischen Abgeschiedenheit stand sie in regem Austausch mit ihren Zeitgenossen. Sie korrespondierte regelmäßig mit befreundeten Künstlerinnen und Künstlern und diskutierte über Literatur, Mode und die Ereignisse der Kunstszene in den europäischen Zentren. Ihr Kunsthändler und Galerist Gösta Stenman regte Schjerfbeck gegen Ende der 1920er-Jahre an, auch neue Fassungen ihrer eigenen Arbeiten zu malen. Vorhandene Bilder dienten ihr ebenso als Modelle wie vor ihr sitzende Personen, die sie im Malprozess mit ihrer reichen Bilderwelt ausstattete. Trotz ihres sich verschlechternden Gesundheitszustands beteiligte sie sich regelmäßig an Ausstellungen, unter anderem in Schweden, wohin sie nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges umsiedelte. Ohne ihre Heimat wiederzusehen, starb Helene Schjerfbeck 1946 in Saltsjöbaden im Alter von 83 Jahren.
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