Vom 27. Oktober 2016 bis 15. Januar 2017 zeigen die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden im Albertinum erstmals die Arbeiten der amerikanischen Künstlerin Taryn Simon in einer großen Überblicksschau.
Im Fokus der Ausstellung Taryn Simon. A Soldier is Taught to Bayonet the Enemy and not Some Undefined Abstraction stehen Dinge und Momente, in denen scheinbar neutrale Objekte in Kontrollsysteme eingehen. Nach einer erfolgreichen Schau 2016 in der Galerie Rudolfinum, Prag (kuratiert von Michal Nanoru), wurden Konzept und Werkauswahl überarbeitet und für Dresden maßgeblich erweitert. Das Albertinum zeigt Werke der Jahre 2007 bis 2015, darunter auch eine Gruppe der neuesten, erstmals in Deutschland gezeigten Arbeit Paperwork and the Will of Capital (2015).
In ihren enzyklopädisch angelegten Typologien verweist Taryn Simon auf die Randbereiche der durch Medien beeinflussten Welt und legt in ihrer künstlerischen Praxis die Wechselbeziehungen von Wort und Bild offen. Sie zeigt, wie multiple Wahrheiten konstruiert werden und nutzt den Gegensatz zwischen fotografischer Inszenierung und textlicher Objektivität. Ihre umfangreichen Serien und Archive offenbaren so die Komplexität des Konkreten sowie den unsichtbaren Zwischenraum von Wort und Bild.
Die Arbeit The Picture Collection (2013) hat ihren Ursprung in der 1915 gegründeten Bildersammlung der New York Public Library. Mit ihren über 12.000 Schlagworten ist die Sammlung eine beispiellose Bildquelle für Druckmedien und das größte frei zirkulierende Referenzarchiv im öffentlichen Bereich. Das namensgebende Zitat der Ausstellung ist dem Jahresbericht von 1942 der Bildersammlung entnommen und kann als Essenz der künstlerischen Arbeit von Taryn Simon gesehen werden. Durch genauste Untersuchungen und Kenntnis von Bild- und Verweissystemen gelingt es der Künstlerin offenzulegen, wie mit Hilfe von Wort und Bild Wissen und Bedeutung produziert und mit Autorität aufgeladen werden.
“The enemy loomed large as the most popular subject in picture requests all year. Since a soldier is taught to bayonet the enemy and not some undefined abstraction, he must learn to recognize that enemy; he must go into battle armed with visual knowledge of the face of the enemy and the contour of his lands.”
„Der Feind spielte das ganze Jahr hindurch eine große Rolle und war das meist angefragte Thema bei Bildern. Einem Soldaten wird beigebracht, wie er den Feind bajonettiert, nicht irgendeine Abstraktion, also muss er lernen, diesen Feind zu erkennen. Er muss mit dem visuellen Wissen vom Gesicht des Feindes und den Konturen seines Landes bewaffnet in die Schlacht ziehen.“
Jahresbericht 1942, aus den Akten der Picture Collection, The New York Public Library
Simons Interesse an Systemen der Kategorisierung und Klassifizierung charakterisiert ihre Herangehensweise und umfasst akribische, oft langjährige Recherchen: In An American Index of the Hidden and Unfamiliar (2007) stehen Objekte, Orte und Räume im Fokus, die für die Grundlagen der USA, ihre Mythologie und ihre alltäglichen Abläufe gleichzeitig wesentlich, und unzugänglich oder unbekannt sind. Hierdurch wird ein Schlaglicht auf die Themen der psychologischen und bürokratischen Kontrolle, des Zugangs zu Informationen und der Autorität geworfen. Contraband (2010) ist ein Archiv weltumspannender Wünsche und wahrgenommener Bedrohungen und besteht aus 1.075 Bildern von Gegenständen, die durch Flugreisende oder per Post in die USA eingeführt und vorübergehend sichergestellt oder beschlagnahmt wurden. Der Field Guide to Birds of the West Indies (2014) recherchiert zufällig durchs Bild fliegende Vögel in dem ansonsten stark reglementierten Zusammenhang von James Bond-Filmen. In Image Atlas (2012) und The Picture Collection (2013) setzt sich Simon mit dem menschlichen Impuls zu archivieren und visuelle Informationen zu organisieren auseinander und deutet dabei auf die Autoritäten, die bei scheinbar neutralen Systemen der Bilderfassung im Spiel sind. Im Anschluss an ein Interview mit Russia Prime Time wurde die Künstlerin gebeten mehrere Minuten ohne Regung zu sitzen. Dies gilt als gängige Verfahrensweise um für den nachfolgenden Schnittprozess zusätzliches Bildmaterial zu generieren. Für Cutaways (2012) zeigt Simon nun dieses Schnitt- und Füllmaterial von sich, um die Konstruktion von objektiv-empfundenen Nachrichtenmedien offen zu legen. In Black Square (2006, fortlaufend) inszeniert die Künstlerin Gegenstände, Dokumente und Narrative jeweils auf einem schwarzen Farbfeld, das die exakt gleichen Maße hat, wie Kasimir Malewitschs gleichnamiges suprematistisches Meisterwerk. In Paperwork and the Will of Capital (2015) legt Simon anhand dekorativer Blumengestecke bei internationalen Vertragsunterzeichnungen das dramaturgische Können hinter politischer und wirtschaftlicher Macht offen.
Taryn Simon nutzt Typologien, die aufzeigen, wie Bild-Material, Sprache und Gestaltung eingesetzt werden, um Wissen, Autorität und damit Geschichte zu generieren. Bilder sind für die Künstlerin immer auch Funktionselemente und Indikatoren politischer, wirtschaftlicher, sozialer, religiöser und kultureller Systeme. Die Strategien und Mechanismen der Kontrolle, Verbreitung, Kontextualisierung, Interpretation, Manipulation und Vernetzung von Bildern einer durch Medien beeinflussten Welt führen letztlich zu der Frage, wer in der visuellen Kommunikation für die Bildregie verantwortlich ist.
Die Ausstellung wurde in Zusammenarbeit mit der Galerie Rudolfinum in Prag organisiert.
Die Ausstellung wird maßgeblich unterstützt von der Gesellschaft für Moderne Kunst in Dresden e.V., diese mit Sonderspenden von Axel und Barbara Bauer, Heckschen & van de Loo und Sebastian Piper. Besonderer Dank gilt der Gagosian Gallery für ihre Unterstützung.
Ausgestellte Werke
Black Square (2006, fortlaufend)
An American Index of the Hidden and Unfamiliar (2007)
Contraband (2010)
Cutaways (2012)
Image Atlas (2012)
The Picture Collection (2013)
Field Guide to Birds of the West Indies (2014)
Paperwork and the Will of Capital (2015)
Taryn Simon (*1975) arbeitet als Künstlerin in den Bereichen Fotografie, Text, Skulptur und Performance. Ihre Werke haben unter anderem Eingang in die ständigen Sammlungen des Metropolitan Museum of Art, der Tate Modern, des Guggenheim Museum, des Centre Georges Pompidou sowie des Los Angeles County Museum of Art gefunden und waren 2015 auf der 56. Biennale von Venedig ausgestellt. Ihre Arbeiten waren Gegenstand von Ausstellungen in der Galerie Rudolfinum, Prag (2016), im Garage Museum of Contemporary Art, Moskau (2016), Jeu de Paume, Paris (2015), Ullens Center for Contemporary Art, Beijing (2013), Museum of Modern Art, New York (2012), in der Tate Modern, London (2011), der Neuen Nationalgalerie, Berlin (2011) und dem Whitney Museum of American Art, New York (2007). Taryn Simon ist Absolventin der Brown University und Guggenheim Fellow. Sie lebt und arbeitet in New York.
Öffnungszeiten:
10 bis 18 Uhr, montags geschlossen
Staatliche Kunstsammlungen Dresden
Albertinum, Salzgassenflügel
Eingang Georg-Treu-Platz, 1. OG
01067 Dresden
T +49 (0)351 4914 2643
www.skd.museum
Presse
Kataloge/Medien zum Thema:
Taryn Simon
Verein Berliner Künstler
Akademie der Künste / Hanseatenweg
Urban Spree Galerie
Alfred Ehrhardt Stiftung
Stiftung Kunstforum Berliner Volksbank