»Die Frage der Schwere ist ein zentrales Thema in der Skulptur. Es ist interessant, dies mit der Leichtigkeit eines Videos zu vergleichen.«
Raphaela Vogel
Die Löwen, Sinnbild von Macht und Männlichkeit, haben ihre Mäuler aufgerissen. Mit ihren Pranken drücken sie je einen Schlangenkörper nach unten. Die Schlangen recken ihre Köpfe in ihren letzten Regungen vor dem todbringenden Hieb der Raubkatzen. Raphaela Vogel lässt zwei Kopien der Monumentalplastik von der Decke baumeln. Die schweren Bronzen sind mit Ketten und Riemen befestigt. Die Kolosse hängen kopfüber, als stürzten sie hinab — ein Trapezakt in grotesker Spiegelung. »Die Stärksten im Tierreich gibt es auch vor dem Amtsgericht in Berlin«, sagt Vogel. Gegossen wurden die beiden Bronzeskulpturen vermutlich im 19. Jahrhundert in Italien. Schwarze Kugeln baumeln von ihren Nasen. Es sind Lautsprecher der Marke Grundig, die in den 1970er Jahren Audiorama-Boxen herstellte. Aus ihnen erklingt die Stimme von Raphaela Vogel, wie sie einen Song der Schlagersängerin Milva interpretiert, bedrückend, düster und verloren. Ängste, Spiegelungen und bizarrer Baudekor gehören zu den wiederkehrenden Gestaltungsmitteln von Raphaela Vogel wie auch die Musik, die ihre Installationen untermalt. Es sind stets süßliche, wehmütige Weisen, gespielt mit Akkordeon oder Klavier. Ihre Anmut bildet einen Kontrast zu den schweren Tragkonstruktionen, wuchtigen Skulpturen und kaleidoskopartigen Videos.
Im ersten Obergeschoss zeigt Raphaela Vogel Spinnen- figuren. Auf einer sitzt eine rissige Plastikschale, wie ein weißes Skelett oder eine Haut. Es wirkt, als würde sich die Spinne »häuten oder paaren«. Vogelspinne — so der Ausstellungstitel der Galerie BQ Berlin, wo die Figuren 2019 zum ersten Mal zu sehen waren — ist eine Anspielung auf Vogels eigenen Namen und Alter Ego und schürt die weitverbreitete Angst vor Spinnen. Segel von Surfern sind aufgestellt, ihre farbigen Plastikplanen leuchten wie geheimnisvolle, tierische Augen. Eine andere Konstruktion zeigt verchromte Stahlträger, die sich zu einem netzartigen Gerüst aufbauen, eine spinnenartige Dachkonstruktion, von deren Scheitel ein Bündel starr blickender Puppen herabhängt. Vogel entführt in die Welt der Ängste, in die Abgründe von Begehren, Einsamkeit und Hypnose. Die Idee der »horizontalen Skulptur« beschäftigt sie, inspiriert von der Land Art, vor allem durch Nancy Holt und ihren Mann Robert Smithson.
Ein HD-Bildschirm ist zu sehen, verbunden mit Aluminium-stangen, die, Tentakeln gleich, den Raum in acht Bereiche auffächern. In dem hier abgespielten Video steht Vogel auf einem Felsen, rund um sie wogt die Gischt eines auf-gebrachten Meeres. Alles dreht sich, die Wellen sind in sich verschnitten und verzerrt, die Bilder gleichen einem Bildschirmschoner, der nicht zur Ruhe kommt. Es ist eine psychedelische, fast mythische Szenerie, ein »Panorama der Todesfurcht«, gefilmt von einer Drohne. Babygeschrei ist zu hören, so verlangsamt, dass die Stimmen wie Sirenen jammern. Am Ende ein Rauschen und neuerlich die Stimme der Sängerin Milva, die Ich hab’ keine Angst singt, begleitet von Edith Clever, die die Todesangstszene aus Kleists Prinz von Homburg rezitiert.
Im zweiten Obergeschoss zeigt die Künstlerin eine Installation, die in der Berlinischen Galerie zu sehen war. Die Tragwerke von zwei Lagerzelten sind ineinander verzahnt. Schienen und Stahlträger sind charakteristisch für Vogels Werk, auch die Wiederverwertung von ausgedienten Equipments von Bühnen, Diskotheken oder Erlebnisparks. Das Strebewerk formt einen schlauchartigen Raum, der über ein chinesisches Tor betreten wird. Ein Drache aus Polyurethan umspielt den Eingang, das Ornament kopiert die Schmuckleisten üblicher China-restaurants. Am anderen Ende befindet sich ein Bildschirm. Vogel wird durch einen Tunnel verfolgt, liegt in einem Bett, wird von oben gefilmt, in »postkoitaler Müdigkeit«. Auch dieses Bild dreht sich, provoziert Schwindel und phobische Fantasien. Die Musik plätschert dahin. Am Ende wird die Protagonistin, immer von Vogel selbst dargestellt, von einer Drohne verfolgt. Die fliegende Spinne ist ein furchterregender Schatten, ein technoides Tattoo, ein Fadenkreuz auf ihrem Körper und in der Landschaft.
Im obersten Stockwerk findet sich eine eigens für das Kunsthaus Bregenz entwickelte Arbeit. Raphaela Vogel hat den Nachlass eines Miniaturparks erworben. Die Modelle sind vermoost und verwittert: die Tower Bridge, der Triumphbogen, die Freiheitsstatue, das Wiener Riesenrad, die Dresdner Frauenkirche und die Berliner Siegessäule. »Auch das Kunsthaus ist signethaft, Wahrzeichen und Imageträger für das Stadtmarketing.« Die Nachbildungen sind durch verchromte Rohre verbunden, wie Versorgungsleitungen auf einer Baustelle. Im Zentrum laufen sie zu einer Skulptur aus Beamer und Audioboxen zusammen, die dem Atomium in Brüssel ähnelt. Ein Film ist zu sehen, Vogel singt die ins Deutsche umgedichtete Version von Nina Simones Ain’t Got No, I Got Life aus dem Musical Hair, eine Aufzählung fehlender und wieder erlangter Besitztümer und Beziehungen, ein »universelles Gleichnis, eine Art Inventarliste des Habens und Nichthabens, ein existenzielles Soll und Haben«.
Raphaela Vogel (*1988, Nürnberg) studierte an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg bei Michael Hakimi und an der Städelschule in Frankfurt am Main bei Peter Fischli.
Raphaela Vogel lebt und arbeitet in Berlin.
Kunsthaus Bregenz
Karl Tizian Platz, 6900 Bregenz
www.kunsthaus-bregenz.at
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