Geprägt durch Bauhaus und Werkbund, erlangte das deutsche Design zu Beginn des 20. Jahrhunderts weltweite Bedeutung. Mit der deutschen Teilung ab 1949 entwickelten sich Design und Alltagskultur auf beiden Seiten der Grenze getrennt weiter – im Westen als Motor des »Wirtschaftswunders«, im Osten als Teil sozialistischer Planwirtschaft. Mehr als 30 Jahre nach dem Fall der Mauer präsentiert das Vitra Design Museum vom 20. März bis 5. September 2021 die erste große Gesamtschau über das deutsch-deutsche Design der Nachkriegszeit.
Die Ausstellung »Deutsches Design 1949–1989. Zwei Länder, eine Geschichte« stellt das Design der damaligen DDR und BRD vergleichend gegenüber und verdeutlicht dabei ideologische und gestalterische Unterschiede ebenso wie Parallelen und Querbezüge, die Ost und West verbanden. Die Exponate reichen von ikonischen Möbeln und Leuchten über Grafik, Industriedesign und Inneneinrichtung bis hin zu Mode, Textilien und Schmuck.
DDR-Design aus billig-buntem Plastik, kühler Funktionalismus in der BRD – solchen Klischees setzt die Ausstellung einen differenzierten Blick entgegen. Legendäre Alltagsobjekte wie das DDRVolksauto »Trabant« (1958) oder die »Schneewittchensarg«-Stereoanlage (1956) sind darin ebenso zu sehen wie Neuentdeckungen und Raritäten, etwa Luigi Colanis skulpturaler Schlaufensessel »Poly-COR« (1968). Der Blick fällt auf Protagonisten wie Dieter Rams, Egon Eiermann, Rudolf Horn oder Margarete Jahny, aber auch auf prägende Hochschulen oder das Erbe des Bauhauses. Zum ersten Mal entfaltet die Ausstellung damit ein großes Panorama der deutsch-deutschen Designgeschichte der Nachkriegszeit und macht deutlich, wie eng Design und Zeitgeschichte, Alltagskultur und weltpolitischer Kontext im Deutschland des Kalten Krieges verflochten waren. Der erste Ausstellungsbereich versetzt die Besucher in verschiedene Szenen aus dem geteilten Deutschland und zeigt, welche Rolle Design darin spielte. Schon bei der Entstehung der beiden neuen Staaten trug Design zur Schaffung neuer Identitäten bei, die sich etwa in unterschiedlichen Staatswappen, Währungen, Ausweisen, ja selbst in den berühmten Ampelmännchen spiegelten.
Objekte wie das »Senftenberger Ei« von Peter Ghyczy (1968) zeigen, dass die Designgeschichte nicht immer streng getrennt verlief, denn der futuristische Sessel wurde mit minimalen Abweichungen in Ost- wie auch in Westdeutschland produziert. Die gemeinsame Geschichte des deutschen Designs vor dem Zweiten Weltkrieg wird ebenfalls angesprochen, hatten doch viele Designer während der Weimarer Republik gemeinsam am Bauhaus oder an anderen Hochschulen
studiert. Das dunkle Kapitel des Nationalsozialismus sollte in der Nachkriegszeit überwunden werden, indem man sowohl in der Gestaltung als auch in der Ausbildung an die Ideen der Moderne anknüpfte.
Nach dieser Einleitung erzählt die Ausstellung die deutsch-deutsche Designgeschichte in chronologischer Abfolge. Sie beginnt im Jahr 1949, als in den westlichen Besatzungszonen die Bundesrepublik Deutschland und in der sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik gegründet wurden. In beiden Staaten trieben öffentliche Wohnungsbauprogramme den Wiederaufbau voran, was zu einer rasant steigenden Nachfrage nach Konsumgütern führte – von Möbeln und Geschirr über Elektrogeräte bis hin zu Automobilen. Alltagsgegenstände wie Max Bills Küchenuhr (1956) oder Klaus Kunis’ elegante Gießkanne (ca. 1960) spiegelten eine neue Häuslichkeit und die wachsende Beliebtheit moderner Gestaltung. In Ost und West sollten neue oder wiedereröffnete Designhochschulen die Industrie mit Nachwuchs versorgen, zumal Design eine hervorragende Möglichkeit bot, sich auf der internationalen Bühne als modern und aufgeschlossen zu inszenieren. Meilensteine waren hier die Wiedereröffnung der Leipziger Messe 1946, die dem Aufbau der Exportwirtschaft in der DDR dienen sollte, und der von Sep Ruf und Egon Eiermann entworfene Pavillon der Bundesrepublik Deutschland auf der Weltausstellung in Brüssel 1958.
Mit dem Bau der Berliner Mauer ab dem 13. August 1961 wurde eine strikte Trennung zwischen DDR und BRD etabliert. Während einige deutsche Unternehmen und Designer zuvor noch grenzüberschreitend gearbeitet hatten, wurde Design nun endgültig zum Schauplatz zweier politisch konkurrierender Systeme. In der BRD entwickelte es sich zu einem zentralen Faktor einer Konsumgesellschaft, in der die neuesten Möbel und Automodelle zu begehrten Statussymbolen
wurden. Entwürfe wie die minimalistischen Elektrogeräte von Dieter Rams für die Firma Braun zeugten von einem zunehmenden Verständnis von Qualität und Gestaltungskultur. Auch die so genannte Corporate Identity gewann an Bedeutung, wie das von Doris Casse-Schlüter entworfene Kussmundlogo der Bundeshauptstadt Bonn oder Otl Aichers Grafikkonzept für die Olympischen Spiele (beide 1972) zeigen. Auf dem Automobilsektor waren es beispielsweise die Porsche-Modelle, die – wenn auch nur für einen Bruchteil der Bevölkerung erschwinglich – mit ihren reduzierten Linien zum Sinnbild für Design »Made in Germany« wurden, in dem sich Ästhetik und Ingenieurskunst verbanden.
Das Design dieser Ära in der DDR war im Sinne der sozialistischen Planwirtschaft zentralistisch gesteuert. Unter der Ägide des Amts für industrielle Formgestaltung sollte es dazu beitragen, erschwingliche Produkte für breite Bevölkerungskreise hervorzubringen und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Das Plattenbau-Prinzip ermöglichte die Schaffung von Wohnraum im großen Maßstab, für den man neue Möbel und Einrichtungsideen brauchte. Die von
Rudolf Horn gestaltete »MDW-Einbauwand« (1968) erwies sich dabei als überaus populär: Das vielseitige Modulmöbel wurde schon bald zu einem allgegenwärtigen Element des DDRPrivatlebens. Auch im öffentlichen Raum spielte Design eine wichtige Rolle, was die Ausstellung etwa durch Originalpläne des Berliner Cafe Moskau verdeutlicht. Werke wie das kürzlich restaurierte Erfurter Relief »Die Beziehung des Menschen zu Natur und Kunst« (1982–84) von Josep
Renau zeigen, wie die weit verbreitete »Kunst am Bau« das Stadtbild in der DDR prägte. Eine Schlüsselrolle für die industrielle Entwicklung der DDR hatte der Trabant, der die Massenmotorisierung der Bevölkerung beschleunigen sollte. Bis heute gilt der »Trabi« mit seiner Karosserie aus recyceltem Kunststoff als Kultobjekt ostdeutscher Gestaltung, seine Produktion wurde erst 1991 eingestellt.
Mit Willy Brandts Ostpolitik begann in den 1970er Jahren eine Annäherung zwischen den beiden deutschen Staaten, die 1989 im Fall der Mauer gipfelte. Das Design in Ost und West spiegelte in dieser Phase ein zunehmend kritisches Bewusstsein wider, angefacht durch Ereignisse wie die Erdölkrise von 1973. In der DDR nahm die Wirtschaftskraft nun stetig ab, doch die Designer bewiesen Erfindergeist. So basierte das von Karl Clauss Dietel und Lutz Rudolph entworfene Motorrad »Mokick S50« (1967–74) auf einem Baukastenprinzip, das eine Reparatur einfach und erschwinglich machte. Andere Gestalter verlagerten sich auf handwerkliche Techniken oder künstlerische Kleinserien. Gerade in Ostberlin verbanden sich Design und Subkultur zu einer lebendigen Szene, die etwa in Mode, Fotografie, Keramik oder Schmuck eine neue Alltagsästhetik jenseits der industriellen Planwirtschaft hervorbrachte. Eines der letzten großen staatlichen Projekte der DDR war der Computer »PC 1715« des VEB Robotron (1985), der in der DDR ausschließlich staatlichen Betrieben, Behörden und Universitäten vorbehalten war.
Auch die BRD bekam ab den 1970er Jahren die wirtschaftlichen Verwerfungen zu spüren, blieb international jedoch ein Vorreiter im Industriedesign. So griff der 1974 lancierte VW Golf das neue Interesse an kompakten, sparsamen Automodellen auf, und Anfang der 1980er Jahre ließ Steve Jobs einen der ersten Apple-Computer durch Hartmut Esslinger und seine deutsche Agentur frogdesign gestalten. Gleichzeitig gewannen auch in der BRD künstlerische und experimentelle Tendenzen im Design an Bedeutung. Gruppen wie Pentagon, Ginbande oder Kunstflug, Designgalerien und experimentelle Ausstellungen prägten so das »Neue Deutsche Design«, in dem sich Einflüsse aus Kunst, Punk oder Kitsch verbanden. Mit dem politischen Dialog zwischen Ost und West nahm auch der Austausch im Design langsam wieder zu. Es kam sogar zu einer grenzüberschreitenden Doppelausstellung, bei der die BRD 1984/85 ihre Entwürfe in Ost-Berlin präsentierte, während Design aus der DDR 1988 in Stuttgart zu sehen war.
Nach dem Fall der Mauer 1989 wurden große Teile der DDR-Industrieproduktion »abgewickelt« und es verschwanden viele der Produkte, die den Alltag in der DDR geprägt hatten. Die Ausstellung »Deutsches Design 1949–1989. Zwei Länder, eine Geschichte« stellt das Design von DDR und BRD bewusst auf Augenhöhe gegenüber und ruft damit auch weniger bekannte Kapitel deutscher Designgeschichte in Erinnerung. Einerseits wird dabei die politische Bedeutung von Design in der Ära des Kalten Krieges deutlich, andererseits offenbart sich eine faszinierende Vielfalt an Entwurfsstilen und Haltungen, die einen differenzierteren Blick als den auf die ideologischen Gegensätze von Ost und West verlangen. Erstmals wird das deutsche Design der Nachkriegszeit als gemeinsame Geschichte betrachtet – mit Unterschieden und Brüchen, aber auch Gemeinsamkeiten und Querverbindungen.
Vitra Design Museum, Charles-Eames-Straße 2, 79576 Weil am Rhein
www.design-museum.de
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