Die erste große Retrospektive zum Werk von Gillian Wearing in Deutschland zeigt fotografische Arbeiten und Filminstallationen. Neun Ausstellungsräume bieten einen Überblick über das bisherige Schaffen, vermitteln dessen spezifische Ästhetik und charakteristische künstlerische Strategien. Für Gillian Wearing, so zeigt sich, bedeutet das Kunst-Machen soziale Beziehungen sichtbar zu machen. Gillian Wearing zählt zu den wichtigsten Künstlerinnen ihrer Generation in Großbritannien. Geboren 1963 in Birmingham, studierte sie am renommierten Londoner Goldsmiths College und erlangte seit den 1990er Jahren internationale Bekanntheit. 1997 wurde die Künstlerin mit dem Turner Prize ausgezeichnet.
Gillian Wearing geht es in ihren Arbeiten immer wieder um den Selbstausdruck von Menschen in inszenierten Situationen. Ihr Interesse gilt Sicht- und Verhaltensweisen unterschiedlichster Menschen – Durchschnittsbürgern sowie Obdachlosen, Rentnern wie auch Schulkindern. In schonungsloser, aber immer auch behutsamer Auseinandersetzung entstehen Porträts, in denen sich eine fragile Balance einstellt zwischen Eigenwahrnehmung und Außenwirkung, Privatheit und Öffentlichkeit, Wahrhaftigkeit und Projektion.
Die frühesten Arbeiten sind Aktionen im öffentlichen Straßenraum. 1992/93 bat Gillian Wearing wildfremde Passanten, einen ihnen wichtigen Gedanken spontan zu Papier zu bringen, um danach die jeweilige Person mit ihrer Botschaft fotografisch festzuhalten. Die insgesamt rund 600 Porträts umfassende Serie mit dem Titel »Signs that Say What You Want Them to Say and Not Signs that Say What Someone Else Wants You to Say« (»Schilder, die sagen, was du mit ihnen sagen willst, und nicht Schilder, die sagen, was jemand anderes will, das du es mit ihnen sagst«) spiegelt Kontrolle und Kontrollverlust, die mit Bildproduktion und Bildwirkung zwangsläufig einhergehen.
Auf einem Gruppenbildnis, das an historische Gemälde erinnert, schauen 26 Männer und Frauen in Polizeiuniformen stumm, aber eindringlich die Betrachter an. Das Porträt ist keine Fotografie, sondern ein Film. In der Videoinstallation »Sixty Minute Silence« (1996) werden aus »nur« Dargestellten unberechenbare Akteure – eine ganze Stunde lang.
Wohl die meisten Menschen haben sich schon gefragt, wie viel von ihrer Mutter oder ihrem Vater in ihnen steckt. Für die Selbstinszenierungen als Mitglieder der eigenen Familie (2003-06) schlüpfte Gillian Wearing, inspiriert von alten Fotos, in nachgebildete Hüllen ihrer nächsten Verwandten. Aus den Silikonmasken heraus blickt stets Wearing selbst in die Kamera – bisweilen älter als es die Verkörperten zum Zeitpunkt des fotografischen Vorbilds waren. Zeiten und Generationen verschmelzen miteinander, die gegensätzliche Vorstellung von Nähe und Distanz löst sich auf.
Auch die frühe Videoarbeit »10-16« (1997), bei der Erwachsene sich zu den Stimmen von Kindern und Jugendlichen im Alter von zehn bis sechzehn Jahren bewegen, irritiert durch Widersprüche. »I´m interested in people«, sagt Gillian Wearing und weiß, dass die Herstellung eines Bildes immer mit Macht verbunden ist und dass Vereinnahmung oder Manipulation nie völlig zu vermeiden sind. In diesem Bewusstsein untersucht Wearing die Strukturen sozialer Konventionen und verschränkt individuelle mit standardisierter Kommunikation.
Öffnungszeiten: Täglich außer MO 10.00-18.00 Uhr; DO 10.00-20.00 Uhr
Museum Brandhorst
Kunstareal München
Theresienstraße 35 a
80333 München
http://www.museum-brandhorst.de/
pm
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