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Die Becher-Klasse

FOTOGRAFIEN WERDEN BILDER

27. APRIL BIS 13. AUGUST 2017 | Städel Museum, Frankfurt a.M.

In einer umfassenden Überblicksausstellung widmet sich das Städel Museum vom 27. April bis 13. August 2017 der Becher-Klasse und dem mit ihr verbundenen Paradigmenwechsel im Medium der Fotografie. Anhand von rund 200 Fotografien der international renommierten oder wiederzuentdeckenden Künstler Volker Döhne, Andreas Gursky, Candida Höfer, Axel Hütte, Tata Ronkholz, Thomas Ruff, Jörg Sasse, Thomas Struth und Petra Wunderlich geht die Ausstellung der Frage nach, welchen Einfluss Bernd und Hilla Becher auf ihre Studentinnen und Studenten an der Düsseldorfer Kunstakademie ausübten. Was eint bzw. trennt die Arbeiten der Schülerinnen und Schüler von ihren Lehrern? Gibt es überhaupt so etwas wie eine Becher-Schule oder haben wir es ‚nur’ mit einer Gruppe sehr erfolgreicher Fotografinnen und Fotografen zu tun, die in einem besonders günstigen historischen Moment am ‚richtigen Ort’ studiert haben? Und welchen Einfluss hatten die Künstlerinnen und Künstler auf unseren gegenwärtigen Bildbegriff? Die Ausstellung „Fotografien werden Bilder. Die Becher-Klasse“ nimmt das Werk des Künstlerpaares als Ausgangspunkt, um die radikale Veränderung im Umgang mit dem Medium der Fotografie, die sich ab den 1980er- und vor allem in den 1990er-Jahren in den Arbeiten der Becher-Schüler manifestiert, aufzuzeigen und ihre kunsthistorische Tragweite bis in unsere Gegenwart zu untersuchen. Zu sehen sind großformatige Hauptwerke sowie zentrale Frühwerke der wohl einflussreichsten deutschen Fotografengeneration.
Die Studentinnen und Studenten der ersten von vielen aufeinanderfolgenden Becher-Klassen an der Düsseldorfer Kunstakademie haben die Kunst unserer Gegenwart in Bezug auf ihre ästhetischen, medialen und ökonomischen Rahmenbedingungen elementar verändert. Sie prägten nicht nur die Fotografie in den 1990er-Jahren auf internationaler Ebene in entscheidendem Maße, sondern bestimmten zugleich den Stellenwert und die Wahrnehmung der künstlerischen Fotografie allgemein vollkommen neu. Ihre Werke sind Ausdruck einer selbstbewussten Emanzipation der Fotografie als künstlerisches Medium und reflektieren zugleich jenen – nicht nur digitalen – Moment, in dem sich die medialen Grenzen auflösen.

„Die ersten – inzwischen weltbekannten – Schülerinnen und Schüler von Bernd und Hilla Becher haben einen ganz maßgeblichen Anteil an der Etablierung der Fotografie als gleichberechtigter künstlerischer Ausdrucksform. Die neun in unserer Ausstellung präsentierten Künstlerinnen und Künstler bewegen sich im Unschärfebereich von Malerei und Fotografie und entsprechen mit dieser bewussten Durchlässigkeit der Gattungsgrenzen einem zentralen Schwerpunkt der Sammlung Gegenwartskunst im Städel Museum“, unterstreicht Städel Direktor Dr. Philipp Demandt.

„Was mit der Lehre Bernd und Hilla Bechers angestoßen und von ihren Schülerinnen und Schülern weiterentwickelt wurde, ist ein neuer Bildbegriff, in dem sich mediale wie ästhetische Grenzziehungen zwischen Skulptur, Malerei und Fotografie auflösen. In dem historischen Moment also, in dem sich die Fotografie als eigenständiges Medium emanzipierte, läutete sie zugleich ihr eigenes Ende ein“, ergänzt Dr. Martin Engler, Kurator der Ausstellung.

Als maßgeblicher Impuls für die veränderte Wahrnehmung des Mediums der Fotografie kann die Begründung des Lehrstuhls für künstlerische Fotografie 1976 an der Düsseldorfer Kunstakademie gesehen werden. Diesen hatte Bernd Becher in enger Zusammenarbeit mit seiner Frau Hilla Becher bis 1996 inne. Noch vor der Berufung an die Düsseldorfer Akademie hatten sich Bernd und Hilla Becher mit ihrer Fotografie historischer Industriearchitektur einem Werkbegriff verpflichtet, der auf Bereiche jenseits des Fotografischen zielt. Fördertürme, Hochöfen, Gasbehälter oder Wassertürme wurden mit bestechender Tiefenschärfe zentralperspektivisch in frontaler Ansicht und bevorzugt vor einheitlich grauem Himmel aufgenommen – Zeugnisse einer im Verschwinden begriffenen Industriekultur. Die Einzelbilder gruppierten sie im Raster zu großformatigen Tableaus – den Typologien. Es geht dabei nicht mehr einfach um das Abbilden der Realität, sondern um deren Wahrnehmung. Die Wirklichkeit lässt sich nicht mehr in einem Einzelbild darstellen, sondern nur noch in einer Vielzahl paralleler Bilder. Ihre formalästhetische Inszenierung ist weit mehr als nur dokumentarisch. Die Nähe zu Minimal Art und Konzeptkunst ist unübersehbar. Sie zeigt sich in der Strenge ihres Bildvokabulars, ihrer industriellen Ästhetik sowie in einer neuen Form der schrittweisen Wahrnehmung eines Werks.

Die Studentinnen und Studenten der ersten Stunde haben sich insbesondere in ihrem Frühwerk intensiv mit den künstlerischen Strategien ihrer Lehrer befasst, um diese mit Beginn der 1990er-Jahre sehr eigenständig und in unverwechselbaren Stilausprägungen weiterzuverfolgen. Mittels unterschiedlicher Strategien, wie Formatgröße, Präsentation oder Motivik und nicht zuletzt mit – durch die digitalen Bildtechniken provozierten – abstrakten Bildfindungen wird die Durchdringung der Medien Malerei und Fotografie ins Extrem geführt. Dadurch entsteht ein neuer Bildbegriff, der mediale wie ästhetische Grenzen verschwimmen lässt. „Die Auflösung der Gattungsgrenzen wie auch der Einsatz technischer Innovationen ist für die Werke der ersten Becher-Klasse charakteristisch. Hierin zeigen sich auch die Auswirkungen einer sich wandelnden Medienkultur“, erklärt Dr. Jana Baumann, Ko-Kuratorin der Ausstellung.

Eine Ausstellung, die sich einem derart komplexen Phänomen einerseits und einer überaus fruchtbaren Lehrtätigkeit andererseits widmet, muss sich zwangsläufig beschränken. „Fotografien werden Bilder“ konzentriert sich bewusst auf die Studentinnen und Studenten der frühen Jahre der Becher-Klasse, die 1976 mit Höfer, Döhne, Hütte und Struth beginnen und mit dem Abschluss des Studiums von Gursky und Sasse, 1987/1988 enden. Gerade die deutlich zutage tretende Heterogenität der ersten Becher-Klasse mit ihren vielfältigen Ansätzen, die sich auf unseren heutigen Bildbegriff ausgewirkt haben, verdeutlicht im Rückblick, wie erfolgreich die Lehre Bernd und Hilla Bechers war.

Candida Höfer (*1944) ist vor allem durch ihre Aufnahmen von öffentlichen Innenräumen wie Bibliotheken, Universitäten, Museen oder Wartesälen bekannt. Wie bei ihren Lehrern ist das rein Dokumentarische letztlich nachrangig. Insbesondere mit ihrer Hinwendung zur Farbfotografie begann sie, ikonisch klare und in ihrer Strenge höchst beeindruckende Aufnahmen inhaltlich aufgeladener Innenräume anzufertigen. Die formale Inszenierung der Interieurs erinnert in Komposition, Wiederholung und Rhythmus sowie in der Betonung ihrer Skulpturalität an die Typologien der Bechers.
Eine deutliche Nähe zu diesen ist ebenfalls bei den frühen Straßenbildern von Thomas Struth (*1954), etwa West Broadway, Tribeca, New York (1978) oder Sommerstrasse, Düsseldorf (1980), erkennbar. Seine Vorgehensweise erinnert an die seiner Lehrer, jedoch hat er seinen Motivkanon erweitert. In seinem Werk beschäftigt er sich mit kulturellen Strukturen, bildet neben Straßen auch Museen oder religiöse Kultstätten ab und porträtiert Familien. Er macht Ordnungen und Verhältnisse anhand sozialer wie ethnologischer Spuren sichtbar und gelangt so zu einer weltumfassenden Erkundung des Menschen und seiner Lebenswelt im Bild.

Die schwarz-weißen Bildreihen von Petra Wunderlich (*1954) bilden Kirchen oder Steinbrüche ausschnitthaft ab. Diese überführt sie in ein neues, abstrahiertes Kompositionsgefüge. So lassen sich Architekturen visuell auf ihre stereometrische Tektonik zurückführen und in der „aufgebrochenen“ Natur scheinen unvermittelt Grundformen des Architektonischen auf. Wunderlichs Fotografien können, wie jene der Bechers, als soziologische und historische Zeugnisse gelesen werden.

Die Werkgruppen Volker Döhnes (*1953) stehen konzeptuell wie motivisch den Typologien Bernd und Hilla Bechers sehr nahe: Er entwickelte Serien wie Kleineisenindustrie (1977/78) oder Kleine Eisenbahnbrücken und Unterführungen im Bergischen und Märkischen Land (1979). Mit seiner Reihe Bunt (1979) experimentierte Döhne dem Titel entsprechend mit Farbe und emanzipierte sich von seinen Lehrern.

Tata Ronkholz’ (1940–1997) fotografisches Hauptinteresse galt Fabriktoren, Schaufenstern oder Trinkhallen und Imbissen, die sie stets bildmittig und bei gleichmäßigem Tageslicht aufnahm. Die konsequente Ausführung der Fotografien in Schwarz-Weiß, die gleichbleibende Größe der Abzüge, aber auch das serielle, typologisch vergleichende Vorgehen erinnern stark an die Bilder der Bechers.

In besonderer Weise und in immer wieder neuen Formulierungen ist auch Thomas Ruff (*1958) der seriellen Methodik seiner Lehrer verpflichtet. Seine Porträtaufnahmen sowie die zum Teil aus gefundenem Material entstandenen und stark vergrößerten Nachtaufnahmen verdeutlichen seine grundlegend skeptische Haltung gegenüber dem Wahrheits- und Dokumentationsanspruch von Fotografie. Sein konsequentes Befragen neuer Bildquellen und Technologien veranschaulichen vielleicht am eindrücklichsten die Art und Weise, wie Ruff den Ansatz von Bernd und Hilla Becher weiterführt.

Axel Hüttes (*1951) frühe Architekturausschnitte befragen soziale Situationen mittels einer von Distanz und Anonymität bestimmten fotografischen Bildgestaltung. Er widmet sich dabei zersiedelten Landschaften ebenso wie vermeintlich unberührter Natur, die jedoch immer durch menschliche Eingriffe geformt worden ist. Auffällig bei Hütte ist sein starker Bezug zur historischen Landschaftsmalerei, deren formale Konstruktionsprinzipien er zugleich kopiert und dekonstruiert. Während die Bechers ihr Augenmerk auf das skulpturale oder konzeptuelle Potenzial ihrer Bilder lenkten, nimmt Axel Hütte die Malerei als Leitmedium der Moderne in den Blick.

Jörg Sasse (*1962) widmete sich in seinem Frühwerk hochartifiziellen und zugleich prosaischen Arrangements kleinbürgerlicher Wohnkultur. Die reduzierte Strenge dieser frühen Werke verkehrt sich in seinen späteren „Tableaus“ in ihr Gegenteil. Gefundene wie eigene Bildvorlagen werden aufwendig digital wie analog von ihm bearbeitet und lassen die Grenzen von Malerei und Fotografie bis zur Unkenntlichkeit verschwimmen. Auch Andreas Gurskys (*1955) frühe Fotografien sind vom unvermittelten Interesse an der alltäglichen Umgebung geprägt – im privaten wie im öffentlichen Raum, im Arbeits- wie im Freizeitkontext. Ähnlich wie Sasse setzt er sich mit der ästhetischen Grenze von fotografischer und malerischer Bildgebung auseinander. Durch digitale Manipulation, mit der er das Bildmotiv bis zur Abstraktion dupliziert und montiert, entstehen irritierende Bildarchitekturen, sodass Konstruktion und Wirklichkeit auf großformatigen Farbabzügen verschmelzen.

Die Entwicklung der Becher-Klasse zeigt, wie der sich öffnende Werkbegriff der Konzeptkunst in einen neuen Bildbegriff mündet. Was sich bei den Lehrern erst andeutete, wird durch die Schülerinnen und Schüler sowie nachfolgende Künstlergeneration zu einer epochalen Veränderung im Umgang mit den Bildern unserer Wirklichkeit. Die Einsicht, dass Fotografie die Wirklichkeit nicht unvoreingenommen wiedergeben kann, bedeutet sodann nicht ein Weniger, sondern ein Mehr an künstlerischem Potenzial, ihre Unschärfe im Abbilden der Realität – im konkreten wie übertragenen Sinne – ein Mehr an Komplexität. Nicht zuletzt digitale Eingriffe ermöglichen innovative Bildschöpfungen; aber auch im Schritt vom Einzelwerk zu Typologie und Serie, von Detail zu Gesamtbild verwischen die Grenzen des fotografischen Bildes. Die Antwort auf alle Fragen bezüglich Bedeutung und Einordnung, Lehre und Begrifflichkeit dessen, was wir „Becher-Schule“ nennen, läge dann in einer ebenso simplen, wie überraschenden Feststellung: In dem historischen Moment, in dem sich die Fotografie als eigenständiges Medium emanzipierte, läutete sie zugleich ihr eigenes Ende ein.

Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main
staedelmuseum.de

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