Auf die Thematik der Migration und Integration reagieren Kunstvereine auf schnelle und flexible Art und Weise. Ob durch Ausstellungen zu diesen Aspekten oder durch aktive Zusammenarbeit mit Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, z.B. in Kunstworkshops - Kunstvereine verfolgen hierbei das gleiche Ziel: sowohl Themen zu reflektieren, die mit demjenigen der Flucht und einem Verlust von Heimat einhergehen als auch das Verständnis der Situation der Geflüchteten in der Öffentlichkeit zu sensibilisieren, Sprachbarrieren zu überwinden und dabei einen anderen Kontext zur Auseinandersetzung mit neuen Herausforderungen anzubieten.
Ein wesentlicher Beitrag zur Integrationsarbeit wird durch Projekte geleistet, die Menschen mit Migrationshintergrund die Möglichkeit geben, sich aus dem Umfeld der provisorischen Auffanglager zu lösen und in einem Kunstverein künstlerisch tätig zu werden. Dabei wird nicht nur Kindern und Jugendlichen Kunst vermittelt, es werden auch Erwachsenenkurse angeboten. Darüber hinaus werden Ausstellungen zu Themen wie Flucht, Migration und Ankommen initiiert, die von einem breitgefächerten Rahmenprogramm begleitet werden.
Der Badische Kunstverein in Karlsruhe hat im Rahmen der Europäischen Kulturtage im April 2016 ein umfangreiches Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm zusammengestellt, das sich zu Themen Migration und Flucht unter dem Namen „Wir Flüchtlinge – Von dem Recht, Rechte zu haben“ äußert. Hannah Arendts Essay „Wir Flüchtlinge“ (We Refugees, 1943) gibt dem Projekt Titel und konzeptuellen Leitfaden. Neben der Präsentation von u.a. Dokumentarfilmen, Zeichnungen, Performances und Installationen wurden Aktivitäten für Flüchtlinge in Form von Workshops und Gesprächssituationen mit Einwohnern aus Karlsruhe organisiert.
Mündliche Ausdruckskraft gestaltet sich bei Sprachbarrieren oftmals schwierig. Dem jungen Senegalesen Armand Diagne wurde im Kunstverein Bad Aibling mit der Ausstellung „Weit weg von zu Hause, aber im Herzen doch ganz nah“ eine bildliche Ausdrucksmöglichkeit geboten, Erlebtes zu verarbeiten und Alltagsfrust zu meistern.
Eine ganz andere Herangehensweise verfolgte die Kieler Künstlerin Susanne Kollmann mit dem von ihr entwickelten Konzept „menue kontrovers“, dessen Ergebnisse im Kunstraum B in Kiel präsentiert wurden. Hierbei sollten syrische Gerichte auf Kieler Speisekarten den Blick auf Syrien verändern. Eine Möglichkeit, bei der Einheimische und Flüchtlinge auf sogenannten Blind Dates ungezwungen, kulinarisch kommunizieren konnten.
Für ihr Ausstellungsprojekt „Curriculum Vitae (C.V.) - Intellektuelle Freihandelszone“ wurde der Nassauische Kunstverein Wiesbaden bereits für den Wiesbadener Integrationspreis 2016 vorgeschlagen. Der Kunstverein öffnete im Dezember 2015 seine Räume als kostenlosen Atelierraum zum kreativen Arbeiten für fluchtbedingt neu in der Region angekommene Künstlerinnen und Künstler.
Der Bielefelder Kunstverein unterstützt das Projekt der Initiative „Lesezeichen“, in dem er seine Bibliothek öffnet und mehrere Flüchtlingsunterkünfte mit aktuellen Kunstbüchern ausstattet. Darüber hinaus ruft er unter dem Motto „Flüchtige Bilder“ einen Fotowettbewerb für Geflüchtete in Bielefeld und der Region Ostwestfalen-Lippe aus, dessen Ergebnisse ihm Rahmen der kommenden Ausstellung „Asylum“ präsentiert werden.
Zu seinem Kunstvermittlungsworkshop „Gesichter dieser Stadt“ lädt der Kunstverein Braunschweig eine Gruppe minderjähriger afghanischer Flüchtlinge und braunschweiger Jugendliche ein, die Institution und das Ausstellungsprogramm über einen Zeitraum von einem halben Jahr kennen zu lernen.
In ihrem Projekt „Kunst Unlimited! Ein Tag für alle“ bot die Kunsthalle Bremen im April 2016 ein vielfältiges Kreativprogramm an, das dazu diente sprachliche, finanzielle und gesellschaftliche Grenzen zu überwinden. Ebenfalls werden seit 2014 regelmäßig Malworkshops veranstaltet, die in Ausstellungen präsentiert werden.
Bereits seit 2013 wird in dem Projekt „Stein-Schere-Papier-Pinsel“ des Kunstvereins Bremerhaven Kindern bis 12 Jahren die Möglichkeit geboten sich sowohl künstlerisch zu betätigen als auch regelmäßig Kulturangebote in gemeinsamen Besuchen des Kunstmuseums Bremerhaven wahrzunehmen.
Der Frankfurter Kunstverein nimmt an dem seit 2016 existierenden Projekt „Places to see“ teil, das ein Gemeinschaftsprojekt Frankfurter Museen, Ausstellungshäuser, dem Palmengarten und Zoo ist und Gruppen mit Geflüchteten zu einem 2-stündigen Ausstellungsbesuch mit Workshop in die jeweilige Institution einlädt.
Die Initiative des Kunstvereins Göttingen „Skulpturen unterwegs“, ein Projekt für jugendliche Geflüchtete umfasst u.a. einen Ausstellungsbesuch, einen mehrtägigen Künstlerworkshop zur Herstellung eigener Figuren und eine Ausstellung im Nachbarschaftszentrum Grone sowie eine Ausstellung im Neuen Rathaus Göttingen mit den Skulpturen und Fotos.
Das Projekt "Menschen suchen nach ihrem Glück“ des Kunstvereins Hamburg ist ein Forum für Diskussion und gegenseitigen künstlerischen Austausch, an dem vier syrische Familien beteiligt sind. Dabei wird das Medium der Fotografie als Ausdrucks- und Kommunikationswerkzeug genutzt.
In einem zweitägigen Siebdruck-Workshop der Halle 14 - Zentrum für zeitgenössische Kunst, Leipzig konnten geflüchtete Jugendliche ihre Botschaften als Antwort auf die Frage „Being here, what's up with that?“ auf T-Shirts bringen, um so selbst ihre Gedanken zu ihrer Situation öffentlich zu kommunizieren. Außerdem gibt es Sommerferienangebote mit dem Titel „Die Geschichten der Dinge“.
Die im Frühjahr 2016 im Kunstverein Ludwigshafen stattgefundene Ausstellung "Ich werde deutsch" zeigt Fotografien des deutsch-iranischen Fotografen Maziar Moradi, die zwischen 2008 und 2016 entstandenen sind und eindringliche Porträts von Migranten zeigen. Erläuternd zu den Fotografien ist ein Buch mit zahlreichen Texten der Protagonisten entstanden. Im Kontrast hierzu steht die zweite Fotoserie, in der Maziar Moradi die aktuelle Situation von Flüchtlingen in Deutschland aufgegriffen hat und zahlreiche Unterkünfte von Flüchtlingen in Berlin, Brandenburg, Ludwigshafen, Mannheim, Heidelberg und Stuttgart in dokumentarischer Weise fotografierte.
Um dem tristen Vielerlei selbstgestalteter, gutgemeinter, aber schlecht gemachter Hausordnungen zu begegnen, hat der Kunstverein Rüsselsheim zwei Künstler (die Zeichner Bengt Fosshag und Roman Köller) beauftragt, Hausordnungen in einer Bildsprache zu gestalten, die auch weitgehend ohne Schriftsprache funktionieren. Eine Präsentation der Arbeiten ist in Planung.
Die ACC Galerie in Weimar zeigt ab 23. August 2016 in ihrer Ausstellung „Fluchtpunkte“ das Ergebnis eines Experimentes, in dem vier Weimarer Bürger und Bürgerinnen eine Ausstellung zu den aktuellen Themen Flucht und Migration konzipiert haben.
Der Kunstverein Grafschaft Bentheim leistet ebenfalls sehr gute Integrationsarbeit. Die Ausstellung „Away From Home“ zeigte bis Mai 2016 Arbeiten von drei syrischen Künstlern, die sich in ihren Werken mit den aktuellen Geschehnissen in ihrem Heimatland beschäftigen.
Auch wenn nicht jedem der durch Kunstvereine umgesetzten Projekte Fördermittel zur Verfügung standen, belegt die hohe Beteiligung und Akzeptanz aus der Bevölkerung, dass man geflüchteten Menschen das Gefühl geben kann, Teil der Gesellschaft zu sein.
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