Die von Dr. Kristina Schrei kuratierte Ausstellung Trautes Heim, Allein betrachtet das Eigenheim als zentrales Sujet und Bildmotiv. Das „traute Heim“ ist zunächst ein Versprechen von Glück, das in Ästhetik und Geschmacksfragen jedoch schnell in eine biedere, nur vorgebliche Glückseligkeit umschlagen kann. Die Kehrseite einer privaten Gemütlichkeit fernab der Welt ist Abschottung und Distanzierung. Der Rückzug in die häusliche Privatsphäre bedeutet ein Fernbleiben vom öffentlichen Leben und damit auch potentiell eine Absage an politische Teilhabe und hat sich historisch oftmals besonders zu Zeiten politischer Unruhen gezeigt.
Die Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung betrachten die Gegenwart unserer Gesellschaft mit Bewusstsein um die Vergangenheit. Ihre Arbeiten verweisen auf die ambivalente Wirkmacht des trauten Eigenheims, die gerade heute wieder unermesslich an Relevanz zu gewinnen scheint.
Sibylle Bergemann nähert sich in ihrer fotografischen Serie den individuellen Ausgestaltungen von Wohnzimmern im Plattenbautyp „P2“, einem Prestigeprojekt der DDR. Christian Borchert bildet in der Werkgruppe „Familienporträts“ verschiedene Familien ab, die er überall in der DDR besucht hat, und zeigt so einen Querschnitt der DDR-Gesellschaft. Peter Pillers Arbeit Von Erde schöner besteht aus vorgefundenem Archivmaterial aus den 1980er Jahren, das deutsche Eigenheime aus der BRD dokumentiert und eine bürgerlich-biedere Realität Deutschlands abbildet. Die ästhetischen Bildkompositionen in Andrea Grützners Werkgruppen das Eck, untitled und Erbgericht fokussieren formale Qualitäten wie Farbe und Plastizität und verdeutlichen die Rolle geschmacklicher Vorlieben als Marker ihrer Zeit. In ihrer Installation DDR Noir ruft Henrike Naumann Fragen zur viel beschworenen „Ostalgie“ auf, sowie zu den Träumen und Idealen der Menschen vor und nach der Wende und was heute daraus geworden ist. Andreas Mühe ruft in seinen Arbeiten vor allem die dunklen Teile der ost- und westdeutschen Vergangenheit in Erinnerung. In seinem Portrait von Egon Krenz beispielsweise sehen wir einen Hauptakteur der DDR, der heute in der Abgeschiedenheit seines Hauses lebt; willentlich oder erzwungenermaßen eine historische politische Figur, die keinen Platz mehr im öffentlichen Leben hat.
Über die Fotografische Sammlung – Schloss Kummerow
Seit 2016 ist die Fotografische Sammlung – Schloss Kummerow am Kummerower See in Mecklenburg-Vorpommern weit mehr als ein Geheimtipp für Kunstkenner. Auf einer Ausstellungsfläche von über 2.000 Quadratmetern ist hier eine der führenden fotografischen Privatsammlungen Deutschlands zu sehen. Der Zeitbezug des Mediums Fotografie trifft im barocken Schloss Kummerow auf die behutsame Wiederherstellung des historischen architektonischen Bestands. So steht die Sammlung im Dialog mit den absichtlich erhaltenen Spuren der Vergangenheit des Hauses, die von der Nutzung vorheriger Generationen und vom Leben in wechselnden Ideologien zeugen.
Der 1730 fertiggestellte Schlossbau besteht aus einem zweistöckigen Haupthaus mit charakteristisch hohem Dach sowie zwei Pavillons, die durch Galeriebauten mit dem Haupthaus verbunden sind. Über Jahrhunderte war das außergewöhnliche Gebäude Familiensitz der Familie von Maltzahn. Nach der dem Zweiten Weltkrieg folgenden Enteignung erfuhr es unterschiedliche Nutzung, stand nach der Wiedervereinigung leer und verfiel zusehends. 2011 erwarb der Berliner Kunstsammler Torsten Kunert das als Baudenkmal von nationalem Rang eingestufte Ensemble mit der Absicht, hier mit seiner fotografischen Sammlung einen öffentlich zugänglichen Kulturort zu schaffen.
Heute sind die zwei Etagen des Hauptgebäudes der permanenten Ausstellung ausgewählter Sammlungsbestände vorbehalten, während im Dachgeschoss eine jährlich wechselnde thematische Ausstellung gezeigt wird. Kabinettausstellungen in einem der Pavillons, eine Dauerausstellung mit Skulpturen des Bildhauers Uwe Schloen sowie Musikveranstaltungen ergänzen das kulturelle Angebot im Schloss. In der Außenanlage lädt eine Sommerblumenwiese ein zum Spaziergang vom Schloss hinunter zu Deutschlands achtgrößtem See.
Die ständige Sammlungspräsentation
Der Schwerpunkt der Sammlungsbestände der Fotografischen Sammlung – Schloss Kummerow liegt heute auf zeitgenössischen Werken, die seit der Jahrtausendwende entstanden sind, darunter bedeutende Werke von Thomas Demand, Steve McCurry, Andreas Mühe, Wolfgang Tillmans und Sebastião Salgado. Den Grundstock der Sammlung bilden aber bereits seit den 1990er Jahren historische Vintage-Prints aus der Zeit nach 1945. Auch die Fotografien von renommierten Vertretern der Ostfotografie, die vergangene und nachwirkende Lebenswelten der Menschen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR dokumentieren, stellen einen wichtigen Teil der Sammlung dar.
Auffallend ist die Dichte großformatiger Werke, die ihre visuelle Kraft in den barocken Räumlichkeiten entfalten können und an ihre einst viel gepriesene Ausstattung mit Gobelins anknüpfen. So bilden Because the Night (2012) von Richard Mosse mit seinen mehr als fünf Metern, Michael Weselys sechs Meter einnehmendes Seerosenbild (Seerosen von Giverny, 24.06.2014, 8:55 bis 21:00, 2014), Werner Mahlers umfangreiche Chronologie einer Abiturklasse seit 1977 (Abiturienten, 1977/78–2015) und Wolfgang Tillmans Freischwimmer (2006) die Eckpfeiler der Ausstellung.
Auswahl der in der Sammlung vertretenen Künstlerinnen und Künstler
Marina Abramović, Nobuyoshi Araki, Thomas Bangsted, Fiona Banner, Vanessa Beecroft, Sibylle Bergemann, Ilse Bing, Viktoria Binschtok, Christian Borchert, Thorsten Brinkmann, Daniele Buetti, Winfried Bullinger, Harry Callahan, Jewgeni Chaldej, Martin Dammann, Thomas Demand, Arno Fischer, Maike Freess, Charles Fréger, Lee Friedlander, Andrea Galvani, Hein Gorny, Andreas Gursky, Harald Hauswald, Candida Höfer, Sabine Hornig, Teresa Hubbard/Alexander Birchler, Arno Jansen, Edmund Kesting, William Klein, Clemens Krauss, Bernd Lasdin, Herbert List, Niko Luoma, Ute Mahler, Werner Mahler, Charlotte March, Will McBride, Steve McCurry, Simon Menner, Richard Mosse, Andreas Mühe, Oskar Nerlinger, Shirin Neshat, Helmut Newton, Tatsumi Orimoto, Helga Paris, Richard Peter sen., Hans Praefke, Jorma Puranen, Lukas Pusch, Bettina Rheims, Evelyn Richter, Jens Rötzsch, Thomas Ruff, Sebastião Salgado, Adrian Sauer, SCHAUM, Max Scheler, Martin Schoeller, Sarah Schönfeld, Erasmus Schröter, Gundula Schulze Eldowy, Andres Serrano, Laurie Simmons, Marleen Sleeuwits, Doug & Mike Starn, Otto Steinert, Beat Streuli, Christer Strömholm, Jock Sturges, Hiroshi Sugimoto, Miroslav Tichý, Fritz Tiedemann/Arwed Messmer, Wolfgang Tillmans, Michail Trachman, Ulay, Andre van Uehm, Brigitte Waldach, Michael Wesely, Siegfried Wittenburg, Ulrich Wüst, Miwa Yanagi.
im Uhrzeigersinn / clockwise: Christian Borchert, Familie G. (Kraftfahrer, Küchenhilfe), Streu/Rügen, 1983, courtesy LOOCK, Berlin © Deutsche Fotothek, Dresden. Andreas Mühe, Egon vorm Haus, 2007, aus der Serie Egon Krenz, courtesy the artist © Andreas Mühe/VG Bild-Kunst, Bonn, 2021. Henrike Naumann, DDR Noir, 2018, courtesy Galerie im Turm, Berlin, Foto: Nele Jakob. Sibylle Bergemann, P2 (Berlin-Lichtenberg, Wohnzimmer eines Häuserblocks), 1981/2009, courtesy LOOCK, Berlin © Nachlass/Estate Sibylle Bergemann. Andrea Grützner, das Eck (2015-2018), ohne Titel (Balkon 1), 2016, courtesy the artist & Robert Morat Galerie © Andrea Grützner/VG Bild-Kunst, Bonn, 2021. Peter Piller, von erde schöner, 2002-2004, courtesy Capitain Petzel, Berlin © Peter Piller/VG Bild-Kunst, Bonn, 2021.
Fotografische Sammlung – Schloss Kummerow
Am Schloss 10, 17139 Kummerow
www.schloss-kummerow.de
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