DIE AUSSTELLUNG In den historischen Bildhauerateliers des Museums werden neben Skulpturen, zahlreichen Fotografien und Filmen auch drei komplett eingerichtete Räume des Künstlers zu sehen sein. Diese Gesamtkunstwerke lässt Kurator und Direktor des Instituts Mathildenhöhe Darmstadt, Dr. Philipp Gutbrod, im Museum Künstlerkolonie erstmals in Dialog treten mit der Ständigen Sammlung des Museums, in der Raumkunst von Peter Behrens (1902) und Emanuel Josef Margold (1914) als Raum-in-Raum-Inszenierungen zu sehen sind. Somit bietet die Ausstellung auf der Mathildenhöhe Darmstadt den Besuchern eine neue Sicht auf die zeitgenössische Raumkunst von Gregor Schneider.
DER KÜNSTLER Wohl kein Künstler hat das Transformatorische von alltäglichen Räumen so thematisiert wie der 1969 in Rheydt geborene Künstler Gregor Schneider. Dieser arbeitet vorrangig mit den in Räumen vorgefundenen architektonischen Elementen, die er freilegt, um sie in den Fokus zu rücken und dann – indem er sie verbaut, doppelt oder spiegelt – in einen neuen Kontext zu setzen. Am eindrucksvollsten konnte er diese künstlerische Vorgehensweise im Haus seiner Eltern in Rheydt, dem Haus u r, verwirklichen, das seit 1985 stetig bearbeitet wird. Im Jahr 2001 waren hieraus eine große Anzahl an Räumen als Totes Haus u r auf der 49. Biennale im deutschen Pavillon in Venedig zu sehen, wofür Gregor Schneider mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde.
HINTERGRUNDINFORMATION
Joseph Maria Olbrich, Peter Behrens, Emanuel Josef Margold und viele andere Künstler um 1900 verfolgten bei der Gestaltung von Räumen nicht nur die Aufwertung des Designs – damals „Innendekoration“ genannt –, sondern zielten auf die Erhöhung der Lebensqualität durch eine ästhetische Durchdringung des Alltags. Räume sollten der physischen und geistigen Gesundheit des Menschen dienlich sein; klare zweckmäßige Formen in den Gebrauchsgegenständen und ausreichender Lichteinfall durch funktional gesetzte Fenster wurden bedacht. Direktor und Kurator Dr. Philipp Gutbrod schreibt hierzu in seinem KatalogEssay: „Auch Gregor Schneider arbeitet mit der ästhetischen Wirkung der Moderne, und ihre Entwicklungsgeschichte schwingt als inhaltliche Ebene in seinen Arbeiten mit. Die Materialästhetik der Elemente wie auch deren Funktionen bleiben erhalten; die Räume sollen prinzipiell nutzbar bleiben. Es handelt sich auch nach dem Eingriff des Künstlers um Wohnraum. Das Vertraute der Einrichtungsgegenstände erfährt durch die künstlerische Gestaltung eine Verzerrung, das Vertraute wird fremd, ohne dass diese Entfremdung an einem Zusatz festzumachen ist. Schneider verwendet die Alltagsgegenstände als raumstiftende und sinngebende Elemente. Ähnlich wie die frühesten Raumkünstler der Moderne ist er sich der ästhetischen Bedeutung auch des kleinsten Gegenstands oder architektonischen Elements bewusst. Diesem intensiven Umgang mit Materialästhetik fügt er nun weitere Elemente wie Geruch, Klang, Licht und Performance hinzu, um den Gedanken des Gesamtkunstwerks zu verwirklichen: der Verbindung verschiedenster künstlerischer Ausdrucksformen.“
Der Künstler schafft vollständige Welten, mit denen sich der Betrachter – sobald er einmal eingetreten ist – mit allen Sinnen auseinandersetzen muss. Anders als viele Künstler der Lebensreform um 1900 geht es Schneider jedoch nicht mehr um eine Verschönerung des Lebens, sondern um eine direkte Konfrontation des Betrachters mit dem Menschen, dem Raum, dem Künstler und sich selbst.
HIGHLIGHTS DER AUSSTELLUNG
In den Bildhauerateliers des Museum Künstlerkolonie sind drei Räume Gregor Schneiders erfahrbar: Die Liebeslaube, die 1995 / 1996 in Rheydt im Haus u r als Raum-in-RaumKonstruktion entstand und 2001 auf der Biennale in Venedig im Toten Haus u r zu sehen war sowie zwei HIGH SECURITY AND ISOLATION CELLS, die nach Fotografien der Zellensituation im geheimen Camp V des amerikanischen Internierungslagers auf Guantánamo Bay auf Kuba geschaffen worden sind. Die Auseinandersetzung mit dem Einschließen eines Menschen – sei es einer fremden Person oder des Künstlers selbst – gleicht für Schneider einer Annäherung an die menschliche Existenz. Besucher des Museums können sich dieser Annäherung bis zum 31. Januar 2016 auf der Mathildenhöhe persönlich stellen.
Die Skulptur CRYOTANK PHOENIX (Rheydt 2006) ist ein über drei Meter hoher Stahl-Tank, der im Rahmen des Kryonik-Verfahrens – Konservierung durch Schockgefrieren – Verwendung findet. Dabei soll dem Menschen, falls in der Zukunft eine Wiederbelebung möglich sein sollte, ein verlängertes Leben beschert werden. Diese Arbeit steht in Beziehung zu weiteren Werken des Künstlers, die sich mit dem Tod und der menschlichen Existenz auseinandersetzen, wie auch zu Werken der Lebensreform um 1900, in denen die menschliche Gesundheit thematisiert wurde.
Als fotografisches Highlight Gregor Schneiders präsentiert das Institut Mathildenhöhe Darmstadt eine Serie von Fotografien mit dem Titel u r 8, TOTAL ISOLIERTER TOTER RAUM aus dem Jahr 1989. Die Fotografien dokumentieren einen vom Künstler gestalteten Raum, der – wenn einmal betreten und von der massiven, mit gelber Isolierwolle und anthrazitfarbenen Lärmschutzschaumstoff ausgekleideten Betontür verschlossen – nach Auskunft des Künstlers kein Leben mehr zulassen würde. Hierbei thematisiert Schneider abermals die Korrelation zwischen Mensch und Raum.
PUBLIKATION
Begleitend zur Ausstellung erscheint im Kehrer Verlag das Katalogbuch Gregor Schneider – Fotografien. Statt eines klassischen Ausstellungskatalogs beleuchtet das vorliegende Buch erstmals exemplarisch das fotografische Schaffen von Gregor Schneider. Das gestalterische Konzept des Buchs wurde vom Künstler selbst erstellt und in allen Phasen der Umsetzung von ihm begleitet. Im Katalogessay führt Dr. Philipp Gutbrod in das Gesamtwerk von Gregor Schneider ein und setzt dessen Fotokunst mit seiner Raumkunst in Beziehung.
27. September 2015 – 31. Januar 2016
Bildhauerateliers im Museum Künstlerkolonie
Olbrichweg 13 A
64287 Darmstadt
www.mathildenhoehe.eu
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